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Hunde brauchen Grenzen

Corinna Beller - Martin Rütter Hundeschule Nürnberg und Altenfurt 

Jeder Mensch möchte mit seinem Hund glücklich zusammenleben. Mensch und Hund als Partner, die gemeinsam den Alltag bewältigen. Der Hund, der sich vertrauensvoll am Menschen orientiert, aber dennoch seinen Bedürfnissen mit Leidenschaft nachgehen kann. Es scheint alles so einfach, doch wie erreicht man diesen Traum vom entspannten Vierbeiner? 

Verständnis für den Hund, seine Bedürfnisse erfüllen und ein liebevoller Umgang sind Punkte, die vielen sofort einfallen. Doch damit beide Partner dieser Gemeinschaft gut miteinander leben können, müssen auch Grenzen gesetzt und akzeptiert werden. Grenzen, die wir unseren Kindern, aber auch anderen Menschen, mit einer absoluten Selbstverständlichkeit täglich setzen. 

Schaue ich mir meine Kunden und Kundinnen an, scheint dies beim eigenen Hund jedoch ganz anders zu sein: Wir stehen auf der Trainingswiese und Frau Schmitz holt den Ball ihres Hundes aus der Tasche, da wir mit dem Apportiertraining starten wollen. Ihr Australian Shepherd Rüde Django springt bereits seit Betreten der Trainingswiese aufgeregt um Frau Schmitz herum. Sobald er den Ball sieht, beginnt er zu bellen und es dauert keine Minute, bis er sie mit voller Wucht mit beiden Vorderpfoten frontal anspringt. „Das Training soll jetzt endlich beginnen!“ macht er mit aller Wucht deutlich. Frau Schmitz entschuldigt das Verhalten ihres Hundes mir gegenüber mit den Worten: „Er liebt das Spiel mit seinem Ball einfach so sehr, dann weiß er immer gar nicht, wohin mit seiner Freude.“ Ich frage Frau Schmitz, wie sie sich verhalten würde, wenn ihr 6-jähriger Sohn ihr „vor lauter Freude“ in den Magen boxt, weil sie das versprochene Eis an einem heißen Sommertag nicht schnell genug aus dem Karton herausholt und ihm gibt. „Selbstverständlich würde ich meinen Sohn zurechtweisen. Ich würde ihm erklären, dass man sich so gegenüber anderen Menschen nicht verhält. Und das Eis würde ich ihm erst dann geben, wenn er sich beruhigt hat und rücksichtsvoll verhält.“ 

Doch warum fällt uns das bei unseren Hunden dann so schwer? Vielleicht liegt es daran, dass man dem Hund nicht wie einem Kind mit Worten erklären kann, warum er sich in einer bestimmten Situation so nicht verhalten sollte. 

Von der Überzeugung, dass Hundeerziehung nur funktioniert, indem man den Hund hart bestraft – davon sind wir heutzutage zum Glück weit entfernt. Dennoch brauchen Hunde Grenzen. Doch Grenzen werden nicht „gegen“ den Hund gesetzt, vielmehr sind sie „für“ den Hund da. Wer die Spielregeln im Zusammenleben kennt, wer sich sicher ist, was das Gegenüber von ihm erwartet, der kann ein entspanntes Leben führen. Regeln bieten also Sicherheit, sie führen zu einem harmonischen Zusammenleben, bei dem jeder der Partner seinen Freiraum hat, um seine eigenen Bedürfnisse auszuleben, dabei aber die Grenzen beachtet, die sich durch das Zusammenleben mit dem Partner und dessen Bedürfnissen ergeben.

