Vom Leben auf der Straße ins fremde Zuhause - Ein Hund aus dem Tierschutz
Straßenhunde gibt es überall, auch in Deutschland! Es sind Hunde, die nicht in einem Sozialverband mit dem Menschen bzw. in menschlicher Obhut leben, sondern auf der Straße bzw. auf dem Land, oft sogar ganz ohne Kontakt zum Menschen. Sie in eine Familie zu integrieren, kann Probleme verursachen.
Bedingt durch verschiedene Kulturen und Lebensarten gibt es eine höhere Anzahl von Straßenhunden in südlichen Ländern und im Osten (Rumänien etc.), verursacht durch öffentliche Mülldeponien, kaum vorhandene Tierheime und den Stellenwert des Tieres im Allgemeinen. Es muss jedoch auch unterschieden werden zwischen denjenigen Hunden, die entlaufen sind oder ausgesetzt wurden, die also Menschen und Zivilisation gewohnt sind und daher auch die Nähe des Menschen suchen, und den im Gegensatz dazu verwilderten Straßenhunden, die nicht in der Umgebung des Menschen geboren bzw. aufgewachsen sind, sondern in Rudeln eher in der Natur oder auf wilden Mülldeponien leben und dadurch extrem scheu und dem Menschen nicht zugänglich sind. Beim Versuch, Letztere in unserer Heimat zu integrieren, kann es zu großen Problemen kommen. Sie zeigen überaus große Ängstlichkeit im Straßenverkehr, möglicherweise auch im Haus (das kannten sie vielleicht bis dato nicht)oder vor Geräuschen. Oft haben sie problematische Erfahrungen mit Männern gemacht(bestimmte Statur, Hut etc.) und schrecken nun vor ähnlich wirkenden zurück. Eventuell sind Kinder suspekt, nicht unbedingt, weil schlechte Erfahrungen gemacht wurden, sondern weil sie Kinder einfach nicht kennenlernen konnten und diese in einem bestimmten Alter doch sehr unkoordiniert agieren (hüpfen, springen, schreien). Kurzum: Es besteht häufig Überängstlichkeit vor allem Unbekannten. Hier muss beim täglichen Gassigang darauf geachtet werden, dass der Hund sich nicht durch ein unpassendes Halsband oder Brustgeschirr befreien kann, wenn er panisch reagiert und flüchten möchte. Straßenhunde sind gegenüber ihren Artgenossen meist sehr sozial, soweit sie in den Auffangstationen mit diesen keine schlechte Erfahrung gemacht haben. Zudem sind sie aber durchaus sehr selbstständig und eigenständig: Sie brauchen uns Menschen nicht unbedingt. Der Jagdtrieb kann sehr ausgeprägt sein. Abfalleimer werden durchstöbert und alles Fressbare ist nicht sicher, denn nur so konnte der Hund seine Existenz bisher sichern. Diese Verhaltensweisen werden sich zunächst nicht ändern, wenn diese Hunde zu uns in die Familie kommen. Das bedeutet aber auch, dass sie nur bedingt als Familienhunde geeignet sind, denn Bällchenspielen mit Kindern macht für diese Hunde meist keinen Sinn, weil sie doch so selbstständig und eigenständig sind.
Klare Strukturen helfen
Wenn man sich für einen Straßenhund entschieden hat, sollte man dem Hund bitte auf keinen Fall aus Mitleid zu viele Privilegien (Futter steht immer zur Verfügung, Mensch geht auf alles ein, was der Hund „sich wünscht“ etc.) zugestehen. Mitleid ist eine menschliche Regung und diese gibt es in einem Hunderudel nicht. Hunde leben in einem Familienverband, in welchem nun Du als Mensch die Rolle der Elterntiere übernehmen musst. Das bedeutet, dass Du Entscheidungen treffen solltest, um dem Hund ein stressfreies und entspanntes Leben zu ermöglichen. Ein liebevoller, aber konsequenter Umgang mit dem Hund ist hier wichtig. Vor allem weiß keiner, wie sich das neue Familienmitglied entwickeln wird. Im ungünstigsten Fall greift es statt nach dem dargebotenen Finger nach der ganzen Hand. Man hätte dann Privilegien verteilt, die sich nun nur schwer wieder entziehen lassen, denn dies ist ein für beide Seiten sehr schmerzlicher Vorgang. Bestenfalls wird unser Vierbeiner durch unser Zutun ein entspannter Begleiter. Das Eingewöhnen wird für einen Hund viel leichter, wenn von Anfang an klare Strukturen und Regeln existieren, wenn Grenzen gesetzt werden, und wenn für den Hund in den richtigen Momenten liebevolle Konsequenz und Ignoranz von Seiten des Menschen ersichtlich sind. Es gilt, eben nicht den Fehler zu machen und dem Hund alles zuzugestehen, nur weil er es doch vorher so „schlecht“ hatte. Denn gerade unsichere Hunde fühlen sich schnell überfordert, wenn sie viele Entscheidungen treffen sollen, und damit aus ihrer Sicht scheinbar für den Menschen verantwortlich sind. Somit wird der Hund dankbar sein, wenn ihm nicht, vielleicht auch unbewusst, zu viel Verantwortung und damit Stress übertragen wird, denn er wünscht sich von seinem zweibeinigen Partner Führung und hat damit die Möglichkeit der besseren Orientierung.
