Hilfe, mein Hund ist dominant
Ein Artikel von Kathrin Schmitt, Hundetrainerin & Inhaberin der Martin Rütter Hundeschule Salzburg, für die Zeitschrift Martin Rütter - Das Magazin.
Am besten, man nähert sich dem Thema, indem man erst einmal klärt, was der Begriff „Dominanz“ eigentlich bedeutet. Der Ursprung des Wortes ist lateinisch. „Dominus“ heißt „der Herr“, „dominare“ dementsprechend „herrschen“ oder auch „beherrschen“, „Herr sein“. Im Kontext sozialer Beziehungen spricht man von dominantem Verhalten, wenn ein Lebewesen das andere „beherrschen“ möchte, also dessen Verhalten kontrollieren will. Dabei spielt laut diverser Studien der Status des Individuums eine Rolle: In hierarchischen Gruppen-Systemen zeigt das ranghohe Mitglied dominantes Verhalten gegenüber einem rangniedrigen Mitglied, welches im Gegenzug dazu submissives, also unterwürfiges Verhalten zeigt. Das funktioniert aber nur dann, wenn das rangniedrige Mitglied das dominante Verhalten des ranghohen Mitglieds akzeptiert und sich submissiv verhält. Dies muss allerdings nicht zwangsweise der Fall sein. Wird das dominante, also das einschränkende und kontrollierende Verhalten vom anderen Individuum nicht akzeptiert, kann es zu einer – in der Regel körperlichen – Auseinandersetzung kommen.
Dominanz ist zudem beziehungsspezifisch. Das bedeutet, dass sich das Verhalten des ranghohen Individuums ändern kann, wenn es auf ein anderes Individuum trifft, welches in der Hierarchie noch weiter über ihm steht. In diesem Fall kann das ursprünglich sich dominant verhaltende Individuum nun auf einmal submissives Verhalten zeigen, und damit dem ranghöheren Individuum signalisieren, dass es dessen Dominanz anerkennt. Dabei muss das submissive Verhalten nicht zwangsweise vom Gegenüber verlangt werden, es kann auch vom rangniedrigen Individuum aktiv, quasi „vorauseilend“, gezeigt werden (aktive Unterwerfung).
In vielen hierarchischen Systemen gibt es zudem Unterschiede im Verhalten in Bezug auf die Situation, in der die beiden Individuen aufeinandertreffen. So kann es sein, dass sich ein Individuum beim Fressen dominant gegenüber dem anderen verhält, welches sich daraufhin submissiv zurückzieht. In einer anderen Situation aber, etwa wenn ein beliebter Liegeplatz verteidigt oder erobert werden soll, kann sich das ehemals submissive Individuum durchsetzen und den zuvor Dominanten vertreiben, das Verhältnis der beiden zueinander zeigt sich nun genau anders herum. Dominanz ist also immer auch situationsspezifisch!
Hunde folgen freiwillig – unter bestimmten Bedingungen
Was heißt das in Bezug auf den Hund? Forscher in aller Welt sind sich seit geraumer Zeit einig, dass Hunde zum einen nicht grundsätzlich dominant sind und zum anderen, dass der Hund den Menschen auch nicht dominieren will.
