Spielen ohne Spielzeug
Zu mir als Hundetrainerin kommen Menschen, die Probleme mit ihrem Hund haben oder bestimmte Trainingsziele erreichen möchten. In einem ersten Gespräch stelle ich eine Reihe von Fragen, um mehr über das Zusammenleben genau dieses Mensch-Hund-Teams und ihrer Beziehung zueinander zu erfahren. Eine essenzielle Frage ist dabei immer: „Mit was und wie intensiv beschäftigst du deinen Hund?“
Frage ich meine Kunden und Kundinnen, wie sie mit ihrem Hund spielen, bezieht sich deren Antwort tatsächlich meistens auf ein Spiel mit Gegenständen. Es werden fast immer Objektspiele mit dem Hund durchgeführt, also Spiele mit Gegenständen wie einem Stöckchen (Achtung, Verletzungsgefahr! Nicht zu empfehlen), einem Ball, Futterbeutel oder Kong, einer Frisbee oder einem Zerrseil bzw. Spieltau. Der Gegenstand wird dementsprechend dann geworfen und vom Hund geholt – oder eben auch nicht. Bitte ich meine Kunden und Kundinnen, mir das Spiel mit ihrem Hund doch einmal zu zeigen, endet es oft damit, dass der Hund dem Ball hinterherrennt, ihn aufnimmt und dann wieder fallen lässt. Erst wenn der Mensch den Ball geholt und erneut geworfen hat, interessiert sich der Hund wieder dafür. Nicht selten läuft der Hund auch mit dem Ball vor dem Menschen weg, während dieser versucht, den Hund zu sich zu locken und mithilfe von Bestechung durch Leckerli oder andere Spielzeuge wieder an den Ball zu kommen. Beliebt vor allem bei männlichen Hundehaltern ist das Zerrspiel mit einem großen Tau, an dem der Hund kräftig ziehen soll. Wer von beiden ist wohl stärker? Hund oder Mann? Hierbei geht es dann vor allem darum, Kräfte zu messen.
Doch handelt es sich bei Objektspielen, so wie die meisten Menschen sie mit ihrem Hund spielen, wirklich um ein Spiel für beide Seiten? Für mich als Trainerin ist jede Art von Spiel mit dem Hund erst einmal gut, denn es findet Interaktion statt, der Hund wird beschäftigt. Aber warum assoziieren die meisten Menschen den Begriff „Spiel“ immer mit einem Gegenstand, wenn es um das Spiel mit Hunden geht? Wissen wir vielleicht nicht um die zahlreichen anderen Möglichkeiten, mit unseren Hunden zu spielen?
Definition „Spiel“
Schauen wir uns erst einmal an, was der Begriff Spiel eigentlich bedeutet. Dorit Feddersen-Petersen beschreibt Spiel als „angeborenes und erlerntes Verhalten“, das „so viele Handlungsvarianten wie sonst keine Verhaltensweise“ umfasst und „Elemente aus allen Verhaltensbereichen enthalten“ kann. „Spielverhalten ist weder irgendeine begrenzte Verhaltenskategorie, noch kann es einem definierten Funktionskreis zugeordnet werden“ (Feddersen-Petersen, 2001, S.20).
Dies bedeutet, dass es Spiel in allen Motivationsbereichen des Hundes gibt, also im territorialen, jagdlichen, sozialen und sexuellen Bereich. Mithilfe des Spiels bereiten sich unsere Hunde auf das Leben vor, motorische Abläufe werden geübt, damit sie im Ernstfall abgerufen werden können. Konkret bedeutet dies: Im Spiel sieht man Hunde die wildesten und bedrohlichsten Grimassen schneiden, spielerisch wird der andere Hund in die Fesseln gebissen oder verjagt. Der Hund übt in dem Fall, einen Gegner aus seinem Territorium zu vertreiben. Schleicht sich der Hund im Spiel in geduckter Haltung an ein Blatt an, das sich im Wind bewegt, verharrt, setzt zum Sprung an und packt das Blatt, übt sich der Hund auf spielerische Art und Weise im Jagen. Im Spiel miteinander sieht man häufig Rennspiele mit ständig wechselnden Rollen, aber auch das Selbsthandicap, bei dem sich der eigentlich überlegene Spielpartner auf den Rücken wirft und „ergibt“. Bei sexuellen Spielen üben Hunde das spielerische Aufreiten, aber auch das Vertreiben möglicher Konkurrenten.
Für alle Varianten gilt: Spielen macht dem Hund Spaß und fördert die Beziehung der Hunde untereinander. Sie verfolgen gemeinsame Ziele und Interessen und im Ernstfall sichert es das Überleben aller.
