Last-Minute-Tipps gegen Silvesterangst
Update Dezember 2024
Die schlechte Nachricht gleich vorweg: Es ist viel zu spät, die Silvesterangst deines Hundes jetzt noch wirklich in Griff zu bekommen. Ich gebe dir hier ein paar Last-Minute-Tipps und nenne Maßnahmen, die aber dazu führen können, dass die Silvesternacht für deinen Hund in diesem Jahr etwas entspannter wird. Um für Silvester 2025 richtig vorbereitet zu sein, solltest du jedenfalls unbedingt in den nächsten Wochen bereits mit dem Training und den richtigen Vorbereitungen beginnen. In meiner Online Hundeschule habe ich dafür einen eigenen Knalltraining-Kurs erstellt.
Gerade Geräuschängste, wie z. B. die Angst vor Feuerwerken, Knallern oder Gewittern, sind tückisch, da sie meist nie von Beginn an da sind, aber es meist den einen Moment gibt, an dem sie beginnen. Oft ist das nur ein belangloser, aber plötzlicher Knall, der eben unerwartet kommt und nicht zugeordnet werden kann. Das ist das Hauptproblem bei Geräuschangst: die Lärmquelle kann nicht zugeordnet werden und der Hund hat damit keine Möglichkeit, seinem Gehirn zu erlauben, den Reiz richtig zuzuordnen. Denn BUMMMM, kommt meist auch schon der nächste Knall. Ich vergleiche das gerne mit der Angst von Menschen beim Fliegen: man erschrickt, das Gehirn möchte sich orientieren und erholen und schon holpert es wieder und wieder... Und irgendwann bleibt nur noch die Angst vor der Angst.
Ängste schützen uns ja vor vielem, können aber in manchen Fällen sehr einschränkend und dysfunktional sein. Das Problem: sie sind in der Großhirnrinde programmiert und lassen sich nicht einfach löschen, jedoch mit geduldigem Training positiv überlagern.
Hier nun aber ein paar, mehr oder wenige kurzfristige Tipps gegen die Silvesterangst deines Hundes:
KAUEN & LECKEN
Ein großer, saftiger Kauknochen oder ein gefüllter KONG® mit Frischkäse, Leberwurst o. Ä. lenkt nicht nur ab, das Lecken und Kauen setzt auch Glücks- und Beruhigungshormone frei, die den Hund automatisch ein bisschen beruhigen – ähnlich wie das Schnullernuckeln eines Babys. Tipp: Im gefrorenen Zustand ist der Hund umso länger mit dem „Leckobjekt“ beschäftigt.
VORHÄNGE ZU, MUSIK AN
Vorhänge und Jalousien am besten frühzeitig schließen. Entspannende Musik, die in höchstmöglicher, aber noch angenehmer Lautstärke läuft, dämpft Knallgeräusche gut ab. Wenn möglich, gerne früh genug mit dem Hund in den Keller gehen. Dr. Deborah Wells von der Queens University in Belfast erforschte übrigens an verschiedenen Tieren, dass klassische Musik nachweislich entspannen würde. Tierheimhunden wurde beispielsweise leichte klassische Musik wie Mozart oder Balladen vorgespielt, welche die Hunde nachweislich beruhigten, wohingegen Popmusik oder das Vorspielen menschlicher Gespräche vom Tonband keine Auswirkung auf die Stimmung der Hunde hatte. Musik von Wagner, Hardrock oder Heavy Metal hingegen riefen wesentlich mehr Stress hervor (Wells 2000).
Die Verhaltenstierärztin Sophie Strodtbeck berichtete vor einige Zeit davon, dass die banale Idee, ihrem Hund etwas Watte in die Ohren zu stecken und diese mit einem Schal und selbsthaftenden Verband um den Kopf zu fixieren, wesentlich zur Entspannung beigetragen hat. Alternativ wären hierzu auch spezielle Ohrenschützer für Hunde denkbar. Meine Kollegin Ellen Marques von der Martin Rütter Hundeschule Köln nutzt dieses Jahr für ihren geräuschängstlichen Hund ein Bluetooth-Stirnband, über das Musik abgespielt wird. So einfach die Idee auch wirkt, ich finde sie gut! Natürlich ist dieses „neue Gefühl“ am und im Ohr aber nicht "jederhunds" Sache - daher muss er schon vorher richtig daran gewöhnt werden.