Früher dachte man, dass Hunde in streng hierarchischen Strukturen leben. Entstanden war dieses Modell aufgrund der Beobachtung von Wölfen. Heutzutage weiß man jedoch, dass diese Erkenntnisse durch Beobachtungen an Wölfen im Gehege nicht mit den sozialen Strukturen freilebender Wölfe zu vergleichen sind. Während im Gehege die „Wolfsrudel“ vom Menschen zusammengestellt werden, es also keine natürlichen, gewachsenen Strukturen gibt und ein Abwandern einzelner Wölfe unmöglich ist, lebt der Wolf in der Natur in Familienverbänden, bestehend aus den Wolfseltern und dem Nachwuchs in den unterschiedlichsten Altersstufen. Es gibt daher im natürlichen Wolfsrudel keinen ständigen Kampf um die Führungsposition, also kein ständiges Dominieren, kein Beherrschen der anderen! Vielmehr wird das Rudel durch die Wolfseltern liebevoll und fürsorglich geführt. Im Rudel kümmert man sich umeinander, die Eltern erziehen den Nachwuchs und bringen ihm alles Überlebenswichtige bei. Die ranghohen Tiere verhalten sich daher häufig ruhig und besonnen. Sie halten sich im Hintergrund, um einen guten Überblick über die Lage zu haben. Zudem besitzen sie aufgrund ihres Alters viele Erfahrungen und können daher auch kritische Situationen beurteilen sowie souverän Entscheidungen treffen. Aus diesem Grund schließen sich die rangniedrigen Tiere den ranghohen freiwillig an und zeigen von sich aus häufig submissives Verhalten ohne, dass es das ranghohe Tier eingefordert hätte. Das Zusammenleben zwischen Mensch und Hund wird daher heute eher mit einer Eltern-Kind-Beziehung verglichen als mit einem gewaltsamen Kampf um die Vorherrschaft der ganzen Welt, oder auch nur um den Liegeplatz im Wohnzimmer.
Von Hunden wird erwartet, dass sie sich angepasst verhalten
Was bedeutet das nun für das Zusammenleben zwischen Mensch und Hund? Immer wieder hört man: „Der Hund darf keinesfalls auf dem Sofa liegen oder im Bett schlafen. Wenn du das einmal zulässt, dann dauert es nicht mehr lange und du hast einen dominanten Hund!“
Sind diese „Hausregeln“ überholt oder sollte man sie doch lieber beachten? Denn schließlich liegt der Hund auf Bett und Sofa erhöht, und das wissen wir ja alle: „Auf dem Thron sitzen nur Herrscher!“ Liegestellen wie Bett oder Couch gewähren aufgrund der erhöhten Position tatsächlich einen besseren Überblick, haben aber nur wegen ihrer Höhe für Hunde keine besondere Wichtigkeit. Vielmehr verleiht diesen Liegeplätzen die Tatsache, dass es sich dabei um den privilegierten Ruhebereich des Menschen handelt, eine besondere Wichtigkeit. Das Liegen auf Bett und Couch ist aber per se nicht als Anzeichen der Weltherrschaftsübernahme durch den Hund zu sehen, viele Hunde liegen dort aus reiner Bequemlichkeit. Ob der Hund nun auf Bett oder Couch darf, muss daher im Einzelfall entschieden werden. Viele Menschen möchten zum Beispiel einfach aus hygienischen Gründen nicht, dass der Hund im Bett oder auf dem Sofa liegt. Doch wie sieht es aus, wenn der Hund den Menschen anknurrt, wenn dieser ihn vom Sofa schicken will? Dann liegt doch auf jeden Fall etwas im Argen, das darf man doch nun wirklich nicht durchgehen lassen! Oder?
Sobald ein Hund aggressives Verhalten zeigt, und dazu gehört das Knurren, werden die meisten Menschen hektisch. Hunde dürfen in der heutigen Gesellschaft nicht auffallen, sie müssen vollständig angepasst an das soziale Leben des Menschen sein. Doch aggressive Hunde fallen auf, sie sind nicht gern gesehen, denn sie bedeuten eine Gefahr. Und letztlich ja auch zu Recht, denn Hunde haben Zähne, mit denen sie andere Hunde und Menschen schwer verletzen können. Hunde können beißen, da gibt es nichts zu verharmlosen. Bevor ein Hund zubeißt, zeigt er jedoch unendlich viele Abstufungen aggressiven Verhaltens. Ein Hund, der knurrt, ist also erst einmal nicht gefährlich, er kommuniziert. Daher ist der Gedanke, dem Hund das Knurren zu verbieten und es mit Strafe zu unterbinden, natürlich völlig kontraproduktiv, denn er wird nun zukünftig zubeißen, ohne dies vorher entsprechend anzukündigen. Versteht man Knurren aber erst einmal nur als Kommunikation des Hundes mit dem Gegenüber, kann man ganz neutral an die Situation herangehen. Dazu muss man sich fragen: „Warum knurrt der Hund?“ Doch so einfach lässt sich diese Frage nicht beantworten, denn für aggressives Verhalten gibt es die unterschiedlichsten Gründe. Mit aggressivem Verhalten will der Hund zum Beispiel Distanz herstellen, er will damit entweder einen Eindringling vom eigenen Territorium vertreiben oder aber sich selbst vor der Annäherung eines Feindes schützen. Aggressives Verhalten wird auch genutzt, um bestimmte Interessen durchzusetzen, also um den Zugang zu einer Ressource zu erhalten oder zu erlangen.
