Qualzucht - Rasse, Zucht und Ordnung?
Wir schreiben das Jahr 2016. Und leben in einer Zeit voller Fortschritt und Entwicklung, Weltoffenheit und unbegrenztem Wissenszugang. Dennoch gelten an vielen Stellen alte Werte, deren Sinnhaftigkeit polarisiert. Wenn wir von "Rasse" reden und dabei mal kurz nicht an Hunde denken, überkommt uns ja beinahe ein kalter Schauer, und wir werden an Werte einer Zeit erinnert, die es nie wieder geben darf. In der Hundezucht hingegen sind Rasseideologien, vor allem nach äußeren Kriterien, bis heute noch ganz normal. Neben der Funktionslosigkeit vieler optischer Merkmale gibt es aber noch eine ganz andere Seite, die es kritisch zu beleuchten gilt, nämlich jene, die den Opfern des Rassewahns Qualen Krankheiten und Leiden bereitet.
Mit Stolz dürfen wir behaupten in einem Land zu leben, in dem eines der strengsten Tierschutzgesetze überhaupt gilt. Jeder der "einem Tier ungerechtfertigt Schmerzen, Leiden oder Schäden" zufügt, verstößt gegen § 5 Absatz 1 und hat mit mehr oder weniger hohen Strafen zu rechnen. Aber ist das Aufrechterhalten optischer Rassestandards, die sich u. a. durch perfektionistische Formwertrichter etabliert haben, wirklich ein gerechtfertigter Grund, einem Tier bewusst Leiden zuzufügen?
Das österreichische Tierschutzgesetz sagt ganz klar: Nein! In § 5 Absatz 2 wird festgehalten, dass dagegen insbesondere verstößt, wer "Züchtungen vornimmt, bei denen vorhersehbar ist, dass sie für das Tier oder dessen Nachkommen mit Schmerzen, Leiden, Schäden oder Angst verbunden sind (Qualzüchtungen), sodass in deren Folge im Zusammenhang mit genetischen Anomalien insbesondere eines oder mehrere der folgenden klinischen Symptome bei den Nachkommen nicht nur vorübergehend mit wesentlichen Auswirkungen auf ihre Gesundheit auftreten oder physiologische Lebensläufe wesentlich beeinträchtigen oder eine erhöhte Verletzungsgefahr bedingen: a) Atemnot, b) Bewegungsanomalien, c) Lahmheiten, d) Entzündungen der Haut, e) Haarlosigkeit, f) Entzündungen der Lidbindehaut und/oder der Hornhaut, g) Blindheit, h) Exophthalmus, i) Taubheit, j) Neurologische Symptome, k) Fehlbildungen des Gebisses, l) Missbildungen der Schädeldecke, m) Körperformen, bei denen mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden muss, dass natürliche Geburten nicht möglich sind, oder Tiere mit Qualzuchtmerkmalen importiert, erwirbt, vermittelt, weitergibt oder ausstellt..."
Englische Bulldoggen können kaum noch auf natürlichem Wege geboren werden. Der breite Schädel passt nicht durch das Becken der Hundemutter.
Also ist selbst die Haltung von Hunden mit solchen Symptomen laut Gesetzgebung verboten. Um zu zeigen, dass diese leider keine Ausnahme, sondern zumeist sogar Rassestandard sind, hier einige Beispiele:
Atemnot
Das Hauptproblem hat einen Namen: "Brachycephalie". Das Wort bedeutet "Kurz- und Rundköpfigkeit" des Hundes und beschreibt die angeborene, erblich bedingte Deformation des Hundeschädels. Wir kennen dieses Phänomen zum größten Teil als erwünschte Rassekennzeichen bei Hunden wie dem Mops, der Französischen Bulldogge, dem Boston Terrier, Pekinesen oder der Englischen Bulldogge und vielen weiteren. Damit einher geht quasi automatisch das sog. "Brachycephalen-Syndrom". Verengte Nasenöffnungen und verkürzte Nasengänge, zu kurze Racheräume, welche Zunge, Gaumen und Mandeln keinen Platz bieten (deshalb hängen die Zungen oft aus dem Hundemaul), aber auch Faltenbildung im Rachen. All das sind Folgen der u. a. auch im offiziell anerkannten österreichischen Mopsclub erwünschten Rundköpfigkeit des Hundes.
