Qualzucht beim Hund: Wenn das Tier Leid erträgt
Qualzucht beim Hund: Wenn das Tier Leid erträgt – Ein Blick auf die traurige Realität
Die Zucht von Hunden hat sich im Laufe der Zeit dramatisch verändert. Was einst der praktischen Nutzung diente – sei es für Jagd, Bewachung oder Hütearbeit –, ist heute oft eine Industrie, die auf äußerliche Merkmale und Markttrends setzt. Das Resultat dieser Entwicklung sind zahlreiche Qualzuchtmerkmale, die das Leben der Tiere massiv beeinträchtigen. Trotz wissenschaftlicher Beweise für die gesundheitlichen Folgen dieser Zuchtpraktiken floriert der Handel mit Hunden, die diese Merkmale tragen. Dieser Artikel beleuchtet die erschreckende Realität und fordert eine kritische Auseinandersetzung mit den gängigen Zuchtpraktiken.
Was versteht man unter Qualzucht?
Qualzucht bezeichnet die Zucht von Tieren, bei denen bestimmte Merkmale bewusst gefördert werden, obwohl diese Merkmale das Wohlbefinden der Tiere erheblich beeinträchtigen. Oft sind diese Merkmale nicht nur kosmetischer Natur, sondern haben gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit und Lebensqualität der Hunde. Die Tragödie: Diese Zuchtformen werden häufig nicht nur toleriert, sondern auch von Konsument:innen nachgefragt. Dabei sind die körperlichen und psychischen Folgen für die Tiere verheerend.
Die Vielzahl der Qualzuchtmerkmale
1. Brachycephale (kurzköpfige) Hunde – Ein Leben mit Atemnot
Zu den bekanntesten Qualzuchtmerkmalen gehören die brachycephalen Hunde wie Mops, Französische Bulldogge und Englische Bulldogge. Diese Tiere haben aufgrund ihrer extrem kurzen Schnauze massive Atemprobleme. Sie leiden unter der sogenannten brachycephalen Obstruktiven Atemwegserkrankung (BOAS), bei der die verkürzten Atemwege zu Atemnot, Schnaufen und sogar Hitzschlägen führen können. In schweren Fällen kann dies zum Tod führen. Doch trotz dieser schwerwiegenden Gesundheitsrisiken floriert der Markt für diese Hunde, weil ihre „faltenreichen“ Gesichter für viele Menschen als besonders niedlich gelten.
2. Dilute-Gen und Merle-Gen – Färbung auf Kosten der Gesundheit
Die Zucht von Hunden mit bestimmten Fellfarben, die durch das Dilute-Gen oder das Merle-Gen hervorgerufen werden, kann schwerwiegende gesundheitliche Probleme nach sich ziehen. Hunde mit dem Merle-Gen haben oft Seh- oder Hörprobleme, und das Dilute-Gen kann zu Haut- und Haarschäden führen. Besonders problematisch wird es bei Merle-Merle-Verpaarungen, die häufig zu Taubheit und Blindheit führen. Die Jagd nach exotischen Fellfarben wie einem blauen oder marmorierten Look führt oft zu einer Zucht, bei der die Gesundheit des Hundes in den Hintergrund rückt. Typische Rassevertreter:innen sind Australian Shepherd, Französische Bulldogge, Collie, Dackel, Weimaraner.
3. Gigantismus und Teacup-Hunde – Extremes zu Lasten des Körpers
Das Streben nach immer größeren oder immer kleineren Hunden hat zu extremen Formen geführt. Der Gigantismus, wie er bei einigen Riesenrassen wie der Deutschen Dogge oder dem Mastiff vorkommt, bringt viele gesundheitliche Probleme mit sich, etwa Gelenkprobleme, Herzkrankheiten und Atemprobleme aufgrund der Körpergröße. Andererseits sind „Teacup“-Hunde – extrem kleine Hunde (z. B. Chihuahua, Toy-Pudel, Zwergpinscher), die oft durch unkontrollierte Zuchtpraktiken entstehen – anfällig für zahlreiche Gesundheitsstörungen, darunter Herzfehler, Hypoglykämie und neurologische Störungen. Die Zucht dieser extremen Körpergrößen hat sowohl bei den „Giganten“ als auch bei den „Minis“ fatale Auswirkungen auf das Wohl der Tiere.
4. Brachyurie und Anurie – Extrem kurze Ruten
Ein weiteres Beispiel für Qualzucht ist die Zucht von Hunden mit extrem kurzen Ruten, die oft zu Brachyurie (unvollständige Rutenentwicklung) oder Anurie (Fehlen der Rute) führen. Besonders bei Bulldoggen und Möpsen ist diese Zuchtpraxis weit verbreitet. Diese genetischen Defekte können zu Problemen beim Urogenitalsystem und zu unkontrollierbaren Bewegungen des Körpers führen, was die Lebensqualität der Tiere erheblich einschränkt.
5. Chondrodysplasie – Der „Zwergenwuchs“ als Trend
Ein weiteres weit verbreitetes Qualzuchtmerkmal ist der „disproportionale Zwergenwuchs“, bekannt als Chondrodysplasie. Diese genetische Veränderung führt zu verkürzten Gliedmaßen und einem deformierten Körperbau. Während diese Hunde äußerlich als „süß“ gelten, leiden sie unter schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen wie Gelenk- und Rückenproblemen, die durch den unnatürlich kurzen Körperbau verursacht werden. Besonders betroffen sind Hunde wie Dackel oder Corgis.