Ignorieren – die Bedürfnisse des anderen akzeptieren

Regeln - das hört sich jetzt irgendwie nach „Leben ohne Spaß“ an … Aber genau das bedeutet es eben nicht! Im Gegenteil, für den Aufbau einer guten Beziehung ist es wichtig, dass du mit deinem Hund kuschelst, mit ihm spielst und ausgelassen tobst! Allerdings müssen sich beide Partner dabei an Regeln halten. So muss dein Hund z. B. lernen, dass du nicht immer auf eine Spielaufforderung von ihm eingehst. Nicht er bestimmt, wann etwas gemacht wird, du entscheidest. Denn du trägst die Verantwortung in eurer Beziehung, du hast den Überblick über alle Lebensbereiche. Das bedeutet nichts anderes, als dass du immer wieder einmal deinen Hund ignorierst. „Er kommt mit dem Ball an und wirft ihn dir vor die Füße?“ Du schaust einfach weiter Fernsehen, ohne auf ihn einzugehen. „Er legt dir den Kopf auf die Knie und schaut dich mit großen, „traurigen“ Augen an?“ Du streichelst ihn nicht, sondern liest einfach weiter in deinem Buch. „Er hebt die Pfote und kratzt an deinem Bein, um an ein Leckerli aus deiner Tasche zu kommen?“ Du gehst einfach weiter, ohne ihm einen Keks zu geben.

Vielen Menschen fällt es zu Beginn unheimlich schwer, ihren Hund zu ignorieren, da sie sich fragen, ob der Hund sie möglicherweise am Ende dadurch nicht mehr so liebhat. Wir neigen dazu, „Aufmerksamkeit immer und überall“ als das ultimative Zeichen unserer Zuneigung unseren Vierbeinern gegenüber zu sehen. Schauen wir uns dazu doch einmal das Zusammenleben im Hunderudel an: Die Hundemutter spielt zwar sehr häufig mit ihren Welpen, doch immer wieder einmal bleibt sie gelassen auf ihrem Platz liegen, egal, wie sehr die Welpen sie auch bedrängen. Und doch scheint das Verhalten der Hündin die Beziehung zwischen ihr und den Welpen zu stärken, denn die Welpen halten sich vermehrt in ihrer Nähe auf, sobald die Hündin im Auslauf ist.

Durch Ignorieren kann man dem Hund also verdeutlichen, dass auch das Gegenüber Bedürfnisse hat. Er lernt, dass seine Bedürfnisse zwar erfüllt werden, aber eben nicht immer bzw. sofort, sondern dann, wenn es in das Gruppengefüge passt. Der Mensch ist kein Futter- oder Streichelautomat, den der Hund nur richtig bedienen muss, damit das gewünschte Produkt ausgegeben wird! Wenn du deinen Hund daher immer wieder einmal ignorierst, indem du seiner Forderung nicht nachkommst, ihn zudem weder anschaust noch ansprichst, nicht einmal, um mit ihm zu schimpfen, lernt er, dass auch du ein Lebewesen mit Bedürfnissen bist. Er versteht, dass gemeinsame Aktivitäten nur dann stattfinden, wenn ihr beide dazu bereit seid.

Jetzt ist aber Schluss – Handlungen abbrechen können

Natürlich darfst du immer wieder einmal auch z. B. auf die Spielaufforderung deines Hundes eingehen. Denn DU entscheidest, und damit kannst du immer wieder einmal auch die Entscheidung treffen, einer Forderung deines Hundes nachzukommen. Und natürlich darfst – und sollst – auch du deinen Hund zum Spiel auffordern. Achte dabei aber darauf, dass dein Hund in dem Fall möglichst auch in Spiellaune ist. Schläft er gerade tief und fest, fühlt er sich unsicher oder ist seine Aufmerksamkeit gerade auf viele andere Dinge gerichtet, wird er deine Spielaufforderung gegebenenfalls ignorieren. Du solltest also lernen, deinen Hund zu lesen und nur dann etwas von ihm fordern, wenn er dazu in der Lage ist. Nur so kannst du gute Entscheidungen für alle in der Gruppe treffen.

Dazu gehört auch, dass du erkennst, wie lange dein Hund noch motiviert ist, mit dir zu spielen. Beobachte ihn genau und beende das Spiel, bevor er keine Lust mehr hat. Höre aber durchaus auch einmal auf, wenn ihr gerade mitten im schönsten Spiel seid. Dazu stehst du aus der Spielposition auf, sagst deinem Hund „Schluss“ oder ein ähnliches Signalwort und verdeutlichst dieses z. B. mit einer Bewegung deiner Hände. Drehe dich von deinem Hund weg und beschäftige dich mit etwas anderem. Jegliches Fordern deines Hundes ignorierst du nun wieder. Hat er dieses Signal erlernt, kannst du auch andere Handlungen deines Hundes, die zwar durchaus erlaubt sind, aber für die jetzt einfach gerade nicht der passende Zeitpunkt ist, damit abbrechen. Dein Hund lernt so, dass etwas Schönes immer auch irgendwann endet.