Körpersprache des Menschen
Äußerst wichtig ist die Körpersprache des Menschen. Straßenhunde sind viel feiner in der Kommunikation als unsere Haushunde im Allgemeinen. Da sie oft nur mit Artgenossen aufgewachsen sind, genügt ein kleiner Blick, um dem anderen deutlich zu machen, dass er gerade unerwünscht ist. Wir Menschen sind dagegen viel gröber in der Kommunikation. Es können Probleme entstehen, etwa wenn wir vornübergebeugt, frontal und fixierend auf den Hund zugehen und ihn locken wollen. Hier zeigt der Mensch aus Hundesicht eigentlich drei Aggressionsstufen, sodass das freundlich gemeinte Locken als Drohung missverstanden werden kann. Hat der Hund dann nicht die Möglichkeit auszuweichen, kann hier eine defensive Aggression entstehen. Der Vierbeiner kann also, bedingt durch die fehlende Fluchtmöglichkeit, den Menschen attackieren. In den ersten Wochen sollte der Hund Vertrauen zu seinen Menschen aufbauen dürfen. Man sollte den Hund peu à peu an verschiedene Reize heranführen und verschiedene Alltagssituationen mit ihm üben. Dabei ist schier endlose Geduld gefragt, denn man darf sich keinesfalls durch scheinbar immerwährende Rückschritte beeindrucken lassen.
Kompromisse schließen
Oft muss man auch anfangs Kompromisse schließen, wie z.B. beim Straßenhund Mio. Die neue Familie von Mio wohnte im ersten Stock und Mio war nicht fähig, Stufen zulaufen, weil er das noch nie musste und daher nie gelernt hat. In diesem Fall durfte Mio die ersten Wochen seine Notdurft auf Zeitungspapier in der Wohnung verrichten. In vielen kleinen Schritten hat er gelernt, die Wohnung über die Treppe zu verlassen und konnte sich dann wieder ganz normal draußen lösen. Aber nicht immer funktioniert eine Eingewöhnung. Manche Hunde sind in der Wildnis aufgewachsen, in ihrer Heimat hatten sie keinen menschlichen Kontakt oder kannten keine Autos oder Traktoren und sind – nach der Devise vom „Urwald nach New York“ – nicht mehr an unsere Lebensumstände zu gewöhnen. In solchen Fällen ist es, trotz aller Bemühungen, dann „nur“ möglich, für den Hund ein entsprechendes Freigehege auf dem Grundstück der neuen Familie zu errichten. Ein guter Hundetrainer kann durchaus neuen Hundehaltern hilfreich bei schon bestehenden Problemen mit Rat und Tat zur Seite stehen oder besser noch prophylaktisch entgegenwirken, um diese erst gar nicht entstehen zu lassen. Bei manchen Hunden sind uns Grenzen gesetzt und sie werden sich nicht immer zu 100 Prozent integrieren lassen oder entspannt mit sämtlichen Alltagssituationen umgehen, das muss uns bei dem Überraschungspaket Straßenhund durchaus bewusst sein.
