Von Hibbelhund bis Couchpotato – wie fordere ich meinen Hund richtig?
Die Haustür geht auf und „Che“, der zum Zeitpunkt dieser Erzählung gerade 9 Monate alt ist, schießt nach draußen. Seine Rute schnellt steil nach oben, seine Ohren gehen nach vorne und mit seinem Blick scannt er die Umgebung. Kleinste Reize werden sofort wahrgenommen und abgecheckt. Er zieht an der Leine, seine Nase hat irgendetwas Spannendes erschnüffelt.
„Hey Che, bleib mal stehen!“, doch heute ist wohl wieder so ein Tag, an dem mein Hund draußen überhaupt nicht ansprechbar ist. Man könnte fast meinen, dass mein Hund mit mir Gassi geht. Ein kurzes Gespräch mit einem Nachbarn ist nicht möglich, da er diese Situation, in der nichts passiert, nicht aushält. Sofort beginnt er zu bellen und frustet mich an. Ich gehe lieber weiter, da mir sein Verhalten ziemlich peinlich ist.
Hinter der nächsten Ecke wartet schon wieder eine Überraschung auf uns: ein Artgenosse. Zeit zu reagieren bleibt mir keine, Che fletscht schon die Zähne, hängt voll in der Leine und macht dem anderen Hund damit deutlich, dass er hier unerwünscht ist. Auch mein Puls geht nach oben, ich versuche meinen Hund verbal zu beruhigen und gehe so schnell wie möglich aus der Situation raus. Naja, immerhin ist er nach dem einstündigen Spaziergang bestimmt müde und entspannt sich zu Hause.
Doch zu Hause angekommen scheint Che noch nicht wirklich müde zu sein. Er kommt einfach nicht zur Ruhe, folgt mir auf Schritt und Tritt. Auch wenn ich ihn auf seine Decke schicke, bleibt er nicht liegen, sondern beginnt zu fiepen und zu bellen. Ständig muss ich mit ihm diskutieren und es raubt mir den letzten Nerv!
Wer sich langweilt, hilft sich selbst
Damals fragte ich mich wiederholt, was nur mit meinem Hund los ist. Er hatte genug Bewegung, Sozialkontakt und Futter, was konnte der Ursprung für das unerwünschte Verhalten sein? Wenn mir heute eine Kundin oder ein Kunde eine ähnliche Geschichte erzählt, komme ich nicht darum herum, folgende Frage zu stellen: „Wie beschäftigst du deinen Hund im Alltag?“.
Nichts ist für einen Hund schlimmer als Langeweile. Beschäftigung macht jedem Hund Spaß und setzt Glückshormone frei. Diese gemeinsame Zeit stärkt wiederum die Beziehung zwischen Mensch und Hund. Fehlt eine angemessene Beschäftigung, verselbstständigt sich ein Hund mehr und mehr. Auf dem Spaziergang dreht er seine eigenen Runden und ist kaum ansprechbar. Aufgrund der fehlenden Beschäftigung draußen wird der Hund auch zu Hause kreativ und zerreißt eventuell Zeitschriften oder knabbert an einem Möbel.
Folgende Fragen können bei Hibbelhunden oft mit „ja“ beantwortet werden
- Kommt dein Hund nach einem Spaziergang nur schwer bis gar nicht zur Ruhe?
- Zeigt er ein gesteigertes Bellverhalten in Situationen, die ihn frustrieren?
- Reagiert dein Hund bereits auf kleinste Reize? Springt er auf, wenn du dein Handyladekabel in die Steckdose stecke? Rennt er zum Grashalm, der sich im Wind bewegt?
- Zeigt er des Öfteren Übersprunghandlungen wie „Sich kratzen“ oder „Gähnen“?
- Hat er Schwierigkeiten, sich bei Trainingseinheiten zu konzentrieren?
„Du musst deinen Hund mal richtig auslasten, dann gibt er schon Ruhe.“
Wie oft habe ich diesen Satz gehört. Doch was ist, wenn weder Rad fahren, noch joggen oder schwimmen etwas nützen? Was, wenn mein Hund nach diesen oder ähnlichen Aktivitäten noch weniger zur Ruhe kommt? Denn letztlich wird ein sehr aktiver Hund durch diese körperlichen Aktivitäten immer fitter und braucht so immer mehr Bewegung.