RÜCKZUG BIETEN
Verkriechen ist an Silvester überall erlaubt (auch wenn der Bereich sonst evtl. verboten ist). Früh genug und richtig aufgebaut, kann auch eine eigene faltbare Transportbox eine gut geeignete Höhle für den Hund sein, nicht nur zu Silvester. Krabbelt Dein Hund plötzlich aufs Sofa oder ins Bett, lass das bitte zu. Verstehe es als großes Kompliment an eure Mensch-Hund-Beziehung – schließlich sucht der Hund deine Nähe und Sicherheit, um zu entspannen.
NÄHE ZULASSEN
Will sich dein Hund an dich kuscheln, lass das bitte auch zu. Der Rat den Hund in einer Angstsituation nicht streicheln zu dürfen, um die Angst nicht zu verstärken, ist mittlerweile längst überholt. Wenngleich es schon wichtig ist, die Situation für den Hund durch übertriebene Aufmerksamkeit nicht weiter besonders zu machen. Ruhe und Gelassenheit auszustrahlen, hilft deinem Hund, möglichst nichts Außergewöhnliches an der Situation zu finden. Eine sanfte Massage schüttet übrigens nachweislich das Bindungshormon Oxytocin aus, das ein Gegenspieler des Stresshormons Cortisol ist.
Ein sanftes Kraulen ist allerdings nur dann sinnvoll, wenn dein Hund es auch genießt und nicht dazu genötigt wird. Manche Hunde schätzen es auch nur gehalten zu werden oder entspannen ein bisschen besser, wenn man ihnen eine Hand auflegt, um Nähe zu zeigen.
Immer wieder hört man auch vom sog. ThunderShirt®. Es handelt sich dabei im Prinzip um einen engen Body, der dem Hund durch die eher enge Kompression am Körper Sicherheit & Ruhe vermitteln soll, wie es früher mit dem engen Wickeln von Babys gedacht war. Ehrlicherweise haben wir keine erwähnenswerten Erfahrungen damit gemacht, wenngleich es von Kund:innen als unterstützende Maßnahme immer wieder positiv erwähnt wird. Auch hier sei betont, dass dein Hund natürlich das Tragen von Mänteln oder Bodies dieser Art gewöhnt sein sollte oder zumindest einwandfrei akzeptieren muss. Andernfalls wäre die Anwendung mehr als kontraproduktiv.
AUSLASTEN & MÜDE MACHEN
Vor Silvester sollte der Hund noch mal bestmöglich ausgelastet werden. Dafür am besten tagsüber raus aus der Stadt, um Geräuschen und Geruch von Knallkörpern bestmöglich zu entkommen. Ist dein Vierbeiner dann geistig und körperlich gut ausgepowert, wird er froh sein, zuhause seine Ruhe zu haben und sich eher weniger mit seiner Angst beschäftigen. Nutze also beispielsweise kreative Futtersuchspiele, komplexe Apportieraufgaben und ein bisschen körperliches Training, um deinen Hund richtig müde zu machen. Achtung: Sicherheitshalber sollten das Training und die Spaziergänge bereits jetzt an der Schleppleine stattfinden.
VORSICHT BEI MEDIKAMTEN
Achtung beim Wirkstoff „Acepromazin“ (z.B. in „Sedalin“, „Vetranquil“, „Calmivet“, „Prequillan“ enthalten): Der Hund wird damit nur körperlich sediert und ist motorisch unfähig sich gegen die Angst zu wehren, kriegt aber geistig alles mit! Achtung: Manche Tierärzt:innen empfehlen diesen Wirkstoff noch immer. Ein Hund mit echten Angstzuständen kann und sollte in Absprache mit einer:m guten Tierarzt:in medikamentöse Unterstützung bekommen. Der Ulmer Tierarzt Ralph Rückert beschreibt echte Geräusch- und Silvesterangst, die „pharmakologisch gedämpft werden sollte“, wie folgt: „Es geht in erster Linie um Hunde, die an Silvester unter panischen, nicht kontrollierbaren Angstzuständen leiden, also um Tiere, die völlig erstarren, die nur noch zittern, die Harn und Kot unter sich lassen oder erbrechen, die auch durch ein offenes Fenster im dritten Stock springen würden, um der Situation zu entgehen...“. Die Wirkstoffe, die in diesen Fällen dann zur Anwendung kommen sollten, sind meist sog. „Benzodiazepine“ – sie wirken angstlösend, können aber auch Nebenwirkungen wie z. B. Enthemmung haben. Daher die Gabe und Dosierung unbedingt genau mit dem Tierarzt des Vertrauens abklären! Vor einiger Zeit hatte ich die Ehre, Ralph Rückert in unserem Podcast HUNDESTUNDE persönlich zum Thema zu interviewen.
PHEROMONE UND NAHRUNGSERGÄNZUNGEN
Hunden, die zwar auch ängstlich sind, aber ihre Angst noch irgendwie kontrollieren können, kann oft mit etwas harmloseren Mitteln geholfen werden. Pheromone sind chemische Botenstoffe in Form von Duftstoffen, die eigentlich der innerartlichen Kommunikation dienen. Das sog. „Dog Appeasing Pheromone“ (DAP) spielt gerade in Bezug auf Stress und Angsttherapie eine große Rolle. In der Welpenzeit wird es von der Mutterhündin in der Zitzenregion produziert und soll auf die Welpen eine beruhigende, sicherheitsgebende Wirkung haben. Die Firma ADAPTIL® stellt dieses Pheromon als einziger Hersteller synthetisch her und schwört auf eine ebenso beruhigende Wirkung bei erwachsenen Hunden. In Form von Steckern, Halsbändern und Sprays kann damit also zumindest ein Versuch der Verbesserung unternommen werden. Zu Silvester empfiehlt ADAPTIL® konkret mind. 24 Stunden vor der angstauslösenden Situation den Stecker zu nutzen (also im besten Fall schon ein paar Tage vor Silvester, sofern da schon geschossen wird) und für ca. eine Woche anzuwenden. Etwa 2 Stunden vor dem „Hauptereignis“ sollten ADAPTIL® Tabletten verabreicht werden. Diese enthalten keine Pheromone, sondern Nahrungsergänzungen wie z.B. die Aminosäure L-Tryptophan, die als Vorläufer und Türöffner des Stimmungsmachers Serotonin gilt. Auch „Zylkene“-Tabletten werden in diesem Zusammenhang oft genannt und können bei frühzeitiger Gabe Hilfe leisten. Laut Dr. Rückert müssen diese an Silvester aber in 3- bis 4-facher Dosis verabreicht werden, um überhaupt die Chance einer Wirkung zu erzielen.
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ALTERNATIVMEDIZIN
Ich bin ganz ehrlich und glaube hier wenn überhaupt an einen Placebo-Effekt, der bei Halter:innen entsteht. Sofern dieser dann zu einer entspannteren Stimmungsübertragung auf den Hund beiträgt, haben auch rituelle Tänze (bitte nur zu Musik von Mozart), Schüssler Salze, Bachblüten und Co. ihre Berechtigung. Angst gehört in der Verhaltenstherapie zu den komplexesten und schwierigsten Themen und ich finde einfach, wenn es DAS Mittelchen gäbe, das wirklich nachweislich dagegen hilft, würde es mit Sicherheit jeder kennen und bei Bedarf nutzen. Auch hierzu habe ich Ralph Rückert im Podcast um seine fachliche Meinung gebeten.
DER WICHTIGSTE RAT
Sei ein starker Partner für deinen Hund! Nicht nur in der Angstsituation selbst, sondern im gesamten Zusammenleben. Nur wenn dein Hund dich auch sonst im Alltag ernst nehmen kann, wird er dir in schwierigen Momenten vertrauen. Wie du dazu am besten beiträgst? Sei in deinen Vorhaben konsequent – nur wer wirklich weiß, was er will und dem auch nachgeht, ist glaubhaft. Lass dich von deinem Hund im Alltag nicht zu sehr manipulieren und lenken. So blöd es klingt: Du machst dich damit, bewusst oder unbewusst, zu seiner Marionette und damit sicher nicht zu einer schutzbietenden Vertrauensperson. Das heißt z. B. auch, dass du einer Streichelaufforderung nicht immer einfach nachgehen solltest, sondern selbst entscheiden darfst, wann Aufmerksamkeit stattfindet. Andernfalls gibst du deinem Hund zu verstehen, dass du dich an ihm orientierst und nicht umgekehrt. Und gerade in Angstsituationen möchte man ja genau das Gegenteil vermitteln. Mehr dazu kannst du hier nachlesen.
ALKOHOL UND HANF - KEIN WITZ
Immer wieder mal darüber gelesen, doch galt die Verabreichung von Alkohol an einen Hund bisher immer als tierschutzrelevante Untat. Tierarzt Ralph Rückert hat in einem Blogbeitrag ein Tabuthema deutlich relativiert: „Alkohol, von Hunden speziell in Form von Eierlikör sehr gern aufgenommen, ist natürlich - wie wir fast alle wissen - in der korrekten Dosierung ein recht potentes Sedativum mit angstlösender Wirkung. Mein Terrier Nogger (knapp 10 kg schwer) hat letztes Silvester um 20 und um 23 Uhr jeweils einen Esslöffel Eierlikör bekommen, und es hat ihm sowohl sehr gut geschmeckt als auch nach meinem Dafürhalten beträchtlich geholfen. Diese meine Erfahrung wurde mir auch von verschiedensten Seiten genau so bestätigt.“
Alkohol taucht ja immer wieder auf der schwarzen Liste der für den Hund giftigen Lebensmittel auf. Aber auch hier gilt wie immer: Die Dosis macht das Gift. So bestätigt Rückert: „Hunde fallen von einer begrenzten Menge Alkohol keineswegs tot um, sondern werden – wie wir Menschen – einfach etwas angesäuselt, was in diesem Fall genau der gewünschte Effekt ist. Und Hunde werden auch nicht, wenn sie einmal im Jahr eine minimale Menge Alkohol bekommen, zu Alkoholikern.“
Neu im Trend ist auch Hanföl - es gilt vorwiegend als Schmerzmittel, kann aber auch aufgrund seiner angstlösenden Wirkung eingesetzt werden! Wer jetzt denkt, er wird damit seinen Hund high machen, irrt: CBD hat im Gegensatz zu THC eine nicht-psychoaktive Verbindung und beeinflusst weder die Hirnfunktionen noch das zentrale Nervensystem. CBD ist ein nicht-psychoaktives Cannabinoid. Besprich die Gabe und Dosis dennoch unbedingt rechtzeitig mit deiner:m Tierarzt:in – ein vorzeitiges Testen des Präparats ist zu empfehlen.
HILFT IMMER: RAUS BZW. WEGFAHREN!
Wer auf Nummer sicher gehen will, fährt über Silvester ein paar Tage in ländliche Gebiete, wo wenig bis gar nicht geböllert wird. Auch auf und um Flughäfen herrscht absolutes Knallverbot, weswegen Flughafenhotels eine kurzfristige Notlösungen sein können. Was auch immer sicher funktioniert ist, sich vor Mitternacht mit dem Hund ins Auto zu begeben und ein paar Stunden bei guter Musik herumzufahren.
SAFETY FIRST!
GANZ WICHTIG: Hunde sollten an und um Silvester vorsichtshalber immer an der (Schlepp-)Leine geführt werden! Selbst wenn er vorher keine Angst bestand – ein überraschender Knall kann immer ein Angstauslöser sein! Bitte geh nicht fahrlässig damit um, wenn dein Hund noch keine Angst vor Knallgeräuschen hat, in aller Regel entsteht diese leider erst im Laufe der Zeit mit einem oder mehreren Erlebnissen!
Die Firma Tractive bietet GPS-Halsbänder an, die dir zusätzliche Sicherheit geben kann, da man den Hund mit dem Handy via App tracken kann. Schließlich entlaufen leider immer noch um Silvester viel mehr Hunde als sonst.
Guten Rutsch und ein frohes neues Jahr!
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