Probleme in der Erziehung
Die Probleme in der Erziehung, die sich durch die große Selbstständigkeit und Eigenständigkeit der Straßenhunde ergeben, werden oft unterschätzt. Die Familie möchte ihren Hund „umsorgen“, den Hund bestimmte Übungen erlernen lassen, wie z.B. die Grundsignale „Sitz“ „Platz“ und „Hier“. Der Hund kann aber darin keinen Sinn erkennen, konnte er sich doch bis dato überall frei bewegen, Mülleimer leeren und jagen gehen. Der Hund kann durch schlechte Erfahrungen und schlechte Prägung traumatisiert sein. Manche Hunde lassen sich nicht anfassen, hier ist nicht mal ein Minimum an Grundversorgung möglich, wie Pfoten säubern, Fellpflege, Medikamente verabreichen oder Leine und Halsband/Brustgeschirr anlegen. Vielleicht kann man den Hund anfangs auch nicht im Auto mitnehmen. Manche Familienmitglieder werden nicht akzeptiert, da sie mit früheren schlechten Erfahrungen (der südländische Mann, der den Hund getreten hat, oder das Kind, das mit Stöcken und Steinen nach dem Hund geworfen hat) in Verbindung gebracht werden; schlimmstenfalls hat der Hund generalisiert und kann erst mal zu keinem Menschen Vertrauen aufbauen bzw. eine Annäherung zulassen. Es kann eine Traumatisierung durch Reizüberflutung stattfinden. Ist der Hund auf dem Dorf aufgewachsen und wurde hin und wieder mit einem Rad fahrenden Menschen konfrontiert, sieht sich nun plötzlich aber dem Treiben einer großen Stadt ausgesetzt, kann das schlimmstenfalls den Umzug der Familie von der Stadt aufs Land erfordern. Ein Streuner lässt sich in seinem Freiheitsdrang und Freilauf ungern begrenzen, da wird der Gartenzaun untergraben, auch höhere Zäune übersprungen oder einfach überklettert. Er ist ein hervorragender Jäger, die ständige Begrenzung durch die Leine kann eine gravierende Einschränkung für Mensch und Hund bedeuten. Der Straßenhund ist in der Regel in einem Rudel aufgewachsen und war nie einsam. Soll er nun, bedingt durch die Berufstätigkeit des Menschen, alleine bleiben müssen, kann sich Trennungsangst entwickeln. Dies kann eine komplette Lebensumstellung des Hundebesitzers erfordern, da Trennungsangst schwer therapierbar ist. Dass unsere Tierheime schon mit hiesigen Hunden, die scheinbar keine Lobby bei uns haben, überfüllt sind, wird jeder wissen. Was aber, wenn die importierten Straßenhunde letztendlich auch noch ins Heim abwandern, weil Mensch mit all den Aufgaben überfordert und Hund nicht integrierbar ist? Oder weil er einfach auf gut Glück nach Deutschland gebracht wurde, frei nach dem Motto „Es wird sich schon noch jemand finden“? Dies kann nicht der Sinn von Auslandstierschutz sein! Abschließend soll aber erwähnt werden, dass Hunde aus dem Tierschutz natürlich nicht immer nur problematische Hunde sind. Der Vorteil bei der Aufnahme eines Hundes aus dem Tierschutz, welcher in der Regel ja ein erwachsener Hund ist, besteht darin, dass man genau testen kann, welche Eigenschaften und Charakterzüge beim Hund vorhanden sind. So kann ein guter Hundetrainer genau einschätzen, ob der ausgewählte Hund gut in die Familie und deren Interessen und Bedürfnisse passen wird oder nicht. Aus dem Grund scheidet eine Vermittlung per Internet, also ohne den Hund kennengelernt zu haben, natürlich aus! Mittlerweile haben mich acht Hunde in meinem Leben begleitet, außer zwei Vierbeinern kamen alle aus dem Tierheim oder aus dem Tierschutz. Seit fast 7 Jahren sind eine Galgohündin und seit Mitte Mai 2016 ein einjähriger Galgorüde meine Weggefährten. Obwohl jeder für sich eine eigene Herausforderung darstellte, möchte ich die gemeinsame Zeit mit keinem dieser Hunde missen.
Mittelmeerkrankheiten
Bei seriösen Tiervermittlungen sind die Hunde aus dem Süden bereits auf die sogenannten Mittelmeerkrankheiten(u.a. Borreliose, Babesiose/Piroplasmose/Hunde-Malaria, Ehrlichiose, Leishmaniose, Hepatozoonose/Hepatitis, Dirofilariose/ Herzwurm) getestet. Zuverlässig Auskunft über die Freiheit bzgl. dieser Krankheiten gibt allerdings nur ein 2. Bluttest nach ein paar Monaten. Hierzu sollte rechtzeitig ein Tierarzt konsultiert werden. Die zum Teil unheilbaren und tödlichen Erkrankungen, unter denen Straßenhunde oft aufgrund mangelnder Versorgungsmöglichkeiten bzw. Vorsorge leiden, sollten jedem, der sich mit dem Gedanken trägt, einen Straßenhund aufzunehmen, bekannt sein. Man muss sich bewusst sein, dass ein daran erkrankter Hund immense Tierarztkosten verursacht oder – im Extremfall und je nach Grad der Erkrankung – nur durch Einschläfern von seinem Leid erlöst werden kann. Zudem können ansteckende Krankheiten, die normalerweise nicht in unseren Breitengraden vorkommen, eingeschleppt werden und sich somit auch bei uns verbreiten.