Zeigen diese Hunde dominantes Verhalten?
• LILLY „Sobald wir einen anderen Hund auf dem Spaziergang treffen, rennt Lilly zu ihm hin. Es dauert keine zwei Minuten und sie reitet auf dem anderen Hund auf. Dabei ist sie doch eine Hündin! Sie will einfach alle anderen Hunde dominieren …“
• MAX „Wir haben für Max ein so bequemes Körbchen gekauft, doch sobald sich die Gelegenheit bietet, springt er auf die Couch und macht sich dort breit. Er will offensichtlich unseren Platz einnehmen. Selbst wenn wir dann mit ihm schimpfen, bleibt er einfach liegen. Und herunterschieben können wir ihn mit seinen 60 kg nicht. Er versucht ständig, uns damit zu dominieren!“
• LISA „Apportierspiele sind mit Lisa einfach nicht möglich. Sobald sie das Spielzeug hat, hält sie es fest und gibt es nicht mehr her. Sie macht einfach das Maul zu. Versuchen wir dann, es ihr abzunehmen, knurrt sie sogar manchmal und wird ganz steif. Halten wir trotzdem fest, zieht und zerrt sie so lange, bis wir loslassen müssen. Sie glaubt wohl, dass ihr das Spielzeug gehört und versucht dies mit Dominanz durchzusetzen.“
• THEO „Beim Training in der Gruppe macht Theo nie gut mit. Eigentlich kann er alle Übungen, zuhause macht er sie perfekt. Aber wenn die anderen Hunde dabei sind, muss er uns immer vorführen. Er ist dann so stur und ignoriert unsere Signale. Manchmal geht er sogar zum Platzrand und markiert. Da sieht man dann, wie dominant er ist!“
Aggression lässt sich niemals mit Aggression lösen
Schauen wir uns die Fallbeispiele an, zunächst einmal Lisa: Ein Hund, der knurrt, weil er eine Beute nicht hergeben will, möchte eine erbeutete Ressource verteidigen. Das ist unter Hunden ein vollkommen normales Verhalten. Jeder Hund einer Gruppe darf eine Beute für sich beanspruchen, ungeachtet seiner Position. Im Unterschied zum Menschen wird der andere Hund jedoch nicht darauf beharren, dem anderen die Beute abzunehmen. Er wird sich abwenden und weggehen, sobald er merkt, dass der andere seine Beute ernsthaft verteidigt. Der Mensch aber will sich durchsetzen, denn sonst hat der Hund gewonnen. Und wenn dieser einmal gemerkt hat, dass er sich durchsetzen kann, wird er das immer wieder tun, und schon haben wir einen dominanten Hund.