Also weg von physischer Auslastung hin zu geistiger Beschäftigung? Fragt man Menschen, wie sie ihren Hund auslasten, wird nicht selten das Spiel mit dem Ball aufgezählt. Gerade bei Hibbelhunden kommt dann der Gedanke auf, diese durch das Spiel mit dem Ball regelrecht platt zu machen. Also, Tennisschläger raus, und ab geht die Post. Der Ball fliegt, der Hund rast hinterher, und kaum mit dem Ball zurück, geht es auch schon wieder los. Doch was passiert in Folge davon in aller Regel beim Hund? Er dreht immer weiter hoch, sodass sich sein Aktivitätsniveau steigert und steigert, und von der gewünschten Auslastung und einem Zur-Ruhe-kommen des Hundes ist auch nach dem Training nichts zu sehen.
Nicht selten haben gerade Hibbelhunde einen regelrechten „Stundenplan“: Montags Agility, Dienstags Mantrailen, Mittwochs Obedience, Donnerstags Freilaufgruppe, Freitags Turniertraining und am Wochenende geht es dann auf Prüfungen oder Seminare. Schließlich weiß man, dass Hunde, und hier insbesondere die aktiven, genug geistige Auslastung brauchen, und so will man den Hund auf keinen Fall unterfordern. Doch wo sind in diesem Wochenplan die Zeiten für Ausruhen, für Schnüffeln, für das Schlendern über die Wiese und das „Einfach-einmal-nichts-tun-müssen“?
Anfang, Dauer und Ende
Es ist die Aufgabe des Menschen, dem Hund einen ausgeglichen strukturierten Tag mit genügend Auslauf, geistiger Beschäftigung, Sozialkontakt, Futter und Ruhe zu bieten. Dabei gestaltet es sich nicht immer ganz einfach, das richtige Maß an Beschäftigung zu finden. Hyperaktive Hunde brauchen viel Bewegung und fühlen sich wohl, während sie ihrem Drang zur Bewegung nachgehen. Das sollten sie auch unbedingt tun können. Um aber dem überdrehten Gemüt entgegenzuwirken, müssen gewisse Spielregeln eingehalten werden. Das Training sollte immer strukturiert aufgebaut werden. Reines „Bällchen werfen“ führt dazu, dass der Hund immer hektischer, immer überdrehter wird, es entsteht aufgrund der freigesetzten Hormone ein regelrechtes Suchtverhalten, der Hund will immer mehr und mehr.
Hat ein Hund daher gelernt, den Ball zum Menschen zurückzubringen, und wartet begeistert auf den nächsten Wurf, muss er im nächsten Schritt lernen, sich zurückzunehmen. Warten, Ruhe, Konzentration sind die wichtigsten Aspekte im folgenden Training. Bringe deinem Hund daher bei, sitzen zu bleiben und zu warten, bis du den Ball zunächst ausgelegt, später dann auch geworfen hast. Anfangs fliegt er nur ein kurzes Stück, später dann auch richtig weit. Kombiniere die Apportierübungen mit anderen Signalen. So muss dein Hund z. B. erst einmal ein Stück mit dir „bei Fuß“ laufen, bevor er den zuvor geworfenen Ball holen darf. Richtig schwierig wird es, wenn du mehrere Gegenstände wirfst und dein Hund sich auf deine Sichtzeichen konzentrieren muss, mit denen du ihm zeigst, welchen Gegenstand er zuerst holen soll. Profis können den Hund auf dem Weg zum Ball abstoppen oder zurückrufen. Werde kreativ, sodass du deinen Hund immer von Neuem geistig fordern kannst.
Nachhaltiger Erfolg kommt mit kleinen Schritten
Egal ob überforderter oder unterforderter Hund: Jede neue Aufgabe gestaltest du nur so schwierig, dass dein Hund sie auch wirklich schafft. Schneller Erfolg steigert die Motivation und schmälert die Gefahr zur Frustration. Wenn du dich dabei ertappst, zu viel von deinem Hund zu verlangen, rächt es sich nicht selten direkt. Plötzlich wird die Übung ungenau, du gehst Kompromisse ein, die eigentlich kontraproduktiv sind. Letztendlich seid ihr beide, du und dein Hund, frustriert und der Lerneffekt bleibt aus.