Bewegungsanormalien
Hier ist in erster Linie von Skelettanomalien die Rede, die durch fanatische Zuchtziele entstehen. Neben angeborener Schwanzlosigkeit oder Stummelruten, welche die Körperkoordination ja schon massiv beeinträchtigen (z. B. bei Australian Shepherd, Bobtail, Englischer Bulldogge, English Cocker Spaniel u.v.m.), zählen dazu auch körperliche Eigenschaften, die das gesunde Gangbild verändern. Zu schwere Lefzen, Hängelieder, eingeknickte Beine und viel zu viel Gewicht - der Basset Hound von heute hat nichts mehr mit dem einstigen Jagdhund zu tun. Der Basset Hound zum Beispiel soll nach Maßstab des FCI (Fédération Cynologique Internationale - Int. Rasseverband) aber auch des österr. Bassetclub "lang und insgesamt tief" sein. Die Lenden dürfen "leicht gebogen" sein. Auch wenn ein- oder ausgedrehte Gliedmaßen eigentlich unerwünscht sind: Wie kann ein Körper mit einer Größe von 33-38 cm ein Durchschnittsgewicht von 25 kg tragen, ohne dass die Gesundheit leidet? Der Basset Hound wurde früher übrigens zur Meutejagd auf Hasen verwendet... wer kann sich das heute noch vorstellen?
Lahmheiten
Dabei handelt es sich um die omnipräsenten, chronisch degenerativen Gelenkserkrankungen wie Hüftgelenksdysplasie (HD), Ellbogendysplasie (ED), Osteochondrose (OCD), Patellaluxation, Spondylosen usw. Diese sind natürliche Folgeerscheinungen von züchterischen Extremanforderungen wie Zwerg- oder Riesenwuchs, aber auch typische Erbkrankheiten bei anderen Rassen wie dem Labrador und Golden Retriever oder dem Deutschen Schäferhund.
Immer noch dürfen übrigens Hunde mit einer diagnostizierten HD der Stufe B (Übergangsform) und C (leichtgradige HD) offiziell zur Zucht eingesetzt werden. Nur mehr völlig HD-freie Hunde (HD A) zur Zucht einzusetzen, würde den genetischen Pool vieler Rassen derart verringern, dass Inzucht die unverzügliche Folge wäre.
Entzündungen der Haut
Besonders leiden hier auch wieder jene Tiere, denen, warum auch immer, eine übertriebene Faltenbildung als optisches Markenzeichen angedichtet wurde. Ob Shar Pei, Mops, Bullmastiff oder Pekinese - oftmals führen ihre gewollten Falten zu chronischen Entzündungen im Gesicht oder an der Rute. Auch überdimensionierte Rassen wie Bernhardiner, Neufundländer oder Deutsche Dogge tragen wortwörtlich ein schweres Paket. Durch ihre massige Kopfhaut entstehen Hängelefzen, die durch ihr Gewicht derart nach unten gezogen werden, dass Hängelider mit chronischen Bindehautentzünden und Augenausfluss die Folge sind.
Haarlosigkeit
Dass Hunde ohne Fell einerseits schnell unter Kälte, andererseits auch an Sonnenbränden leiden können, versteht sich ja eigentlich von selbst. Ein relativ unbekannter Aspekt der Zucht von Chinesischen Schopfhunden, Mexikanischen Nackthunden und Co. ist aber auch, dass die Verpaarung zweier Nackthunde für die Nachkommen sogar tödlich ausgeht. Haarlosigkeit ist ein Gendefekt, der bei Verpaarung zweier reiner Nackthunde sogar dazu führen würde, dass die Embryos im Mutterleib absterben. Der Körper erkennt dann quasi vorzeitig den "Mangel", der ja eigentlich erwünscht ist. Übrigens ist das Nackt-Gen gleichzeitig auch für das Gebiss verantwortlich, was oft unvollständige bis völlig fehlende Gebisse zur Folge hat.
Exophthalmus
Auf gut Deutsch: Glubschaugen. Klingt lustig und lieb und ist ja vor allem bei den Gesellschaftshunden ein klassisches Merkmal. Süß ist es aber spätestens dann nicht mehr, wenn der Augapfel derart weit aus der Augenhöhle steht, dass er hinausfällt. Von der wesentlich größeren Gefahr der Verletzbarkeit durch das weite Hervorstehen einmal ganz abgesehen.
Unfähigkeit der natürlichen Geburt
Auch dieses Problem ist kein seltenes. Zum einen tritt es bei Zwergrassen, wie z. B. dem Chihuahua auf, wenn die Wurfgröße in keiner Relation zur Körpergröße der Mutter steht. Zum anderen sind wir hier wieder bei den brachyzephalen Tieren, bei denen der breite Schädel erst gar nicht durch das mütterliche Becken passt und eine Geburt, wie z. B. bei Englischen Bulldoggen, nur durch Kaiserschnitt erfolgen kann. Übrigens scheitert es oft auch bereits bei der natürlichen Zeugung. Viele Rüden von besonders kompakten, kräftigen Rassen sind körperlich gar nicht mehr fähig, auf die Hündin aufzuspringen...