Viele Leser werden sich jetzt dabei ertappt haben, dass ihnen im ersten Moment der Gedanke durch den Kopf gegangen ist: „Genau, das darf man doch nicht zulassen!“ Das ist die Krux mit der Dominanz. Denn das Prinzip der Dominanztheorie besagt im Grunde genommen genau das: „Wenn man jemanden als dominant bezeichnet, muss man ja eigentlich nur noch „dominanter“, also körperlich stärker sein, und schon hat man selbst Oberwasser …“ Doch Aggression löst man niemals mit Aggression, vielmehr beginnt damit ein Aggressionskreislauf, den man letztlich nicht gewinnen kann. Natürlich kann man dem Hund Gewalt antun, das wurde jahrelang in der Hundeerziehung genauso getan, leider. Unbedingter Gehorsam wurde erwartet, es herrschte ein permanentes, militärisch anmutendes Brüllen, als wären die Hunde schwerhörig. Der Hund schleicht dann, gebrochen und verängstigt hinter seinem Menschen her, immer darauf bedacht, keinen Fehler zu machen. Doch das hat kaum etwas mit einer liebevollen, vertrauensvollen, elterlichen Beziehung zu tun, die wir eigentlich anstreben wollen.
Und wie verhalte ich mich nun, wenn der Hund mich anknurrt? Im Falle der Hündin Lisa aus unserem Beispiel zeige ich ihr, dass „Beute hergeben“ für sie keinen Nachteil hat. Sie bekommt eine andere, viel bessere Beute dafür, oder sie bekommt eine besonders tolle Belohnung. In kleinsten Schritten bringt man ihr so mithilfe der positiven Verstärkung bei, dass Beute abgeben gut für sie ist, und konditioniert dazu dann ein Signal, wie z. B. das Wort „Aus“, damit Lisa zukünftig schneller weiß, welches Verhalten in dieser Situation von ihr erwartet wird. Natürlich könnte man Lisa auch einfach die Beute überlassen. Wollen wir unserer Verantwortung für den Hund aber nachkommen, muss dieser lernen, alles, was er im Fang hat, in jeder Situation abzugeben.
Ein Hund ist nicht „bockig“, denn das ist menschliches Verhalten
Schauen wir uns nun noch Max an, der gerne auf dem Sofa liegt. Auch ihm kann ich das Signal „Runter“ in winzig kleinen Schritten beibringen, indem ich ihn anleine, anfangs mit Futter vom Sofa herunterlocke bzw. später belohne, sobald er das Sofa verlassen hat. Alternativ baue ich anstelle des Signals „Runter“ (hier weiß der Hund genau genommen ja nur, was er nicht machen soll, nämlich auf dem Sofa liegen bleiben) das Signal „Decke“ auf. Hat Max gelernt, dass es sich für ihn lohnt, auf dieses Signal zur Decke zu laufen und sich dort abzulegen, wird er sich irgendwann auch vom Sofa auf die Decke schicken lassen. Allerdings muss zuvor noch überprüft werden, dass nicht etwa Schmerzen die Ursache für das aggressive Verhalten sind. Tut dem Hund die Wirbelsäule oder die Hüfte weh, ist er vielleicht einfach nur froh, wenn er endlich gemütlich liegt. Das Aufstehen verbindet er mit erneuten Schmerzen, sodass er quasi aus Selbstschutz knurrt. In dem Fall muss dann natürlich in erster Linie eine tiermedizinische Behandlung erfolgen!
Auch der Gedanke, dass ein Hund „bockt“ oder „stur“ ist, wird von vielen Menschen in einem Atemzug mit dem Begriff Dominanz genannt und folgt nicht selten nach der Feststellung, dass der Hund ein bestimmtes Signal eigentlich beherrscht. Der Mensch ist hilf los, weiß nicht, wie er sich das Verhalten seines Hundes erklären soll, und vermenschlicht ihn nun. Denn mit dem Begriff „Sturheit“ impliziert er, dass der Hund sich mit voller Absicht weigert, das Signal des Menschen auszuführen und letztlich sogar, um damit den Menschen bewusst zu provozieren. So können aber nur Menschen denken, nach bisherigem Forschungsstand sind Hunde dazu nicht in der Lage. Was kann der Hund dafür, wenn der Mensch in einer fremden Umgebung etwas verlangt, was er bisher nur zuhause geübt hat?