Hektik, Unkonzentriertheit und forderndes Verhalten wie Anstupsen oder Bellen sind Zeichen dafür, dass ein Hund bald überdreht. Nun ist es wichtig, dass du auf das fordernde Verhalten nicht eingehst, das Spiel beendest und das Spielzeug wegpackst. Gut möglich, dass dein Hund in diesem Moment dieses ungewohnte Unterbrechen der Aktivität nicht einfach so hinnimmt. Es fällt ihm schwer, seine Impulse zu kontrollieren. Nun brauchst du den längeren Atem als dein Hund und startest keine neue Aktion, bis dein Hund das fordernde Verhalten beendet hat.
Abschalttraining
Hibbelhunde müssen auch lernen, im Alltag abzuschalten und sich zu entspannen. Daher solltest du deinem Hund genügend Möglichkeiten bieten, wirklich auch herunterzukommen. In unserem oftmals hektischen Alltag scheint dies nicht immer leicht, denn nicht selten hetzen wir selbst von einem Termin zum anderen. So führt die gezielt in Bezug auf Ruhe und „Nichts-tun“ für den Hund gestaltete Woche nicht selten auch für uns selbst zu einer verbesserten Lebenssituation!
Abschalten kannst du jedoch auch gezielt mit deinem Hund trainieren. Dazu lastest du deinen Hund zuerst mit einer Beschäftigung aus, die er schon kennt. Es geht dabei aber nicht darum, ihn richtig platt zu machen! Danach suchst du dir auf dem Spaziergang ein ruhiges Plätzchen mit so wenig Reizen wie möglich und bleibst stehen. Nun hast du Zeit, die Natur zu genießen. Und was macht dein Hund? Vielleicht beginnt er zu fiepen oder gar zu bellen, sich zu kratzen oder zu gähnen. Wichtig ist nun, dass du auf keinen Fall auf das fordernde Verhalten deines Hundes eingehst. Ziel der Übung ist, dass dein Hund selbst auf die Idee kommt, sich etwas zu beruhigen und lernt, dass er mit seinem fordernden Verhalten nicht das bekommt, was er möchte. Du ignorierst deinen Hund komplett, sagst ihm kein „Sitz“ und kein „Platz“, kein „Nein“, er bekommt noch nicht mal einen Blick von dir. Sobald du merkst, dass dein Hund zur Ruhe kommt, wartest du noch einige Augenblicke, bevor ihr den Spaziergang weiter fortsetzt.
Diese Übung kannst du auch mehrfach während eines Spaziergangs wiederholen. Dein Hund lernt hierbei, dass es sich nicht lohnt, zu fordern. Bleibst du stehen, passiert erst einmal gar nichts. Mit der Zeit darfst du auch abwarten, bis sich dein Hund hinsetzt oder sogar hinlegt. Sobald er sich an einem reizarmen Ort hinlegt und den Kopf ablegt, kannst du die Reize steigern. Es hilft, wenn du dir erst einmal eine Liste mit geeigneten Orten machst und diese der Schwierigkeit nach ordnest, denn jeder Hund stuft Reize unterschiedlich ein.
Wie eine Unterforderung beim Hund erkannt werden kann
Der überforderte Hund ist das eine Extrem, der unterforderte das andere. Doch wie erkennst du, ob dein Hund zu wenig Beschäftigung hat? Indizien hierfür gibt es einige. Eines ist die Verselbstständigung des Hundes. Auf den Spaziergängen geht er nur noch seinen eigenen Interessen nach und ist für dich kaum ansprechbar. Er wird kreativ und sucht sich eine Beschäftigung, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. So können jagdlich motivierte Hunde zum Beispiel Wild, oder alternativ auch JoggerInnen, RadfahrerInnen oder Autos jagen. Ein weiterer Hinweis ist autoaggressives Verhalten, bei dem sich der gelangweilte Hund zum Beispiel so lange an den Pfoten leckt, bis diese wund werden.