Objektspiel und Sozialspiel
Hunde untereinander spielen häufig ohne Hilfsmittel, sogenannte Sozialspiele. Zwar kann auch eine Beute zum Objekt der Begierde werden, die dem anderen abgejagt wird, um die gestritten wird und die der Gewinner des Beutestreits dann provokativ präsentiert, doch genau das führt dann schnell auch dazu, dass das Spiel kippt, dass aus Spiel Ernst wird, und es zu einem echten Beutestreit kommt. Für ein ausgelassenes Spiel brauchen Hunde in der Regel keine Objekte. Doch weshalb spielen wir Menschen so häufig mit Objekten mit unseren Hunden? Und was macht den Unterschied zwischen einem Spiel mit und ohne Objekt eigentlich aus?
Sowohl Apportier- als auch Zerrspiele sind immer an Bedingungen und Erwartungen an den Hund geknüpft, der Mensch stellt Regeln auf, die der Hund befolgen soll. Beim Zerrspiel soll der Hund auf das Signal „Aus“ sofort loslassen und das Zerren einstellen. Beim „Apportierspiel“ soll der Hund sitzen bleiben, während der Ball geworfen wird. Erst auf Signal des Menschen darf er ihn holen. Hat er den Ball, soll er ihn doch bitte auf direktem Weg zum Menschen bringen und abgeben. Es handelt sich hierbei durchaus um eine sinnvolle Beschäftigung mit dem Hund! Jedoch fehlt ein wesentlicher Bestandteil des Spiels: die Wechselseitigkeit.
Kriterien „echtes Spiel“
Schauen wir uns dazu doch einmal an, welche Kriterien überhaupt erfüllt sein müssen, damit es sich um ein „echtes“ Spiel handelt:
Immer neu kombinierte Handlungen
Wiederholungen
Rollenwechsel
Keine Endhandlung
Kein Ernstbezug
Übertriebenes Ausdrucksverhalten
Keine Antriebe aus anderen Funktionskreisen
„Entspanntes Feld“
Schaden Sozialspiele der Beziehung zwischen Mensch und Hund?
Während des Lockdowns 2020, als unsere Gruppenstunden über Zoom Meetings stattfanden, haben wir in den Gruppen das Thema „Richtig spielen mit deinem Hund“ besprochen. Zur Verbesserung der Anschaulichkeit habe ich mich und meine Hündin Lorelei beim Spielen gefilmt. Lorelei durfte mich dabei körperlich anspringen und mir in die Arme beißen, genauso wie sie es sonst auch gern bei ihrer hündischen Spielkameradin Hope macht, der sie immer in die Fesseln beißt. Es wurde aber auch dynamisch, indem wir beide voreinander wegrannten, und immer dann, wenn ich mich an sie angeschlichen habe, animierte sie das, das Spiel fortzusetzen.
Trainingsaufgabe für meine Kunden und Kundinnen war nun, es mir und Lorelei gleichzutun und ebenfalls ein Video vom gemeinsamen Spiel mit ihrem Hund zu erstellen. Es stellte sich heraus, dass dies für die meisten gar nicht so einfach war. Am besten funktionierte das Spiel in den Alltagsgruppen, in denen Mensch und Hund schon über Jahre ein Team geworden waren und großes Vertrauen zueinander bestand. Die Junghunde hingegen waren eher skeptisch, wenn die Menschen versuchten, ein Spiel zu starten. Beim Versuch, die Ursache hierfür zu ergründen, gab es dann auch häufig die Rückmeldung, dass die Menschen Angst hatten, etwas falsch zu machen. Sie wollten nichts kaputt machen in der Beziehung zu ihrem Hund, und hatten Angst, dass dies der Fall sein könnte, wenn ihr Hund jetzt auf einmal so körperlich im Umgang mit ihnen sein durfte. Befangenheit und Unsicherheit machten sich breit. Ich ermutigte meine Kunden und Kundinnen, sich selbst ganz auf das Spiel einzulassen und herauszufinden, welche Spielform ihr Hund am meisten bevorzugte, womit er sich also am ehesten zu einem gemeinsamen Spiel motivieren ließ. Denn anstatt die gute Beziehung zum Hund zu gefährden, fördert diese Art des Spiels vielmehr die Bindung zwischen Mensch und Hund, da es Vertrauen in den oder die Spielpartner:in voraussetzt und durch die Wechselseitigkeit auch der Mensch immer wieder einmal die unterlegene Person ist. Dennoch kommt es darauf an, die richtige Spielform für jeden Hund zu finden. Diese ist abhängig vom Charakter des Hundes und seiner Veranlagung. Wenn der Hund sich vom Menschen verstanden fühlt und seine Bedürfnisse befriedigt werden, stärkt auch dies die Bindung zwischen Mensch und Hund.