Nein: Dieses Verhalten ist nicht erwünscht!

Es gibt aber auch Handlungen, die generell nicht erlaubt sind, sodass dein Hund lernen muss, sie abzubrechen. Stell dir vor, du holst ein Leckerli heraus und möchtest dieses deinem Hund geben. Du hast gerade die Hand ausgestreckt, da schießt er bereits vor und schnappt sich das Leckerli aus deiner Hand. Wenn du Glück hast, erwischt er dabei nur das Futterstück, wenn du Pech hast, ist auch einer deiner Finger dabei. Dein Hund muss lernen, Futter vorsichtig zu nehmen, um Verletzungen bei dir zu vermeiden.

Nimm dazu ein Futterstück in deine geschlossene Faust, halte diese deinem Hund vor die Nase und lass ihn daran schnuppern. Zeigt er abwartendes Verhalten, öffnest du deine Hand. Sobald er mit der Nase vorkommt, schließt du die Hand wieder und sagst dazu z. B. das Wort „Nein“. Das wiederholst du so lange, bis dein Hund ruhig wartet, obwohl du das Leckerli in der geöffneten Hand vor ihn hältst. Führe deine geöffnete Hand jetzt mit dem Wort „Nimm“ in seine Richtung und lass ihn das Futterstück von deiner Hand herunternehmen und fressen. Übe anfangs nur mit wenig begehrtem Futter, später kannst du auch Fleischwurst, Käse oder andere Leckereien verwenden. Du kannst das Futter auch auf den Boden legen oder sogar direkt vor deinen auf dem Boden liegenden Hund. Profis können die Futterstücke zwischen oder auch auf den Beinen des Hundes platzieren. Das „Nein“ kannst du nun auch auf andere Situationen übertragen, in denen dein Hund ein Verhalten zeigt, was generell nicht erwünscht ist.

Strafe muss sein? – Das ist Tabu!

Schaut man sich das Zusammenleben in einer Hundegruppe an, kann man feststellen, dass Ignoranz und Abbruch häufig eingesetzt werden, um das Miteinander zu regeln. Doch was ist, wenn der Hund das Verhalten nicht einstellt? Was kannst du tun, wenn er dich anspringt oder dir in die Beine oder Arme zwickt? Was ist zu tun, wenn Ignorieren nur dazu führt, dass er heftiger wird und dir den Ärmel zerreißt oder seine Zähne einsetzt? 

Schauen wir uns an, wie Hunde das in einem solchen Fall untereinander regeln: Sie sagen dem anderen ganz klar und deutlich: Bis hierhin und nicht weiter! Schon die Mama bringt ihren Welpen bei, was es bedeutet, wenn diese eine Grenze überschreiten: Sie fixiert den Welpen, sie knurrt, sie zieht die Lefzen hoch, und wenn das alles nicht hilft, greift sie einmal mit der Schnauze über seinen Fang. Aber – wir Menschen sind keine Hunde, ein Schnauzgriff ist für uns in der Form gar nicht möglich. Den Hund stattdessen ins Ohr zu beißen, ihn zu schlagen, zu treten oder anderweitig Gewalt anzutun, wie es durchaus der ein oder andere Ratgeber noch empfiehlt, ist selbstverständlich absolut abzulehnen. Eine Korrektur muss immer angemessen sein. Übertriebene Härte führt dazu, dass dein Hund Angst vor dir entwickelt.

Doch wenn sich dein Hund nicht an die vereinbarten Regeln hält, müssen Konsequenzen folgen. Dazu kannst du deinem Hund mithilfe eines nachgeahmten Schnauzgriffs ein Tabu stellen. Du sprichst zunächst ganz ruhig z. B. das Wort „Tabu“ aus, fixierst deinen Hund und greifst einmal fest mit der Hand über den Fang deines Hundes. Stellt er sein Verhalten ein, entspannst du dich sofort wieder. Verhält er sich nun vorsichtiger, rücksichtsvoller, darfst du auch wieder mit ihm interagieren und zeigst ihm so, dass es nicht darum geht, Abstand zu halten und dich zu meiden, sondern dass es auf den respektvollen Umgang miteinander ankommt.