Unterforderte Hunde können dies dem Menschen auch deutlicher zeigen, in dem sie ständig fiepen, vor allem dann, wenn sie nicht ihren Bedürfnissen nachgehen können, also z. B. angeleint beim Restaurantbesuch warten müssen. Dabei hat der Hund oft den längeren Atem als der Mensch, da er gelernt hat, dass dieser früher oder später einknickt, indem er durch Streicheln oder das Füttern von Leckerlis versucht, den Hund zur Ruhe zu bringen. Denn man möchte ja schließlich nicht unangenehm auffallen in der Öffentlichkeit.
Erfolge machen glücklich
Unser Hund Che, der am 30. November 6 Jahre alt wird, begleitete uns in diesem Sommer für eine Woche nach Frankreich. Was vor 5 Jahren noch unvorstellbar gewesen wäre, ist heute erlernt. Nach einer kurzen Abkühlung im Wasser legen wir uns auf ein Strandtuch im Schatten eines Nadelbaumes am Lac d’Annecy. Vor uns plätschert das Wasser und eine Entenfamilie zieht vorbei. Hinter uns befindet sich der vielbefahrene Radweg und die Straße. Und was macht Che? Er liegt mit abgelegtem Kopf und zur Seite gekippten Hüften neben uns und die Augen fallen ihm fast zu.
Gibt es sie wirklich – Couch-Potatos unter Hunden?
Hunde bewegen sich gern. Mehr braucht man zu diesem Thema eigentlich nicht zu schreiben … Natürlich gibt es unterschiedliche Bewegungslevel, der eine Hund ist eher ein Sprinter und läuft nur im Schritt oder Galopp, der andere ist eher der Ausdauerläufer und legt gern weite Strecken im Trab zurück. Ein Hinweis darauf, wozu ein Hund tendiert, ist auch die Körperform: Hunde mit einem langen Rücken, wie z. B. beim Schäferhund, sind eher Traber, quadratische Hunde mit tiefem Brustkorb wie der Windhund eher Galopper.
Übertriebene Zucht
Doch was ist mit den Rassen, die sich nur wenig bewegen, wie z. B. dem Bernhardiner? Schaut man sich Hunde dieser Rasse vor einigen Jahrzehnten an, handelte es sich zwar um kräftige, aber nicht übergroße und überschwere Hunde. Durch übertriebene Zucht auf bestimmte Körpermerkmale sind die heutigen Bernhardiner in aller Regel gar nicht mehr in der Lage, die Aufgaben in der Bergrettung, für die sie damals eingesetzt wurden, zu übernehmen. Ein Körperbau, der beim Hund dazu führt, dass dieser keine Motivation mehr hat, sich zu bewegen, ist nicht mehr normal. Heutzutage steht die Zucht von Hunden in Bezug auf Qualzuchtmerkmale auf dem Prüfstand, und so muss hierbei, neben der Frage nach den vielen Erkrankungen, an denen Hunde aufgrund extremer Größe, sehr kurzer Beine oder anderer Übertypisierungen leiden, auch diesem Aspekt nachgegangen werden: Kann ein solcher Rassehund überhaupt noch ein normales, artgerechtes Leben führen?
Ach du dicker Hund
Doch nicht immer ist unangemessene Zucht die Ursache dafür, dass ein Hund sich nicht mehr bewegt. Denn nicht nur wir Menschen werden immer dicker, auch beim Hund ist Übergewicht leider nicht so selten. Der Mensch meint es gut mit seinem Hund, denn wenn schon kaum Zeit für den Vierbeiner im hektischen Alltag ist, so soll er doch wenigstens ein bisschen Freude haben. Und so landen neben der täglichen Futterration, diversen Leckerlis, dem Schweineohr und vielleicht sogar noch dem Pizzarest viel zu viele Kalorien im Hund. Und je mehr Gewicht der Hund auf die Waage bringt, desto schwerer fällt es ihm, sich zu bewegen. Ein Teufelskreis beginnt, und der vom Menschen gemachte Couch Potato Hund liegt am liebsten nur noch auf dem Sofa.