Emma ist eine knapp zweijährige Mischlingshündin und geradezu verrückt nach anderen Hunden. Ihre Halterin, Frau Maier, geht mit ihr regelmäßig spazieren und hofft immer, dabei möglichst viele andere Hunde zu treffen. Dann darf Emma endlich spielen und toben. Frau Maier kann überhaupt nicht verstehen, dass sie gelegentlich unangenehme Kommentare erntet, wenn Emma zu anderen Hunden hinrennt. Sie ist doch sehr gut verträglich und hat noch nie einem Hund etwas getan! – Um sechs Uhr morgens verlässt Frau Bauer mit ihrem Boxer-Mischling Ben das Haus. Sie geht ihre erste Gassirunde lieber im Dunkeln, denn um diese Zeit trifft sie selten auf andere Hunde. Ihr graut vor jeder Hundebegegnung, weil Ben aggressiv auf seine Artgenossen reagiert und dann nur schwer für sie zu halten ist. Und am schlimmsten wird es, wenn frei laufende Hunde nah herankommen, kein Halter weit und breit zu sehen ist und sie nicht weiß, wie sie den fremden Hund auf Abstand halten soll …
Jeder Hund tickt anders
Jedes Mensch-Hund-Team hat seine eigene Geschichte. Manche ähneln sich, manche sind grundverschieden. Meistens geht alles gut aus, doch oft genug kommt es auch zu einer Rauferei zwischen den Hunden. Und nicht selten zu einem heftigen Wortwechsel zwischen den Haltern! Jeder glaubt, im Recht zu sein. Viele schließen vom eigenen Hund auf alle Hunde. Doch das funktioniert nicht, denn unsere Hunde sind komplex kommunizierende Lebewesen, jedes mit seiner eigenen Persönlichkeit, der wir mit einem lapidaren „Der will nur spielen!“ nicht gerecht werden ...
Körpersprache lesen lernen
Wie erkenne ich aber, ob eine Begegnung für meinen Hund gut ist? Woher weiß ich, welcher Hund zum Spielkameraden wird und welcher zur Rauferei auffordert? Indem ich mich mit der Körpersprache und Kommunikation von Hunden auseinandersetze. Unsere Hunde haben ihre eigene „Sprache“ und wir Menschen können durchaus lernen, ihre vielfältigen und schnellen Signale zu erkennen und richtig zu deuten. Dann sind wir in der Lage, den entgegenkommenden Vierbeiner (und seinen Menschen!) einzuschätzen und unser Verhalten entsprechend anzupassen: Laufen wir lieber einen Bogen? Drehen wir sogar entspannt um? Oder geben wir unseren Hund einfach frei? Lassen wir ihn hinter uns sitzen und schirmen den anderen ab? Oder verständigen wir uns mit dem anderen Herrchen oder Frauchen? Lassen diese ihren Hund evtl. auch hinter sich warten und man trifft gemeinsam die Entscheidung, die Hunde in den Freilauf zu schicken?
„Die regeln das schon“?
Es gibt meistens mehr als eine Möglichkeit. Wichtig ist, dass wir Hundehalter in der Lage sind, überhaupt Einfluss auf das Verhalten unserer Hunde zu nehmen. Dazu braucht es ein gewisses Maß an Erziehung. Der häufig gehörte Satz „Die regeln das schon!“ ist zwar zutreffend, aber möchten wir das denn? Wollen wir wirklich mit den Folgen leben, die es haben kann, wenn wir unseren Hunden freie Hand bei jeder Begegnung lassen? Wer diesen Satz gebraucht, geht davon aus, dass hinter den Handlungen unserer Hunde keinerlei ernst zu nehmende Motivationen stehen und dass somit auch keine folgenschweren Konflikte entstehen können. Er spricht ihnen jegliche territoriale, ressourcenbezogene oder sexuelle Interessen ab und die Bereitschaft, diese zu verteidigen. Kurz gesagt: Derjenige unterschätzt unsere Hunde völlig! Für einen ängstlichen Hund bedeutet der Spaziergang demnach einen täglichen Ausflug ins Krisengebiet, ohne Rückhalt durch seinen Menschen, schlimmer noch: von ihm der Situation ausgeliefert. Ein pubertierender Rüde bekommt den Freifahrschein, sich mit der Konkurrenz anzulegen. Und eine läufige Hündin darf also den Park der Hundeanarchie gar nicht mehr betreten, es sei denn man möchte Welpen vom nächsten Rüden.