Ein unsicherer Hund möchte keinen Konflikt mit dem Menschen
Gerade diese Situation erlebe ich als Hundetrainerin immer wieder, so wie es im Fall von Theo aus den Fallbeispielen war. Der Kunde schwört, dass sein Hund zuhause immer gut mitgemacht hat, doch wenn er in der Übungsstunde das Gelernte vorführen soll, sieht es so aus, als hätten beide nicht wirklich fleißig trainiert. Ich weiß dann, dass die Erzählungen des Kunden – zumindest in den meisten Fällen – der Wahrheit entsprechen. Denn zuhause waren keine anderen Menschen, keine anderen Hunde, keine spannenden Gerüche und keine Hundetrainerin, die das Team gespannt beobachtet. Theo ist also vollkommen überfordert und verunsichert. Und mit Sicherheit will er in dieser verunsichernden Situation nicht auch noch mit seinem Menschen, seinem Sozialpartner, einen Konflikt austragen! Viel eher wird er versuchen, den Menschen zu beschwichtigen, also eine drohende Eskalation zu vermeiden. Dazu wird er submissives Verhalten zeigen. Theo wird in dem Fall also zum Beispiel das Tempo reduzieren, also langsamer zum Menschen zurückkommen, wenn dieser ihn gerufen hat oder er eine Beute zurückbringen soll. Vielleicht friert er sogar ganz ein, bleibt stehen und wendet den Kopf und den Blick ab.
Für den Menschen sind alle diese Verhaltensweisen dann aber oft nur eine Bestätigung seiner Theorie: Der dominante Hund verweigert sich jetzt ganz, er ignoriert den Menschen vollkommen, er schaltet auf stur. Auch das Urinieren aus Stress, das nun manchmal folgt, gehört in diese Kategorie und ist sicherlich mit eine der am meisten fehlgedeuteten Verhaltensweisen von Hunden im Training: „Jetzt markiert er sogar noch und spielt sich auf!“ In Wahrheit ist eigentlich das Gegenteil der Grund für dieses Verhalten. Immer dann, wenn der Hund auf ein Signal daher nicht so zuverlässig reagiert, wie gewohnt, sollte sich der Halter als allererstes fragen, ob er seinem Hund überhaupt schon beigebracht hat, dieses Signal unter diesen Bedingungen auszuführen. In der Regel ist jetzt also ein Schritt zurück im Training angesagt. Sich aufzuregen, das Signal körperlich durchzusetzen oder aber sogar den Hund dafür zu bestrafen, dass er das Signal nicht befolgt, führt dazu, dass der Hund noch weniger in der Lage ist, es umzusetzen. Denn er erkennt ja sehr deutlich, dass der Mensch, aus welchen Gründen auch immer – denn aus seiner Sicht gibt es hierfür keine wirklich sinnvolle Erklärung – sauer ist, sodass beschwichtigendes Verhalten aus Sicht des Hundes angebracht ist. Hunde versuchen, in einer entspannten sozialen Gemeinschaft mit dem Menschen zu leben. Davon, den Menschen zu dominieren oder die Weltherrschaft übernehmen zu wollen, sind sie also weit entfernt. Sie wollen vom Menschen gut geführt werden und ihm dann freiwillig folgen.
Der Mensch muss die Verantwortung übernehmen
Aber in Bezug auf andere Hunde, da sieht es doch bestimmt ganz anders aus. Oder? Also in Situationen wie in unserem Beispiel mit Lilly? Erst heute noch musste ich selbst wieder auf der Freilauffläche einen „Tut-nix“ von meiner Hündin herunterpflücken. Er kam aus der Distanz angeschossen, rempelte meine Hündin an, woraufhin sie ihn drohend fixierte. Dies führte dazu, dass er sie erst frontal begrenzte, um sie herumlief und dann anfing, auf ihr aufzureiten. Natürlich hätte ich meine Hündin die Situation auch selbst klären lassen können. Doch was hätte sie gelernt? „Mein Mensch bringt mich in eine Gegend, in der hirnlose Raser sich bei einem Zusammentreffen distanz- und respektlos verhalten. Mein Mensch ist viel zu langsam, um eine Kollision zu verhindern. Und wenn es geknallt hat, erstarrt er und ist zu keiner sinnvollen Reaktion mehr in der Lage.“ Sie lernt also, dass sie zukünftig besser schon in Hab- Acht-Stellung geht, wenn wir wieder einmal spazieren gehen, und dass sie sich in einer brenzligen Situation auf keinen Fall auf mich verlassen kann. Sie scheint in unserer Beziehung diejenige zu sein, die die Verantwortung trägt.
