Der perfekte Rückruf
Wer seinen Hund aus allen Situationen entspannt zurückrufen kann, ist klar im Vorteil. Zum einen weil man seinem Hund dann ein Maximum an Freiheit gewähren kann, zum anderen weil man ihm im Prinzip auch nicht mehr beibringen muss. Setzt ein Hund an, um Menschen zu begrüßen und an ihnen hochzuspringen, kann man das Schauspiel mit einem gut aufgebauten "Hier!" entspannt umgehen. Will ihr Vierbeiner im Park doch lieber hinter etwas oder jemandem Herrasen, wird ein gut geübter Pfiff die beste Alternative für alle Beteiligten sein. Wie das geht, erfährst Du in diesem Artikel.
„Kiiiira, hiiiiiier! – Pfiff – Kiiiiiiiira, kommst du hier – Pfiff – Komm hier!“ – das klassische Lautekonzert, das keinem Hundehalter unbekannt ist. Irgendwann, nach ein paar Minuten, kommt Kira dann mit hängender Zunge aus dem Wald. Dieser Hund kennt kein sicheres Rückrufsignal. Deiner schon? Kunden, die mit ihrem Vierbeiner zu uns ins Training kommen, werden oft gefragt, ob sie ihren Hund zu sich rufen können. Wer locker mit „ja, das geht“ antwortet, wird oftmals auf die Probe gestellt: Wir locken dann die Hunde, werfen etwas oder packen die Leckerli-Tasche aus. „Na, das ist ja unfair“, antworten die meisten, weil es dann zu allermeist doch nicht klappt. Unfair ist es aber nicht. Denn um einen Hund sicher rückrufbar zu machen, sollte er allen Reizen bestmöglich widerstehen können. Denn schließlich geht es auch um Sicherheit, und niemand kann gebrauchen, dass der Hund einer Wildfährte über die Bundesstraße folgt oder aus lauter Freude ungebremst auf die fröhlich jodelnde Kindergartengruppe zuläuft. Zugegeben: Es ist nicht leicht, seinem Hund einen sicheren Rückruf mal eben so beizubringen, denn hier verlangt der Mensch wieder etwas, was die Natur im klassischen Sinne nicht so vorgesehen hat. Dennoch ist es biologisch sinnvoll, dass der Hund beim Rudel bleibt und sich nicht einfach so weit und selbstständig entfernt. Was ist hier also schiefgelaufen?
Ursachen erkennen
Wenn Hunde gerne strawanzen gehen und nicht auf ihren Halter hören, muss man herausfinden, was ihnen gerade wichtiger ist bzw. was der Grund für ihre Ignoranz ist. Viele Vierbeiner sind zum Beispiel lieber damit beschäftigt, das Territorium abzuchecken, auf dem sie sich gerade befinden, sie markieren und schnüffeln dann gerne, um sich zu orientieren und ihre Anwesenheit zu manifestieren. Wenn der Mensch dann ruft, priorisieren sie eben, erst diese Aufgabe zu beenden. Im Prinzip ist es so, wie wenn Du mit Deinen Kindern in einen Vergnügungspark kommst und Deine Sprösslinge schon auf dem Weg sind, alle Attraktionen auszuprobieren, während Du Dir erst einmal in Ruhe einen Überblick verschaffen willst und strukturiert festlegen möchten, was wann und wo stattfindet. Hast Du bemerkt, dass in diesem Beispiel Du als Eltern und Erziehungsberechtigte die Situation kontrollieren und organisieren willst? In der Mensch-Hund-Beziehung wird dem Vierbeiner dieses Recht aber zu oft eingeräumt. Ergo denkt er auch, dass diese Aufgabe ihm obliegt und er folglich immer das Abchecken der Umgebung allem vorziehen wird. Das heißt also, dass häufig erst eine Veränderung des Beziehungsstatus stattfinden muss, bevor mit dem eigentlichen Training begonnen werden kann. Viele Hunde haben auch aus zu gut gemeinten Gründen durch den Menschen im Alltag zu viele Rechte und dürfen zu viele Entscheidungen selbst treffen. Sammelt der Hund diese Erfahrung und lernt, dass ihm beispielsweise immer die Terrassentüre geöffnet wird, wenn er das möchte, und er auch sofort abgeleint wird, wenn es ihn zu seinen Spielefreunden zieht, so lernt er natürlich, dass sich ganz viele Entscheidungen nach ihm richten. Folglich stehen die Chancen gut, dass der Hund die 245. Entscheidung des Tages, nämlich dass der Mensch nun gerne möchte, dass er herkommt, womöglich auch für unnötig bewertet.