Sozialspiel zwischen Mensch und Hund
Starte das Spiel, indem du deinen Hund aufforderst, mit dir zu spielen. Dabei darfst du gern ein wenig Körpereinsatz zeigen. Nutze die hündische Kommunikation, indem du Spielsignale, die Hunde untereinander zeigen, in die menschliche Körpersprache umwandelst. Zur Spielaufforderung kannst du dich hinhocken, deinen Oberkörper nach vorn beugen, deinen Körper auf Spannung bringen und so für einige Augenblicke verharren. Manchen Hunden kannst du dabei in die Augen schauen, ohne sie jedoch zu fixieren, du kannst dabei gern auch lachen. Deine Ausdrucksweise soll übertrieben sein, du zeigst also sozusagen dein „Spielgesicht“. Nun wartest du, dass dein Hund auf deine Spielaufforderung eingeht. Er wird vielleicht eine Vorderkörpertiefstellung zeigen und nun ein Startsignal von dir erwarten, um z. B. mit einem rasanten Rennspiel zu beginnen. Rennspiele zwischen Mensch und Hund sind möglich, leider sind wir Menschen in der Regel jedoch nicht schneller als ein Hund. Oft ist das Spiel daher nicht ausgeglichen und wechselseitig, außer unser Hund stellt sich auf uns ein. Häufig stellt der Hund jedoch sich und seine Fitness sehr klar dar und zeigt, wie überlegen er dem Menschen ist. Probiere es einfach einmal aus und beobachte, wie dein Hund reagiert. Beim Rennspiel kannst du auch Objekte mit einbeziehen, wenn dein Hund keine Probleme mit der Abgabe der Beute hat. Dabei kann dein Hund zunächst dir und dann kannst du deinem Hund die Beute abjagen.
Beiß- und Kampfspiele sind eine weitere Spielform, die du mit deinem Hund spielen kannst. Nutze deine Hand als Maul, beginne deinen Hund zu kraulen und greife ihm spielerisch über die Schnauze oder in die Fesseln. Daraus kann ein sehr inniges Spiel werden, bei dem du und dein Hund über den Boden rollen: mal liegt der eine oben, mal der andere. Spielerisch darf dein Hund dir dann auch mal in Hände oder Arme beißen, wenn er zuvor eine gut ausgeprägte Beißhemmung gegenüber dem Menschen erlernt hat.
Auch gemeinsame Jagdspiele sind möglich, die Natur bietet hierfür unendlich viele Möglichkeiten. Wenn du beispielsweise auf dem Spaziergang einen Schmetterling entdeckst, der auf einer Blume sitzt, kannst du diesen fixieren und warten, bis dein Hund dein Verhalten bemerkt. Gemeinsam schleicht ihr beide nun an den Schmetterling an, bis ihr zum Sprung ansetzt, um ihn zu packen – in aller Regel wohl erfolglos und damit natürlich auch ungefährlich für den Schmetterling ...
Auch Sozialspiele haben Regeln
Beim Sozialspiel nehmen ranghohe Hunde nicht selten den eher unsicheren, zurückhaltenden Part ein und spielen damit ein Selbsthandicap. Dadurch kann der Rangniedrige den Ranghöheren unterwerfen, ihn jagen, bedrohen etc., ohne dass dies ernsthafte Konsequenzen hätte. Vor allem bei sich vertrauten Hunden sieht man häufig solche Spielformen, bei denen sich der eigentlich überlegene Hund in die untergebene Position bringt, ganz klassisch beispielsweise bei Elterntieren gegenüber ihrem Nachwuchs. Dieses Verhalten kennen wir auch bei uns Menschen!
Doch natürlich gibt es hierbei auch Grenzen und es müssen gewisse Regeln eingehalten werden. Der Rangniedrige darf nicht übertreiben, den Spielpartner bzw. die Spielpartnerin ernsthaft verletzen, da sonst aus Spiel auch schnell einmal Ernst werden kann. Insbesondere bei körperlichen Spielen zwischen Hund und Mensch muss man die Intensität immer im Blick haben, denn Verletzungen erfolgen aufgrund der körperlichen Gegebenheiten bei uns nun einmal schneller als beim Hund. Hast du einen sehr körperlichen und distanzlosen Hund, der auch außerhalb von Spielsituationen ständig nach dir schnappt, dich zwickt und anrempelt, solltest du auf körperliche Spiele besser verzichten. Dein Hund würde sonst lernen, dass du ein solch rabiates Verhalten offensichtlich wünschst. Damit förderst du diese Distanzlosigkeit, und es könnte letztlich dann zu einer ernsthaften Verletzung kommen. Hast du jedoch einen eher zurückhaltenden Hund, darf es gern auch mal ein bisschen stürmischer zugehen.
Zuvor muss dein Hund jedoch erst einmal lernen, was im Spiel erlaubt ist und wo die Grenzen sind. Hunde erlernen die Grenzen untereinander bereits von Welpe an im gemeinsamen Miteinander:
Der Welpe kommt zunächst ohne Beißhemmung auf die Welt. Es ist ihm nicht bewusst, wie stark er seine Zähne bei einem Sozialpartner einsetzen darf, ohne dass es diesem zu schmerzhaft wird. Mit Beginn der Sozialisierungsphase ab der vierten Woche probieren die Welpen sich aus und werden im Spiel immer rauer und heftiger. Wird es dem Spielpartner zu viel, stößt dieser einen Schmerzschrei aus und beendet das gemeinsame Spiel. Manchmal beißt der Spielpartner sogar zurück. Durch beide Maßnahmen lernt der Welpe, dass es wenig sinnvoll ist, sein Verhalten weiter in dieser Stärke zu zeigen, denn dann ist das schöne gemeinsame Spiel erst einmal beendet. Da der Welpe aber weiterhin spielen möchte, wird er sein zukünftiges Verhalten anpassen. Im weiteren Spiel kann er nun herausfinden, wie stark er zubeißen darf, damit das Spiel noch weitergeht.
Wenn dein Hund im Spiel mit dir seine Zähne zu stark einsetzt oder zu körperlich wird, also immer dann, wenn es zu grob zugeht, beendest du das Spiel. Du kannst deinem Hund auch mit einem Aufschrei klar machen, dass er eine Grenze überschritten hat. Beginne damit bereits von Welpe an, denn wenn dein Welpe gelernt hat, vorsichtig mit dir umzugehen, kann dein Hund auch im erwachsenen Alter in aller Regel sanft mit dir (und anderen Menschen) umgehen. Hat dein Hund dies gelernt, kannst du mit ihm problemlos Beiß- und Kampfspiele durchführen, dich mit ihm auf dem Boden rollen oder von ihm jagen lassen.
Spielbeginn, Spielverlauf und Spielende
Doch Achtung, die Wechselseitigkeit ist, wie zuvor schon geschrieben, ein wichtiges Kriterium. Wenn immer nur dein Hund der „Bestimmer“ sein will und sich nicht auf dich einlässt, kann das letztlich zu Problemen in der Beziehung zwischen dir und deinem Hund führen. Achte also darauf, dass das Verhältnis, wer ein Spiel beginnt, das Tempo und den Verlauf bestimmt sowie das Spiel beendet, immer zu Gunsten deiner Entscheidungen liegt. Natürlich darf also auch dein Hund dich mal zu einem Spiel auffordern. Manchmal gehst du dann darauf ein, manchmal ignorierst du die Aufforderung deines Hundes jedoch. Denn auch wenn unter Hunden beide Spielpartner einander zum Spiel auffordern dürfen, solltest im Spiel mit deinem Hund immer du die Entscheidung treffen, ob ein Spiel auch tatsächlich stattfindet. So verdeutlichst du deinem Hund, dass du derjenige bzw. diejenige in eurer Beziehung bist, der bzw. die Entscheidungen trifft, die Gruppe anführt und an dem oder der dein Hund sich orientieren kann. Achte auch darauf, das Spiel nach Möglichkeit selbst zu beenden, am besten dann, wenn es am schönsten ist. Hunde beenden ein Spiel meist abrupt, indem in der Regel der ranghöhere Hund auf einmal anfängt, auf dem Boden zu schnüffeln und den Spielpartner zu ignorieren. Beende also auch du das Spiel, indem du alle Aktivitäten einstellst, deinen Hund ignorierst und dich mit etwas anderem beschäftigst. Würde dein Hund das Spiel beenden, müsstest du um seine Aufmerksamkeit buhlen, ein Verhalten, das in einer Gruppe von Hunden eher die Rangniedrigen zeigen. Achte also auf deinen Hund und beobachte ihn genau: Zeigt er bereits Anzeichen dafür, dass seine Motivation zum Spiel nachlässt? Dann ist es spätestens jetzt an der Zeit, das Spiel zu beenden!
Literatur:
Hunde und ihre Menschen: Sozialverhalten, Verhaltensentwicklung und Hund-Mensch-Beziehung als Grundlage von Wesenstests, Dorit Feddersen-Petersen, 2001, Franckh-Kosmos Verlag