Kontakte im richtigen Rahmen
Im Training wenden sich immer wieder frustrierte, erboste oder auch hilflose Hundehalter an mich: Sie möchten ihren Hund gerne gut erziehen. Sie möchten ihm auch beibringen, in Anwesenheit von anderen Hunden noch auf seine Menschen zu hören. Aber sie können oft nicht vernünftig mit ihrem Hund üben, weil ständig frei laufende Hunde ihr Training unterbrechen. Natürlich sind Sozialkontakte zu Artgenossen für unsere Hunde sehr wichtig und sollen stattfinden! Aber es liegt an uns Haltern, gemeinsam zu entscheiden, wann wir diese Kontakte zulassen und wann nicht. Wenn wir alle einige allgemein gültige Punkte beachten und somit einen rücksichtsvollen und höflichen Umgang pflegen, nützt das unseren Hunden am allermeisten! Für ein entspanntes Miteinander sollte Kontakt an der Leine zwischen Hunden, die sich nicht kennen, vermieden werden. Durch die Leine sind sie in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt und können weder frei kommunizieren noch ausweichen. Dadurch kommt es häufiger zu aggressiven Verhaltensweisen. Ist ein Kontakt an der Leine unvermeidbar, weil z. B. ein frei laufender Hund nicht zurückgerufen wird, kann die Leine fallengelassen werden und der Halter entfernt sich ein paar Schritte, um den Hunden Platz zu verschaffen. Wenn die Leine nicht losgelassen werden kann, weil man sich an einer Straße befindet oder mit seinem jagdlich motivierten Hund im Wald, sollte sie locker und hoch gehalten werden, damit unser Hund sich darunter so frei wie möglich bewegen kann und sich beide Hunde nicht auch noch in der Leine verheddern. Kommt ein angeleinter Hund entgegen, sollte der eigene Hund grundsätzlich an die Leine genommen bzw. sicher an der Seite geführt werden. Dabei spielt es keine Rolle, warum der andere Halter keinen Kontakt für seinen Hund wünscht! Vielleicht wurde dieser Hund kürzlich operiert oder es handelt sich um eine läufige Hündin oder er mag keine anderen Hunde oder der Halter ist in Eile: Niemand sollte sich rechtfertigen müssen, wenn er ungestört vorbeigehen möchte. Dasselbe gilt für Hunde, die einen Bogen mit ihrem Menschen laufen und der Begegnung offensichtlich ausweichen. Überlassen wir es dem anderen Halter, die Gründe dafür zu kennen, und gehen einfach mit Abstand vorbei. Begegnet man einem unangeleinten Hund, kann der eigene Hund auch frei laufen. Hier sollte wieder genau auf die Körpersprache der Hunde geachtet werden. Die Halter können rechtzeitig weitergehen oder ein Hund wird zurückgerufen, wenn ersichtlich ist, dass es zu Spannungen kommen kann.
Ein zuverlässiger Rückruf
Der Aufbau eines sicheren Rückrufs sollte selbstverständlich für jeden Hundehalter sein. Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das obligatorische „Der will nur spielen!“ vielleicht auch bedeuten könnte „Er wird nicht kommen, wenn ich rufe!“ Unsere Hunde sind keine Maschinen, und den hundertprozentigen Rückruf gibt es nicht. Aber mit Training und einer guten Einschätzung des eigenen Hundes, wissen wir ziemlich genau, wann wir uns auf ihn verlassen können und wann wir ihn lieber an der Leine lassen.
Gassi als gemeinsames Abenteuer
Ein Spaziergang von Mensch und Hund kann mit einfachen Mitteln zu einem gemeinsamen Erlebnis werden! Es gibt viele schöne Beschäftigungsformen, je nach Veranlagung und Vorlieben unserer Hunde, die draußen durchgeführt werden können. Der Mensch unterhält sich nicht mehr konstant mit anderen oder starrt unentwegt auf sein Smartphone. Und der Hund bekommt in Aktionen zusammen mit seinem Menschen viel mehr zu tun als Markieren, Abchecken von Gerüchen und Ausschauhalten nach anderen Hunden. Gemeinsame Spaziergänge und Erlebnisse fördern die Bindung und wirken sich dadurch schließlich auch positiv auf den Rückruf aus.