Wege zum Ziel
Einige Hunde haben aber auch einfach nicht richtig gelernt, was ein guter Rückruf bedeutet. Viele verknüpfen das Wiederkommen mit dem Ende von Spiel und Spaß, mit Anleinen, nach Hause gehen oder gar einer Rüge, weil es zu lange gedauert hat. Die Konditionierung erfolgt also über einen Auslösereiz, z. B. dem Wort HIER, und einer unangenehmen Folge. Aus der Lerntheorie weiß man aber, wie wichtig positive Verstärkung für gute und schnelle Lernerfolge ist. Wer nun denkt, alles richtig zu machen, weil dieses Thema schließlich am „Abrichteplatz“ regelmäßig geübt wird, irrt leider auch. Was zwei Mal pro Woche in der Hundeschule unter sterilen Trainingsbedingungen klappt, wird nicht automatisch in der Freilaufzone funktionieren. Deshalb ist alltagsorientiertes Training und die langsame Steigerung der Ablenkungsreize, wie immer im Hundetraining, eines der obersten Gebote. Etabliere ein einziges echtes Rückrufsignal, dass Du bitte ab sofort immer nur benutzt, wenn Du wirklich willst, dass Dein Hund zu Dir kommt und so lange bleibt, bis Du ihn wieder losschickst. Das kann ein Wort sein oder auch ein bestimmter Pfeifton. Anfänglich übe ganz banal, ohne Ablenkungsreize, nur Du und Dein Vierbeiner auf einer Wiese. Wenn Dein Hund gerade nicht mit wichtigen Dingen beschäftigt ist, locke ihn mit Stimme und einladender Körperhaltung (Du machst Dich klein und gehst rückwärts) zu Dir. Ist er auf dem Weg zu Dir und Du weist „jetzt kommt er bestimmt“, spreche das Rückrufsignal aus bzw. benutze die Pfeife. Jetzt folgt ein ganz entscheidender Moment: Greife erst jetzt in die Tasche, um die Belohnung herauszuholen. Tust Du dies zu früh, um ihn mit der Belohnung anzulocken, wirst Du ihm künftig erst immer zeigen müssen, was Du anbieten kannst, damit Dein Hund bewerten kann, ob es sich lohnt zu kommen.
Bei der Art der Belohnung ist es wichtig, die Währung des Hundes zu kennen. Gibt es eine Art von Futterbelohnung, die Dein Hund unwiderstehlich findet, dann nutze diese als „Jackpot-Leckerli“. Das heißt aber gleichzeitig: Dieses Highlight gibt es die nächsten Wochen und Monate NUR mehr fürs Zurückkommen. Wir haben ja zu Anfang schon gelernt, dass der Rückruf das wichtigste Kommando ist, warum also dafür auch nicht den, im übertragenen Sinne, teuersten Preis bezahlen? Es gibt aber auch vierbeinige Zeitgenossen, deren absolutes Highlight ein Spiel mit ihrem Lieblingsspielzeug ist. Wenn dem so ist, nutze dieses doch als Jackpot- Belohnung. Einige wenige Hunde finden auch eine Streicheleinheit toll, aus der Erfahrung sind dies aber wirklich nicht viele. Im Gegenteil: Wer genau hinschaut, sieht, dass das klassische Über-den-Kopf-Streicheln für die meisten Hunde sogar eher unangenehm ist. Viele lecken dabei übers Maul und entziehen sich mit Kopf und Körper der Situation. Jeder der sich jetzt in seine Kindheit zurückversetzt, weiß, wie ungern er im Gesicht getätschelt wurde. Bedenke dies einfach, wenn Du Deinen Hund das nächste Mal loben willst: Ein sanftes Kraulen an der Seite wird ihm besser gefallen.
Zwei entscheidende Attribute fehlen nun noch für das richtige Training. Erstens: Ist Dein Vierbeiner nun zu Dir zurückgekommen, bestimme den Moment, in dem er wieder laufen darf. Möchtest Du ihn mal aus Sicherheit schützen und von einer Straße zurückrufen, hast Du nichts davon, wenn er nach der Belohnung direkt wieder in Richtung Fahrbahn abrauscht. Daher versuche Deinem Hund „Lauf / Frei / Los…“ oder was auch immer zu sagen, bevor er selbst losläuft.
Zweitens: Rufe Deinen Hund niemals, wenn die Möglichkeit besteht, dass er nicht zurückkommt. In solchen Fällen, also meist zu Beginn des Trainings oder wenn die Reize sehr groß sind, dient eine Schleppleine als Hilfsmittel. Du kannst dann den Hund ein wenig locken und ihn, wenn er nicht reagiert, einfach mitnehmen. Spreche aber niemals das Rückrufsignal aus, denn sonst findet im Kopf eine Löschung statt. Wird das Signal zu oft ohne eine angenehme Folge dargeboten, gibt es keine positive Verknüpfung und folglich keine Chance auf einen wiederkehrenden Hund.
Haben Mensch und Tier diese Abläufe nun verinnerlicht, folgt das langsame Hinzufügen von Ablenkungsreizen. In den ersten Schritten kann es die einfache Anwesenheit eines Familienmitglieds sein, später dann auch jemand, der Deinen Hund mit Futter lockt. Das Abrufen von Hunden sollte erst geübt werden, wenn die anderen Hunde nicht in Bewegung sind, erst wenn das klappt, darf man auch einmal den richtigen Moment abwarten, um den Hund aus einer Interaktion mit einem anderen abzurufen.
Fazit
Unsere Hunde sind soziale Lebewesen und keine Maschinen, genau so wollen wir das auch. Demnach wird es immer wieder Situationen geben, in denen der Hund nicht (sofort) wiederkommt. Das ist kein Grund, an sich selbst oder dem Tier zu zweifeln, eine 95-prozentige Erfolgsquote ist schon mehr als zufriedenstellend. Alles was darunterliegt, sollte immer weiter ambitioniert trainiert werden, denn vergesse nicht: Je besser Dein Hund rückrufbar ist, desto mehr Freiheiten kannst Du ihm bieten!