Ach ja, und wie war das noch mal mit der Elternrolle … ? Genau! Das ist unser Part als Mensch. Wir bringen den Hund irgendwohin, dann sind wir auch in der Pflicht, uns um seine Sicherheit zu kümmern. Hunde müssen nichts miteinander klären, jedenfalls nicht, wenn sie nicht zusammenleben. Und wenn andere Halter nicht in der Lage sind, ihre Hunde zu erziehen, dann sind wir in der Pflicht. Wir müssen solche Situationen für unseren Hund im Idealfall verhindern bzw. dann klären, indem wir sofort reagieren, den anderen Hund herunternehmen und verhindern, dass er unseren Hund erneut belästigen kann.
Regeln für das Zusammenleben müssen erarbeitet werden
Aber ist der aufreitende Hund denn nun dominant? Im ersten Schritt ist er einfach nur unerzogen und schlecht sozialisiert. Denn Hunde stürmen normalerweise nicht einfach so aufeinander zu, sie nähern sich respektvoll und meistens im Bogen aneinander an. Es ist unsere Aufgabe, unsere Hunde gut zu sozialisieren. Genauso sollte es selbstverständlich sein, dass man seinen Hund nicht ohne Absprache zu anderen Hunden lässt.
Dennoch, nicht jeder Hund mag jeden anderen Hund, und so kann es, trotz guter Sozialisierung und erfolgter Absprache, dazu kommen, dass zwei Hunde sich nicht verstehen. Das sieht man in dem Fall aber schon vorher, also bevor es wirklich körperlich wird. Und das ist dann der Zeitpunkt, an dem man spätestens eingreifen sollte: Wenn der Hund steif wird, wenn die Hunde sich imponierend umkreisen und dabei fixieren. Kommt es zum Aufreiten, ist es für ein Eingreifen fast zu spät. Denn dann handelt es sich tatsächlich um dominantes Verhalten: Der aufreitende Hund schränkt den anderen Hund ein, er beherrscht ihn. Zumindest für den Augenblick. Vielleicht lässt sich der andere Hund auf den Boden fallen und unterwirft sich? Vielleicht lässt er sich auch nicht dominieren und es kommt zu einer heftigen Beißerei. Dies gilt es natürlich in jedem Fall zu verhindern. Und zwar, indem man selbst dominant ist und den anderen Hund herunterholt.
Im Idealfall reicht es, wenn man sich dazu groß macht, über den Hund beugt, diesen fixiert und vehement anspricht. Aber Achtung, auch jetzt hat dieser Hund wieder mehrere Möglichkeiten offen, zu reagieren. Er kann die dominante Drohung des Menschen akzeptieren und weggehen, er kann den Menschen ignorieren und weiter aufreiten, oder aber die dominante Drohung nicht akzeptieren und sich gegen den Menschen wenden. Daher sollte man es nach Möglichkeit eben gar nicht erst so weit kommen lassen, sondern gleich einschreiten!
Für viele Menschen ist es ernüchternd, wenn sie erfahren, dass das gesamte Konstrukt an Regeln, das sie glaubten, einhalten zu müssen, auf einmal keine Rolle mehr spielt. So einfach ist Hundeerziehung aber eben leider nicht. Welche Regeln man für das Zusammenleben zwischen Mensch und Hund aufstellt, muss immer individuell entschieden werden.