8 Regeln für den Umgang mit Straßenhunden
Sollte eine Fellnase unser Herz erobert haben, müssen wir Folgendes beachten:
1. Die Körpersprache und Kommunikation des Hundes gut beobachten und verstehen lernen und sich entsprechend verhalten
- Sich nicht über den Hund beugen, um ihn zu streicheln oder ihn anzuleinen
- Nicht von oben auf den Kopf tätscheln (jede Bewegung von oben nach unten kann der Hund als Bedrohung auffassen)
- Nicht bedrängen, sondern eher Ausweichmöglichkeiten bieten
- Keine schnellen Schritte auf den Hund frontal zugehen, sondern langsam und eventuell seitlich in die Hocke gehen
- Blickkontakt (direkter Blickkontakt kann aus Hundesicht fixierend und damit Drohverhalten bedeuten) vermeiden und dem Hund damit die Möglichkeit der Kontaktaufnahme geben.
2. Das Alleine-bleiben-Können, stubenrein zu sein, das Halsband und die Leine zu tragen oder sich an die Mitfahrt im Auto zu gewöhnen, muss man trainieren, egal ob Welpe oder erwachsener Hund.
3. Der Streuner muss langsam an entsprechende Reize gewöhnt werden, grenzenlose Geduld ist gefragt. Evtl. muss die Lebensweise des Menschen radikal verändert werden, um dem Hund eine Anpassung zu erleichtern.
4. Den Hund nicht mit fremden Personen alleine lassen. Ihn langsam und positiv an eine Hundebox zu gewöhnen ist sinnvoll, bietet sie doch Rückzugsort, Sicherheit und Höhlencharakter in einem.
5. Den Hund draußen mit Halsband/Brustgeschirr, eventuell sogar mit einem Sicherheitsgeschirr mit zusätzlichem Bauchriemen, und Leine sichern, um ein Entlaufen oder Unfällen vorzubeugen.
6. Damit nicht Erfolgserlebnisse zu neuen Problemen führen, bitte verhindern, dass Mülleimer durchwühlt oder Essensreste vom Tisch gestohlen werden. Hier muss der Mensch vorausschauend handeln und alles wegräumen bzw. verschließen.
7. Jagderfolge des Hundes müssen verhindert werden. Hier kann ein existenzielles Training, bei welchem der Hund sich sein Futter erarbeiten muss, gestartet werden. Nach dem Aufbau eines entsprechenden Schleppleinen- und Anti-Jagdtrainings kann dem Hund in entsprechenden Gegenden eventuell ein Freilauf gewährt werden.
8. Wurde uns ein nicht integrierbarer Vierbeiner vermittelt, der mit Menschen und unserer Umwelt unüberbrückbare Probleme hat, bleibt nur noch, ein ausbruchsicheres Areal im Garten oder Hinterhof zu errichten. Der Hund muss entsprechend versorgt, aber in Ruhe gelassen werden. Eventuell kann er mit einem Artgenossen vergesellschaftet werden.
Lösung vor Ort ist echte Hilfe
Bezüglich der Vermittlung von Hunden muss man Tierschutzorganisationen differenziert betrachten. Denn leider gibt es auch unseriöse Tierschutzorganisationen, für die die Vermittlung vor allem ein lukratives Geschäft bedeutet. Nicht selten werden unter miserablen Zuständen Hunde gezüchtet, die dann als arme, geschundene Straßenhunde nach Deutschland weiterverkauft werden. Besser als die Einfuhr so vieler Straßenhunde wie möglich sind Hilfemaßnahmen vor Ort. Allerdings hilft es meist nicht, die Hunde vor Ort nur durchzufüttern, denn dadurch würde die Population, ohne gleichzeitige Kastration, weiter zunehmen. Vorhandene Studien zeigen auch, dass Tötungsaktionen nur vorübergehend wirken, die verbliebenen Streuner können sich ohne Konkurrenz so gut ernähren, dass die Geburtenrate wieder steigt und das Problem auf diese Weise nicht nachhaltig zu lösen ist. Ein Lösungsansatz wären gut organisierte Kastrationseinsätze, die auf Dauer Wirkung zeigen können. Weiterhin müssten in den jeweiligen Ländern Tierärzte entsprechend geschult werden. Zudem besteht Aufklärungsbedarf bei der Bevölkerung des Landes. Dieser muss vermittelt werden, dass Hunde durchaus breitgefächert, je nach Veranlagung, auch vielfältig einsetzbar sind, z. B. als Wachhund, als Hütehund, als Helfer bei der Jagd oder auch als Service- bzw. Therapiehund. Die Verfolgung und Tötung der Hunde zu verringern sowie den Stellenwert der Hunde in der Gesellschaft zu verändern, sollte das große Ziel sein.