6. Übermäßige Hautfaltenbildung – Ein Leben im Faltenlabyrinth
Viele Hunderassen, wie die Englische Bulldogge oder der Shar Pei, werden mit übermäßigen Hautfalten gezüchtet. Diese Falten sehen zwar exotisch aus, bergen jedoch ernsthafte gesundheitliche Risiken. Die Falten sind ein Nährboden für Bakterien und Pilze, die zu Hautinfektionen führen können. Die betroffenen Hunde müssen regelmäßig von ihren Halter:innen gepflegt werden, um Entzündungen und unangenehme Hautprobleme zu vermeiden.
7. Der Ridge und seine Zysten
Ein weiteres Beispiel für eine Qualzucht ist der sogenannte „Ridge“, ein Haarkamm entlang des Rückens, wie er bei Hunden wie dem Rhodesian Ridgeback zu finden ist. Was zunächst wie ein interessantes Zuchtmerkmal aussieht, führt häufig zu Problemen. Der Ridge kann mit der Bildung von Dermoidzysten einhergehen, die chirurgisch entfernt werden müssen. Diese Zysten sind schmerzhafte und potenziell gefährliche Hautwucherungen, die das Leben der Tiere erheblich beeinträchtigen können.
8. Haarlose Hunde – Gesundheitliche Probleme durch fehlende Fellbarriere
Haarlose Hunde, wie der Mexikanische Nackthund oder der Chinese Crested Dog, wurden gezielt gezüchtet, um ohne Fell auszukommen. Während sie für viele als „exotisch“ gelten, haben diese Hunde oft mit empfindlicher Haut zu kämpfen. Der Schutz gegen Sonne, Kälte und Umweltfaktoren fehlt, weshalb sie zu Hautinfektionen und allergischen Reaktionen neigen. Zusätzlich sind sie oft anfällig für genetische Hautprobleme wie Dermatitis.
9. Augen- und Ohrenprobleme durch extreme Zuchtmerkmale
Hunde, die gezielt mit extrem großen Augen oder kurzen, nach außen gebogenen Augenlidern gezüchtet werden, haben häufig mit Sehproblemen zu kämpfen. Ein Beispiel hierfür sind Hunde mit einem „Hänge-Lid“ (Ektropium) oder einem „Roll-Lid“ (Entropium), bei denen das Augenlid entweder nach außen oder nach innen klappt und zu schmerzhaften Reizungen und Infektionen führen kann. Ebenso kommen Hunde mit weißen Fell- oder Hautpartien, wie etwa bei bestimmten Dackeln oder Dalmatinern, häufiger mit Taubheit oder Blindheit zur Welt.
10. Hüftgelenksdysplasie – Eine Qual für die Gelenke
Die Hüftgelenksdysplasie (HD) ist ein weiteres häufiges Gesundheitsproblem, das bei vielen großen Hunderassen vorkommt, wie etwa bei Labradoren, Deutschen Schäferhunden oder Bernhardinern. Hierbei handelt es sich um eine Fehlentwicklung des Hüftgelenks, die zu Schmerzen, Lahmheit und frühzeitigem Gelenkverschleiß führt. Doch auch bei kleineren Hunden wie dem Chihuahua oder Mops kommt es immer wieder zu Hüftproblemen aufgrund einer falschen Zuchtpraxis, die auf Optik statt auf Gesundheit setzt.
Was kann man gegen Qualzucht tun?
Die Zucht von Tieren zu regulieren, ist eine komplexe Aufgabe, die von politischer und gesellschaftlicher Ebene angegangen werden muss. Es braucht klare gesetzliche Vorgaben, die Züchter:innen verpflichten, gesundheitliche Aspekte vor optische Merkmale zu stellen. In einigen Ländern gibt es bereits Einschränkungen oder Verbote, bestimmte Rassen zu züchten, die nachweislich mit schwerwiegenden Gesundheitsproblemen behaftet sind. Doch viele dieser Maßnahmen greifen noch zu kurz, da sie meist nur dann angewendet werden, wenn bereits akute Missstände sichtbar sind.
Wichtig ist, dass auch wir als Käufer:innen von Tieren Verantwortung übernehmen. Wer sich für einen Hund entscheidet, sollte nicht nur auf den „niedlichen“ Faktor achten, sondern sich aktiv über die gesundheitlichen Risiken der jeweiligen Rasse informieren. Es ist an der Zeit, die Verantwortung für das Wohl der Tiere ernst zu nehmen und der Qualzucht den Kampf anzusagen.
Fazit: Ein Leben in Schönheit? Ein Leben im Leid
Hundezucht, wie sie heute oft betrieben wird, ist ein Paradebeispiel für den Konflikt zwischen menschlicher Schönheit und tierischem Leid. Wir müssen uns fragen, ob es wirklich notwendig ist, dass Tiere für unsere Ästhetik leiden. Der Trend hin zu immer extremeren Zuchtmerkmalen, die das Wohl des Tieres gefährden, sollte nicht nur im Sinne des Tierschutzes, sondern auch aus ethischer Sicht hinterfragt werden. Denn eines ist sicher: Wahre Schönheit liegt nicht in einem „süßen“ Gesicht, sondern in einem gesunden und glücklichen Leben – für den Hund und für uns.
Und wer noch mehr wissen möchte, der findet hier ein sehr gutes Video von Dr. Karim Montasser & Dr. Mariana Peer.
Dieser Film ist ein Aufklärungsprojekt der Stabsstelle der Landestierschutzbeauftragten Baden-Württemberg mit Dr. Karim Montasser und ein Teil der Kampagne „FREI SCHNAUZE – ERKENNE QUALZUCHT“.