So viel loben wie möglich, so wenig korrigieren wie nötig

Hat dein Hund gelernt, dass es Folgen für ihn hat, wenn er sich nicht an die zwischen euch vereinbarten Regeln hält, musst du den Schnauzgriff in der Regel nur noch selten anwenden. Er wird das Verhalten bereits abbrechen, wenn du ihn fixierst bzw. spätestens, wenn du das Korrekturwort benutzt. 

Viele Menschen sind begeistert davon, wie schnell der Hund sein Verhalten einstellt, wenn sie ihn körperlich z. B. mit einem Schnauzgriff maßregeln. Das darf jedoch nicht dazu führen, dass du deinen Hund nun andauernd derart bestrafst, da er sonst in der ständigen Angst leben würde, einen Fehler zu machen bzw. immer in der Erwartung einer Strafe ist - wohl kaum die Grundlage einer vertrauensvollen Beziehung. Wendest du eine Strafe an, muss dein Hund zudem genau wissen, WOFÜR du ihn bestrafst. Du musst ihn also genau in dem Augenblick bestrafen, in dem er dich anspringt bzw. am besten sogar noch ein klein wenig früher, also bereits im ersten Ansatz des Verhaltens. Nur so kann er die Folge mit dem Verhalten verknüpfen. War die Strafe angemessen und erfolgte sie zum richtigen Zeitpunkt, weiß dein Hund zwar nun, was er NICHT machen soll. Welches Verhalten du von ihm erwartest, weiß er damit aber noch nicht! Belohne daher immer auch erwünschtes Verhalten. 

Nutze für den Aufbau der Grundsignale (Sitz, Down, Bleib, Hier oder Fuß) sowie den Aufbau von Beschäftigungsformen grundsätzlich die positive Verstärkung. Warte dazu, bis dein Hund erwünschtes Verhalten zeigt oder locke ihn mit einem Leckerli in die gewünschte Position und belohne ihn danach. 

Doch was ist, wenn dein Hund beispielsweise an der Leine zerrt und dir den Arm dabei fast ausreißt. Respektvoll ist das ja nun nicht gerade. An lockerer Leine zu laufen gehört nicht zu den arttypischen Verhaltensweisen von Hunden. Kein Hund verlangt vom anderen, sich für einen langen Zeitraum in einem engen Radius bei ihm aufzuhalten, oder verbietet dem anderen, sich nicht weit von ihm zu entfernen, um z. B. ein Reh zu jagen oder Hasen zu hetzen. Dennoch, in unserer Gesellschaft muss sich der Hund auch an solche Regeln halten, nur so kann er möglichst viel Freiraum genießen. Doch bevor du deinen Hund hierfür bestrafst, frage dich, ob er wirklich schon gelernt hat, dein Signal auszuführen. Weiß er, was es bedeutet, wenn du „Fuß“ oder „Hier“ sagst? Nicht selten wird, anstatt dem Hund mithilfe der positiven Verstärkung deutlich zu machen, an welcher Position er an der Leine laufen soll, immer noch an dieser geruckt, wenn der Hund da läuft, wo er nicht laufen soll. Überprüfe zudem deinen Trainingsplan und gehe im Training lieber noch einmal ein paar Schritte zurück. Hat dein Hund noch nicht gelernt, wirklich in jeder Situation auf deinen Rückruf zu reagieren, führe ihn z. B. an der Schleppleine und steigere die Schwierigkeit beim Training in kleinen Schritten. 

Natürlich scheint es verlockend, mal eben das Sprühimpulsgerät um den Hals des Hundes zu binden und aufs Knöpfchen zu drücken. Doch fair gegenüber deinem Hund ist das leider nicht. Erziehung braucht nun einmal Zeit, und diese solltest du deinem Hund auch geben. Mit positiver Verstärkung und konsequentem, geduldigen Üben kommst du letztlich am Ende an dein Ziel: zu einer vertrauensvollen Beziehung zwischen dir und deinem Hund.