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Phänomen „Rudelstellungskonzept“

Das sogenannte Rudelstellungskonzept kursiert seit einigen Jahren in der deutschen Hundeszene. Nach dem Konzept soll jeder Hund mit einer genetisch fixierten „Stellung/ Position“ im Rudel geboren werden. Diese angeborene Position soll nicht nur über „Aufgaben“ entscheiden, die der Hund im Rudel zu erfüllen hat, sondern auch über seine Eigenschaften (sein Wesen) im weitesten Sinne. Nach dem Rudelstellungskonzept hat es „fatale Auswirkungen“ wenn die falschen Hunde (= Hunde, die nach ihrer angeborenen Position nicht zusammen passen) in einer Gruppe zusammen leben. Gleichzeitig definiert das Konzept, welche Hunde wie zusammen leben sollten bzw. können und wie mit den Hunden in Abhängigkeit von ihrer Rudelstellung umgegangen werden soll (Auswirkung auf Haltung und Ausbildung).

Das Konzept soll von einem Gärtnermeister (und Hundezüchter) bzw. in seiner Familie entwickelt und seit dem 19. Jahrhundert tradiert worden sein. Dieser Gärtnermeister soll sein Wissen dann an die eine Person weitergegeben haben, die es heute in Deutschland propagiert und dazu Einschätzungsseminare anbietet.

Die Quelle, aus der sich die eben genannten Informationen speisen, ist die Website des Vereins zum Rudelstellungskonzept. Wissenschaftlich fundierte Informationen zum Konzept werden darauf von den Befürwortern nicht gegeben.

Wenn man das aktuelle Wissen und die aktuelle Forschung über Hundeverhalten und Hundegenetik betrachtet, gibt es für eine angeborene feste Position im Rudel, und für das Rudelstellungskonzept schlechthin, keinen wissenschaftlichen Hintergrund.

Befürworter des Konzepts werben damit, dass zur Zeit wissenschaftliche Untersuchungen stattfinden, und auf der oben genannten Website werden „erste Ergebnisse“ vorgestellt. Diese sogenannten wissenschaftlichen Untersuchungen müssen kritisch gewürdigt werden, denn es wird nicht angegeben wo und durch wen dieses Forschungsprojekt durchgeführt wird (es wird nur gesagt, dass es an „einer deutschen Universität“ stattfindet). Es sollen dabei Gene für Rezeptoren bestimmter Neurotransmitter untersucht werden, die laut wissenschaftlichen Fachpublikationen einen gewissen Polymorphismus aufweisen1 , der im Zusammenhang mit einer einzigen charakterlichen Dimension (Activity-Impulsivity) bei einer Rasse (Deutscher Schäferhund) untersucht wurde. Eine Übertragung der Ergebnisse solcher individuellen „personality-trait“-Untersuchungen auf ein generelles „Rudelstellungskonzept“, welches für alle Hunde egal welcher Rasse gelten soll, ist mehr als fraglich – zumal sich hier die Katze in den Schwanz beißt. Die Unterschiede im Genom sollen als Beweis für eine angeborene Rudelstellung dienen – die angeborene Rudelstellung wird aber einfach als existent vorausgesetzt und wurde nicht auf anderem Wege wissenschaftlich (z.B. durch Beobachtungen verschiedenster Forschergruppen) belegt. Eine derartige Vorgehensweise widerspricht guter wissenschaftlicher Praxis. Verhaltensmuster und Charakter eines Individuums sind die Summe aus seinen genetischen Prädispositionen und seinen Umwelterfahrungen. Lernprozesse finden schon in der Trächtigkeit statt und werden ab dem Zeitpunkt der Geburt intensiviert. Diese Lernprozesse haben einen großen Anteil an der Entwicklung des Individuums. Selbst wenn man heute von einer genetischen Prädisposition z.B. im sogenannten „shyness-boldness-continuum“ ausgeht heißt dies nicht, dass die Gene alleine vorgeben, ob sich ein Hund zu einem sehr ängstlichen Individuum entwickelt oder nicht. Riemer et al.2 haben dies gerade kürzlich in einer Langzeitstudie zur Fragestellung „wie aussagekräftig sind Welpentests“ gezeigt. Ihr Fazit: „We conclude that the predictive validity of early tests for predicting specific behavioural traits in adult pet dogs is limited.“

Zum jetzigen Zeitpunkt sieht der Vorstand der GTVMT das Rudelstellungskonzept kritisch und warnt davor, die Lebensbedingungen und den Umgang mit einem Hund (z.B. auch die Entscheidung über Trainingsmethoden) pauschal von einer derartigen Einschätzung abhängig zu machen. Informationen aus dem Internet, wonach es Tauschbörsen für „nicht passende“ Hunde gibt, stimmen bedenklich. Die Verunsicherung von Besitzern, denen suggeriert wird, dass sie einen „falschen“ Hund haben, kann zu negativen bis hin zu tierschutzrelevanten Folgekonsequenzen für Hunde führen. Eine Rudelstellungs-Beratung vor dem Kauf kann dazu führen, dass Besitzer von Anfang an mit falschen Erwartungen an den Hund heran gehen und auch dies kann zu negativen und unter Umständen tierschutzrelevanten Folgekonsequenzen für den Hund führen.

Dr. Barbara Schöning
(GTVMT Vorstand)
Hamburg, 12.09.2014

 

1  z.B.: Kubinyi E, Vas J, Heijjas K, Ronai Z, Bruder I, Turcscan B, Sasvari.Szekely M, Miklosi A (2012): Polymorphism in the tyrosine hydroxylase (TH) gen is associated with activizty-impulsivity in German Shepherd dogs. PlosOne 7, 30271 

Riemer S, Mueller C, Viranyi Z, Huber L, Range R (2014): The predictive value of early behavioural assessments in pet dogs – a longitudinal study from neonates to adults. PlosOne 9, 101237