F wie Flexileine
Eine Szene aus dem Alltag mit Hund: Erst kommt ein ratschendes Geräusch und dann ist der fremde Hund auch schon da. Innerhalb weniger Sekunden werde ich mit meinen Hunden zu einem handlichen Paket zusammen geschnürt, weil der „Hallo-Sager“ ein dynamisches Rennspiel um uns herum veranstaltet. In Anbetracht der organisatorischen Höchstleistung, bei dieser Aktion nicht zu stürzen, verschlechtert sich zunehmend meine eigentlich gute Laune. Doch damit scheine ich allein. Der „Tutnix!“ wird gehalten von einem freundlich, unschuldig lächelnden „Hunde-Halter“, der zufrieden das Spektakel betrachtet und sehr glücklich ist, dass sein Vierbeiner endlich jemanden „Hallo!“ sagen kann. Wie es scheint, stehe ich völlig allein mit meinem Problem und meinem Frust.
Und genau das spiegelt auch die geteilten Meinungen über diese Art der Leine wieder. Für die einen Hundehalter ist es ein Segen, für die anderen ein Fluch – die Flexileine. Heute möchten wir dieses Hilfsmittel, möglichst neutral, unabhängig der individuellen Vorlieben, beleuchten.
Was versteht man unter eine Flexileine? Eine Rollleine, umgangssprachlich nach einem Markenhersteller oft „Flexileine“ genannt, besteht aus einer langen Nylonschnur, welche mittels einer Federführung automatisch auf einer Spule im Griffgehäuse aufgewickelt wird. Am Ende dieser Schnur befindet sich ein Karabinerhaken an dem der Hund befestigt ist. Gestoppt werden kann der Auszug der Leine durch einen Knopf, der somit eine Art „Bremse“ darstellt. Dieser kann, je nach Bedarf, auch dauerhaft festgestellt werden. Rollleinen gibt es mittlerweile in diversen Ausführungen: zwischen 3 und 10 Metern, in verschiedenen Farben und sogar die eigentlich recht dünne Schnur wird für die schwereren Rasse durch ein Gurtband ersetzt.
Welche Vorteile im Handling hat diese Leine gegenüber anderen? Die Grundidee ist sehr einfach – ich kann meinem Hund einen flexiblen Umkreis beim Spaziergang bieten und das mit nur einer Leine. Zudem bin ich, entgegen der Schleppleine, nicht ständig mit dem Auf- und Abwickeln beschäftigt was die Stolpergefahr extrem minimiert. Ich mache mir bei schlechtem Wetter die Hände nicht schmutzig und kann innerhalb kürzester Zeit entscheiden, ob ich meinem Hund mehr Raum geben möchte.
Die Nachteile im Umgang mit der Leine? Die Distanz zwischen mir und dem Hund zu vergrößern ist eine Sache von wenigen Augenblicken. Der Entschluss ihn wieder räumlich zu begrenzen, artet zum Teil in mühevoller Arbeit aus. Im Internet findet man hierzu die doch recht amüsant scheinende Aussage, den Hund dann „mit schwingenden Armbewegungen näher zu sich heranzuholen“. Eine richtig sportliche Angelegenheit wird es erst bei einem Gewicht ab 20 Kilo aufwärts.
Realistisch betrachtet ist es zwecklos einen Hund ab einem gewissen Gewicht, der gerade zu dem Objekt seiner Begierde mit vollem Elan durchstartet, mit dieser Leine halten zu wollen. Weder der Bremsknopf noch das recht unhandliche Griffgehäuse werden hierbei von Vorteil sein.
Besonders schwierig wird es dann, wenn dies im Kontakt mit Artgenossen oder aber anderen Menschen passiert. Innerhalb von wenigen Sekunden ist die Leine auf volle Länge ausgezogen, der Hundehalter kann nicht so schnell reagieren und es kommt zum ungefragten Sozialkontakt. Die dünnen Schnüre werden zum Teil optisch schlecht gar nicht wahrgenommen. Durch die entstehende Dynamik kann es zu schweren Verletzungen und Verbrennungen bei Hund und Mensch kommen.
Doch nicht nur das: Die verzögerte Reaktion von den Hundehaltern kann noch in ganz anderen Situationen gefährlich werden. Beispielsweise bei einer Katze, die es sich auf der anderen Straßenseite gemütlich gemacht hat und in den Fokus des Hundes gerät. Dem herannahenden Autofahrer kann hierbei kein Vorwurf gemacht werden, wenn er den plötzlich vorschnellenden Hund erfasst.
Die Rollleine aus lerntheoretischer Sicht ? Zieht der Hund, gibt die Leine automatisch mehr Freiraum. Somit lernt er, dass es sich lohnt gegen einen gewissen Widerstand zu arbeiten, um schneller und weiter vorwärts zu kommen. Da dies ein selbstbelohnendes Verhalten ist wird das Training der Leinenführigkeit, also das Laufen an lockerer Leine in einem geringeren Abstand zum Menschen, deutlich erschwert.
Zudem wird leider durch die Bequemlichkeit der Rollleine das eigentlich nötige Training vergessen. