Sind Leckerli Bestechung?
Die Hundewelt scheint gespalten, die Keksfrage wird zur Glaubensfrage: „Moment, ich muss noch schnell ein Leckerli zücken, damit mein Hund Sitz macht!“ versus „Ein Hund, der in der Erziehung mit Futter belohnt wird, entwickelt doch gar keine Bindung zu seinem Menschen!“ Was stimmt denn nun?
Zum Glück sind unsere Hunde viel zu komplexe und anspruchsvolle Lebewesen, um in die eine oder die andere Schublade zu passen! Im Training schließe ich daher Leckerli weder kategorisch aus, noch finde ich sie in jeder Situation angebracht.
Überlegen wir doch einmal, warum überhaupt Kekse in der Hundeerziehung verwendet werden: Um unseren Hund für ein bestimmtes Verhalten (z. B. „Platz“ oder „Hier“) zu belohnen. Man könnte aber doch auch andere Belohnungsformen wählen. Man könnte stimmlich loben, streicheln oder ein Spiel beginnen. Und da sind wir schon beim wichtigsten Punkt, den es zu allererst zu klären gilt: Was IST denn überhaupt eine Belohnung für meinen Hund? Unsere Hunde unterscheiden sich voneinander so wie wir Menschen auch. Sie haben Vorlieben und Abneigungen. Sie bringen genetisch fixierte Grundmotivationen mit sich. Ich kann nicht automatisch von einem Hund auf den anderen schließen, selbst wenn sie derselben Rasse angehören. Jeder Hund hat seine Persönlichkeit, die wir im Laufe eines gemeinsamen Lebens immer besser kennenlernen dürfen.
Wenn es für meinen Hund z. B. nichts Großartigeres gibt, als abends auf der Couch gestreichelt und bekuschelt zu werden, heißt das noch lange nicht, dass er es auch nur ansatzweise großartig findet, wenn ich ihn draußen im Park streichle, nachdem er sein Spielzeug apportiert hat. Die Belohnungsform passt hier nicht zur Situation. Kuscheln und Kontaktliegen im vertrauten häuslichen Umfeld mögen viele Hunde gern. Aber es gehört für die meisten nicht nach draußen in offenes Gelände. Und schon gar nicht gekoppelt mit einer jagdlichen Beschäftigung wie Apportieren. Hier kann ein Leckerli mehr Sinn machen. Zumindest wenn es sich um einen futtermotivierten Hund handelt. Wenn hingegen das Werfen und Bringen an sich bereits der größte Spaß für unseren Hund ist, dann wendet er evtl. den Kopf ab, wenn wir ihn mit Futter belohnen wollen oder er spuckt uns den Keks vor die Füße. Es gilt also nicht nur darauf zu achten, welche Belohnungsformen ein Hund überhaupt bevorzugt. Sondern auch noch je nach Situation zu unterscheiden, welche Belohnung denn gerade JETZT passt.
Wann sind Leckerli von Vorteil?
Wenn ich meinem Welpen „Sitz“ beibringen möchte, weiß der kleine Kerl ja noch überhaupt nicht, was ich eigentlich von ihm möchte. Er folgt vielleicht ein paar Mal meiner Hand, die sich über seinen Kopf schiebt, aber dann verliert er schnell das Interesse und jagt lieber einer Staubfluse hinterher. Habe ich in meiner Hand dagegen ein kleines Futterstück versteckt, wird das Interesse meines Welpen vermutlich länger anhalten. Er wird motivierter ausprobieren, was er tun kann, um an den Keks zu kommen. Sobald er sich hinsetzt, erhält er sein Leckerli und ein ruhiges Lobwort, und die Übung kann noch mehrmals wiederholt werden. Würde man streicheln oder zu stark stimmlich loben, würde das unseren Welpen in einen höheren Erregungszustand versetzen. Er würde aufstehen oder sich auf den Rücken legen und uns den Bauch zum Streicheln präsentieren. Oder er würde eine lustige Rauferei mit unserer Hand beginnen. Das würde sicher auch Spaß machen, aber wäre in diesem Fall als Lernform weniger effektiv als der Einsatz eines Leckerchens.
Nach kurzer Zeit ist meine Hand, die zum „Sitz“ auffordert, übrigens leer. Jetzt ist die Belohnung nicht mehr vorher zu sehen, sondern kommt aus der anderen Hand bzw. greife ich erst nach erfolgter Ausführung nach dem Keks in meiner Hosentasche.
Aber muss ich denn nun ein Hundeleben lang Futter geben für „Sitz“? Sicherlich nicht! Sobald mein Hund ein neu erlerntes Signal sicher beherrscht, wird nicht mehr jedes Mal belohnt. Aber über einen langen Zeitraum immer noch oft genug, dass er motiviert bleibt. Und für schwierige Situationen (z. B. ein sicheres „Bleib“, während ein Häschen über den Weg hoppelt), darf es gern auch noch bei einem älteren, fortgeschrittenen Hund einen dicken Keks für das Sitzen bleiben geben!
Auf das Timing kommt es an!
Völlig anders sieht es aber aus, wenn ich ein Leckerli BRAUCHE, damit mein 8 Monate alter Hund Sitz macht. Wenn ich also meinem Hund für eine ihm bekannte Aufgabe vorab erst einmal zeigen muss, was ich zu bieten habe, bevor er sich entscheidet, ob er mitmacht oder nicht, dann kann man tatsächlich von Bestechung sprechen. Meistens ist dieses Problem aber hausgemacht durch nicht optimales Timing und ist kein Gegenargument für den Einsatz von Futter im Training.
Wir Hundehalter sprechen oft ein Signal aus, obwohl unser Hund gerade abgelenkt oder die Situation einfach zu schwer ist. Da er scheinbar nicht auf uns reagiert, kramen wir in der Tasche nach einem Keks, halten ihn unserem Hund vor die Nase und wiederholen das Signal. Motiviert durch das Futter führt unser Hund zwar unseren Wunsch aus, hat aber fürs nächste Mal gelernt, bloß nicht auf unsere erste Ansprache zu reagieren, sondern abzuwarten, bis der leckere Keks ins Spiel kommt! Dieser kleine Teufelskreislauf überträgt sich dann gern mehr und mehr auf alle Signale, die wir Menschen verwenden. Wir machen uns nicht nur vom Futter abhängig, sondern gern auch noch von der Qualität des Futters: Ein Hund, der auf „Hier!“ erst einmal genau schaut, was wir denn da in der Hand halten, die Nase witternd in unsere Richtung hält und dann entscheidet, dass er doch lieber auf den Käse wartet, hat leider optimal gelernt, uns in dieser Situation zu manipulieren.
Vom „schlechten Esser“…
Wäre es aber überhaupt mit dem besten aller Leckerchen getan, damit unsere Hunde zuverlässig in allen Lebenslagen zu uns zurückkehren, wären Hundeschulen nicht so gut besucht. Für die meisten Hunde ist beispielsweise eine spannende Begegnung mit Artgenossen unwiderstehlicher als jedes Futter. Ein zuverlässiger Rückruf kann zwar mit Hilfe einer Superbelohnung aufgebaut werden. Aber damit er im Alltag auch funktioniert, braucht man weitere Trainingsschritte. Nur mit der Leberwurst zu winken, reicht auf Dauer nicht aus.
Schon gar nicht bei Hunden, die ohnehin nicht sonderlich an Futter interessiert zu sein scheinen. Sehr oft höre ich von Hundehaltern: „Auf Futter reagiert unser Hund überhaupt nicht. Das ist ihm gar nicht wichtig. Wir sind schon froh, wenn er überhaupt frisst!“ Auch dieser Einwand bedeutet nicht automatisch, dass Leckerli im Training völlig verkehrt sind. Erst einmal steht nur fest, dass dieser Hund es nicht nötig hat, sich für sein Futter anzustrengen! Wozu auch, wenn der Napf mit dem Trockenfutter den ganzen Tag über zur freien Verfügung steht? Unsere Hunde sind fantastische Beobachter: Sie sehen unsere kleinsten Reaktionen und sie spüren unsere Sorge. Schnell haben sie gelernt, dass Frauchen und Herrchen es gar nicht aushalten, wenn der Napf halb voll bleibt. Es wird Hüttenkäse zugegeben, Quark oben drauf und natürlich gutes Öl! Na also, man muss nur etwas Geduld haben, und schon bemühen sich die Menschen sehr, dass das arme Tier endlich frisst.
Wenn wir es bei unserem „schlechten Esser“ aber obendrein mit einem Hund zu tun haben, der auch nicht für Spielen zu begeistern ist, dann gehen uns womöglich rasch die Motivationsmöglichkeiten aus. Macht jeder beim Spaziergang also nur sein eigenes Ding? Der Mensch bleibt brav auf dem vereinbarten Weg und sein Hund kümmert sich um all die spannenden Dinge, die er ganz alleine draußen machen kann? Hier kann es sinnvoll sein, das Futter unseres Hundes attraktiver, also auch rarer zu machen, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Das heißt keineswegs, dass er hungern muss. Aber dass der Napf eben nicht 24 Stunden am Tag steht. Und dass unser Hund in kleinen Schritten lernt, dass sich die Zusammenarbeit mit seinem Menschen lohnt, weil sie ihn ernährt.
Futter für Arbeit?
Aber ist es nicht ein etwas krasser Schritt, dass sich unser Hund nun sein Futter verdienen muss? Tierschützer gehen auf die Barrikaden! „Hundearbeit“ ist doch nicht mit dem Tierschutzgesetz vereinbar. Doch, ist sie! Hunde sind von Natur aus keine Faulenzer: Sie sind Jäger, Wächter, Begleiter. Sie möchten sich fortpflanzen und streiten sich um die schöne Nachbarshündin. Oder sie möchten ihr Rudel zusammenhalten, ihr Revier für sich beanspruchen, jagen gehen usw. Beschäftigen wir unsere Hunde nicht ausreichend, kommt es schnell zu in unserer menschlichen Gesellschaft unerwünschten Verhaltensweisen wie übermäßigem Bellen am Zaun oder Wildern im Wald. Die natürlichen Vorlieben eines Hundes sollten erkannt und in gemeinsames Spiel kanalisiert werden.
Irgendetwas, das unseren Hund antreibt, das ihm Spaß macht und für das er sich ins Zeug legen möchte, finden wir in der Regel immer. Warum sollte das nicht auch Fressen sein? Ist mein Hund völlig auf ein Bällchen fixiert – egal wer es wirft, egal wohin es fliegt: er muss hinterher – scheint das in der Hundewelt akzeptierter zu sein als ein Hund, der vielleicht „nur“ seinen Futterbeutel apportiert. Und das „nur“, weil da sein Futter drin ist. Aber einen Plastikball findet dieser Hund eben nicht spannend! Anderes Spielzeug auch nicht. Sein Futter ist ihm wichtig genug, dass er ihm hinterherläuft. Er hat gelernt, den Beutel und somit sein Fressen zu seinen Menschen zu tragen. Er vertraut ihnen die Beute an und wird dafür belohnt. Hund und Mensch gehen gemeinsam jagen! Sie teilen gemeinsame Erfolgserlebnisse in einer sinnvollen und bindungsfördernden Zusammenarbeit.
Es spricht also überhaupt nichts dagegen, Kekse und Leckerli in Training und Spiel sowohl drinnen als auch draußen zu verwenden, wenn ihr Einsatz a) sinnvoll für den jeweiligen Hund ist, b) zur aktuellen Situation passt und c) mit gutem Timing erfolgt.
Und darf man fremde Hunde im Park füttern?
Nur weil Leckerli und Co. im Training also passend sein können, ist das nicht gleichbedeutend mit einem Freifahrtschein für „wildes“ Füttern im Park! Es ist definitiv nicht angebracht, einem fremden Hund Kekse zu geben, weil man Hunde so sehr liebt. Oder aus Höflichkeit: Schließlich hat der eigene Hund gerade eine Belohnung bekommen, und dieser hier schaut doch so nett… Auch unter Hunden mehren sich die Futtermittelunverträglichkeiten und Allergien. Nicht jeder Hund reagiert gut auf jedes Futter! Und ist der mit den Armen fuchtelnde, rufende Mann da hinten nicht evtl. das Herrchen? Man tut ihm keinen Gefallen, wenn man seinen Hund dafür belohnt, dass er gerade nicht auf den Hier-Pfiff hört! Ganz zu schweigen davon, dass man durch wahlloses Kekse-Geben auch ebenso wahlloses Anspringen und einforderndes Verhalten gegenüber fremden Menschen antrainiert. Hier ist es also sicher vorzuziehen, sich erst mit dem anderen Hundehalter zu verständigen, wenn man dessen Hund ein Futterstückchen geben möchte.
Abschließend lässt sich festhalten, dass Leckerli nur dann Bestechung sind, wenn wir sie als solche gebrauchen! Ein gemeinsames Spiel von Zwei- und Vierbeiner, das über reichlich Futter aufgebaut wurde, ist nicht weniger wertvoll als ein Spiel zum Selbstzweck. Mit Hilfe von Leckerchen erarbeitete Grundsignale, Leinenführigkeit etc. machen Spaß und sind prima im Alltag einsetzbar. Die Futterbelohnung sollte aber unbedingt auch wieder abgebaut werden, damit man nicht auf den Keks in der Tasche angewiesen bleibt.
Mein Fazit zu diesem polarisierenden Thema fällt völlig klar aus: Ich verwende sehr gern Futter, um Hunden auf spielerische und motivierende Art Neues beizubringen. Und auch in artgerechter Beschäftigung hat die Belohnung über Futter für mich ihren festen Platz. Aber nicht pauschal auf alle Hunde verallgemeinert! Nicht bei jedem Hund müssen Kekse verwendet werden. Nicht jeder Hund braucht und möchte die Motivation über Futter.
Für mich ist es jedes Mal wieder eine spannende Reise, Menschen und ihre Hunde auf dem Weg zu einem harmonischen Team zu begleiten. Und zu einem guten Teampartner Mensch gehört auch, dass er die Neigungen seines Vierbeiners nicht nur (er)kennt, sondern auch bereit ist, sich danach auszurichten. Ich erinnere mich gut an die geradezu entsetzte Frage eines Hundehalters: „Und füttern Sie Ihren Hund auch immer noch unterwegs??“ Na klar! Und gerne noch dazu! Denn ich weiß, dass mein Hund sich als existenzieller Jäger am liebsten seine Beute selber suchen würde. Nur seine Erziehung hält ihn davon ab. Dafür biete ich ihm selbstverständlich die Ersatzjagd mit mir als Partner – und mit seinem alltäglichen Futter. Denn das macht ihn zufrieden! Und wenn ich eines fernen Tages mit einem anderen Hund zusammenleben werde, dann gilt es wieder neu zu entscheiden, woran er Spaß hat. Und ob, wieviel und wann Leckerli im Training für diesen Vierbeiner sinnvoll sein werden.
Artikel meiner Kollegin Steffi Krauß (<link fuerstenfeldbruck-starnberg>Martin Rütter DOGS Fürstenfeldbruck/Starnberg)