Den eigenen Hund abschirmen
Es ist sinnvoll, unseren Hunden beizubringen, auf ein Signal hin hinter uns zu bleiben, sei es bei fremden Menschen oder frei laufenden Hunden. Wir positionieren uns zwischen unserem und dem entgegenkommenden Hund und können diesen fernhalten, indem wir unsere Körpersprache bzw. Stimme einsetzen. Dieser Schritt ist wichtig, um entweder unseren ängstlichen Hund zu schützen oder auch um unserem bei Distanzunterschreitung aggressiv reagierenden Hund zu vermitteln, dass er sich nicht um den anderen zu kümmern braucht. Wir übernehmen das für ihn und vermeiden so eine Auseinandersetzung zwischen den Hunden. Denn nicht jeder Hund muss jeden anderen Hund mögen! Wenn wir aufeinander Rücksicht nehmen, mit wachen Augen durch die Welt gehen und zudem noch mit einigem Hundewissen ausgestattet sind, dann ist in unseren Parkanlagen und auf unseren Spazierwegen genügend Platz für alle Mensch-Hund-Teams, egal ob sie Kontakt zu anderen suchen oder eben nicht.
„MEIN HUND PÖBELT ANDERE HUNDE AN!“
Wenn Deine Spaziergänge zum Spießrutenlauf werden, weil Dein Hund beim Anblick von Artgenossen bellend in die Leine rennt oder weil er im Freilauf knurrend auf andere zuschießt, dann kann das schnell zur Belastung werden: für Dich, für Deinen Hund, aber auch für entgegenkommende Hunde und Menschen.
Die gute Nachricht ist, dass dieses Verhalten durch Training in der Regel stark verbessert werden kann. Die schlechte, dass es nicht über Nacht geschieht und viel Fleiß, Konsequenz und Durchhaltevermögen Deinerseits erfordert.
Die folgenden Trainingsschritte können Dir helfen, Dein Ziel eines entspannten Spaziergangs zu erreichen:
» Vermeide zu Beginn den Kontakt zu fremden Hunden. Fahre mit dem Auto weg oder übe im Garten. Suche eine Beschäftigung, die Deinem Hund Spaß macht, zum Beispiel Apportieren. Gemeinsame Erfolgserlebnisse sind die Basis für jedes Training!
» Um Deinen Hund in jeder Situation sicher halten zu können, braucht er ein gut sitzendes Brustgeschirr. Ein Ring vorn am Brustgurt ermöglicht es, Deinen Hund doppelt zu führen und ihn beim Reinspringen in die Leine zur Seite wegzudrehen.
» Weiche im Alltag noch fremden Hunden großräumig aus. Wechsel die Straßenseite oder drehe entspannt um. Vermeide Orte, an denen Hunde frei laufen.
» Selbst wenn Dein Hund bisher niemanden verletzt hat, rate ich Dir zum Maulkorbtraining: Einen positiv aufgebauten Maulkorb wird Dein Hund gern tragen. Er gibt Dir die Sicherheit, dass keine Bissverletzungen entstehen können. Er dient aber auch als nützliche Abschreckung für andere Hundehalter, die beim Anblick eines Maulkorbs ihren Hund oft besser kontrollieren.
» Trainiere mit Deinem Hund das Gehen an lockerer Leine, anfangs ohne Ablenkung, später mit mehr und mehr Reizen von außen.
» Übe mit Deinem Hund ein Alternativverhalten ein: Das kann eine Beschäftigungsform sein wie Futtersuche oder das Tragen eines Spielzeuges. Aber auch zum Beispiel das Signal „Schau!“, bei dem Dein Hund den Kopf drehen und Dir in die Augen sehen soll. Ist das Alternativverhalten aufgebaut, kannst Du dich Schritt für Schritt anderen Hunden annähern. Starte, falls nötig, auf sehr große Entfernung!
» Nutze im Laufe des Trainings Leinenführigkeit und Alternativverhalten, um an anderen Hunden vorbeizugehen. Du fungierst dabei als Puffer und lässt Deinen Hund immer auf Deiner vom anderen abgewandten Seite gehen.
» Trainiere mit Deinem Hund, dass er auf Signal sicher hinter Dir sitzen oder liegen bleibt. Auf diese Weise kannst Du später herankommende Hunde von ihm abschirmen. Beginne diese Übung mit Menschen, dann mit befreundeten Hunden, bevor Du sie im Alltag einsetzt. Wenn Dein Hund das alles gelernt hat, bist Du schon ein großes Stück weiter! Aber nicht immer lässt sich pöbelndes Verhalten ohne eine Korrektur, z. B. in Form von Wasser, umlenken. Ich rate Dir, sich im gesamten Training, aber auf jeden Fall beim Einsatz korrigierender Maßnahmen von einem guten Trainer begleiten zu lassen.