Die Champions League im Hundesport
An der langen Leine ist der Hund am Zug Bei „Lassie“, „Kommissar Rex“ und anderen Fernsehhunden sieht das immer ganz einfach aus: Da muss bloß jemand murmeln „Wo ist eigentlich der Dings?“, schon schießt der Vierbeiner los, springt über Zäune, hetzt durch Fabrikhallen, kreuzt vielbefahrene Straßen und zerrt schließlich den Vermissten in letzter Sekunde aus dem brennenden Schuppen.
Im richtigen Leben steht Magnum schon seit ein paar Minuten an der Weggabelung in einer Karlsruher Wohnsiedlung, dreht die Ohren nervös zum Kinderlachen vom nahen Spielplatz, versucht, sich hinter Frauchen zu verstecken, wenn ein Radler naht. Hat der der sieben Jahre alte Australian Shepherd nicht verstanden, dass er den Menschen finden soll, dessen Geruch Hundetrainer Stefan Hopfenheit ihm eben vor die Nase gehalten hat? Verstanden schon, sind sich Besitzerin und Trainer einig, denn Magnum übt das nicht zum ersten Mal. Aber der auch sonst eher ängstliche Hund scheint gerade zu gestresst, um sich auf die Arbeit zu konzentrieren und soll jetzt erstmal im Auto entspannen.
Wie andere Arten Hundesport hat auch diese einen englischen Namen: „Mantrailing“. Amerikaner kamen wohl zuerst auf die Idee, nicht nur Polizei- und Rettungshunde in der Menschensuche auszubilden, sondern auch privat gehaltene Tiere. Abgesehen von der Intensität gibt es keine großen Unterschiede zwischen dem Training hauptberuflicher Suchhunde und der Freizeitbeschäftigung „Mantrailing“. Anspruchsvoll sei es in jedem Fall, sagt Hopfenheit und nennt es „die Champions League im Hundesport“ - für Herrchen und Frauchen, wohlgemerkt. Denn Hunde können es ja im Prinzip schon von Geburt an.
Die Fläche ihrer Nasenschleimhaut und damit die Zahl der Riechzellen ist etwa 30-mal so groß wie die eines Menschen. Auch die Verarbeitung von Gerüchen besorgt im Hundehirn ein erheblich größeres Areal als beim Zweibeiner. Wären Geruchspartikel eingefärbt, steckte das Augentier Mensch in einem undurchdringlichen bunten Nebel fest, während jeder Hund mühelos feinste Farbschattierungen zu unterscheiden und sich daran zu orientieren wüsste. Seine wölfischen Vorfahren erschnupperten ja auch den einen verletzten Hirsch des Rudels, der leichte Beute zu werden versprach, und verfolgten dessen Spur über Stock und Stein bis ins dichteste Dickicht.
Beim modernen Hund ist diese Fähigkeit wenig gefragt. Der soll immer brav bei Fuß gehen, seine Nase nicht dauernd in fremde Angelegenheiten stecken und gefälligst die Pfoten lassen von dem Schrank, aus dem es so verführerisch nach Futter duftet. Nur wenn er seine natürlichen Regungen erfolgreich unterdrückt, gibt es Lob und Leckerli.
Beim „Mantrailing“, das müssen Tier und Mensch erst lernen, hat hingegen der Hund das Sagen. Anders als beim Gassigehen, darf und muss nun er die Richtung bestimmen. Damit der Rollentausch später im Alltag nicht zu Autoritätsproblemen führt, wird die Ausnahmesituation vom allerersten Training an über die Ausrüstung gekennzeichnet. Der Hund bekommt zusätzlich zum gewohnten Halsband ein Geschirr um die Brust gelegt. Einen Moment, bevor dem Tier die Geruchsprobe der vermissten Person präsentiert wird, nehmen Herrchen oder Frauchen die Leine vom Halsband und haken sie ans Geschirr. Das signalisiert dem Hund: Ab jetzt bis du am Zug.
Wobei das mit dem Zug so eine Sache ist. Nelly, die in ihrer Jugend als spanische Straßenhündin den Schwanz eingebüßt hat, lässt sich das Suchkommando nicht zweimal sagen und stürmt sofort los. Über die Straße, an der Hecke entlang, um zwei Hausecken - ihre Besitzerin kommt kaum hinterher. Während sie noch versucht, sich an Anweisungen des Trainers zu erinnern - die lange Leine mit beiden Händen halten, weder durchhängen lassen, noch zu sehr daran ziehen, das Tier weder ablenken noch behindern, - hat die Mischlingshündin hinter einem Busch Hopfenheits Frau und Kollegin Silvia aufgespürt. Überschwängliches Lob und ein Stückchen Wurst aus der Vorratsdose sind Nelly sicher. Frauchen vergisst vor Stolz beinahe, den Karabiner vom Geschirr zurück ans Halsband zu haken.
Dabei war das natürlich nur eine leichte Anfängerübung: eine ruhige Umgebung, die Fährte ganz frisch und gerade 100 Meter lang. Wenn Nelly dabeibleibt, wird sie es in den nächsten Wochen und Monaten mit immer umfangreicheren und komplizierteren Aufgaben zu tun bekommen. Da legt die Zielperson zum Beispiel den Trail schon Stunden vor dem Training. Da führt die Route im Zickzack durch das Gewimmel einer Fußgängerzone oder eines Straßenfestes. Da endet die Geruchsspur an einer Fahrstuhltür und geht in der übernächsten Etage weiter.
Das Schwierigste, aber für ernsthaftes Mantrailing besonders wichtig: Zeigen, wo die Fährte definitiv endet, weil der Gesuchte zum Beispiel in ein Fahrzeug gestiegen ist. Denn dass der Vierbeiner bei der Jagd nach dem Kidnapper auch noch die Stadtautobahn entlang hetzt, das gibt es nur im Fernsehen.