Man könnte dieses ganze Magazin füllen mit rassetypischen Krankheiten, vor allem wenn nun noch alle neurologischen Symptome beschrieben würden. Eines der für mich krassesten Phänomene ist die Syringomyelie (SM), deren abartige Folgen ich Ihnen hier nicht vorenthalten möchte. Gerade beim brachyzephalen Cavalier King Charles Spaniel ist sie quasi schon eine Volkskrankheit. Der wieder viel zu kleine runde Schädel bietet nicht genügend Platz für Gehirn und Hirnwasser. Letzteres sollte ständig neu gebildet werden und folglich auch über das Rückenmark abfließen können. Da das Loch zum Abfluss nun aber durch das zu große Gehirn blockiert wird, staut sich das Hirnwasser. Es kommt zu höheren Druckverhältnissen im Schädel und folglich einem Wasserkopf. Der starke Druck führt nun zu Nervenreizungen und Ausfallserscheinungen, Kratzattacken und starken Schmerzanfällen.
Zu viele Falten führen zu chronischen Entzündungen und müssen daher regelmäßig gereinigt und gepflegt werden.
Warum das alles?
1943 prägte der Verhaltensforscher Konrad Lorenz den Begriff "Kindchenschema" und beschrieb damit die typischen Merkmale eines Kleinkindgesichts. Dazu zählen vor allem große runde Augen, eine kleine Nase, kurze Gliedmaßen und ein großer Kopf, welcher im Vergleich zum Körper größer als beim Erwachsenen ist: Et voilà - der süße Rassehund mit all seinen Qualzuchtmerkmalen ist beschrieben.
Es scheint eine Perversion des Menschen zu sein, in einem Hund ein möglichst kindliches Gesicht sehen zu wollen, um ihn niedlich zu finden und ihn dann vermutlich auch noch vermenschlichen zu können.
Und da Nachfrage ja immer das Angebot bestimmt und diese optischen Eigenschaften gerade bei Gesellschafts- und Begleithunden ohne besondere Funktion oder Arbeitsaufgabe überaus beliebt sind, wird munter vermehrt und gezüchtet, ohne auf die Gesundheit Rücksicht zu nehmen. Hauptsache die Geldmaschine bleibt in Bewegung. Aber auch ungefährlichere äußere Merkmale wie z. B. Farbvarianten, die gerade modern sind, werden gerne ohne Rücksicht auf Gesundheit und auch Verhalten verstärkt gezüchtet.
So entstehen dann besonders schicke, schlanke Border Collies mit schönen Augen, die übersteigertes Jagdverhalten zeigen und jedes Staubkorn hüten. Oder übertrieben territoriale "Silber Labbis", bei denen angeblich niemals ein Weimaraner für die besondere Farbgebung eingekreuzt wurde (Anm.: Ihre Farbe gilt nicht als anerkannte Farbe des Labrador Retriever nach FCI). Jeder, der nur einen Funken Verstand zum Thema Vererbungslehre aufbringt, weiß, dass aus braunen, gelben und schwarzen Hunden keine silbergrauen entstehen können.
Wir alle kennen doch Hunde mit einem oder vielen dieser beschriebenen Merkmale und Symptome. Aber ist es dann nicht auch unsere Pflicht anzuzeigen, wer gegen das Tierschutzgesetz verstößt? Jeder Nackthund, jeder Mops, jeder Basset - all diese Hunde dürften eigentlich laut Gesetz nicht mehr sein. Natürlich kann auch die sofortige Euthanasie dieser Vierbeiner keine Lösung sein. Vielmehr sollte nun ein Maßnahmenplan erstellt werden, um ab sofort keine kranken und leidenden Hunde mehr in die Welt zu setzen. Und es muss Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass mit bestimmten Rassen gewissermaßen immer kranke Tiere gekauft oder gezüchtet werden und dies nach dem Tierschutzgesetz schlicht verboten ist. Wie absurd die Vorstellung in der Menschenwelt wäre, z. B. absichtlich Wasserköpfe bei Kindern hervorzurufen, weil diese süßer aussehen und beliebter sind. Nein, Menschen haben noch das Privileg auf Kinder der Liebe, Hunde leider nicht.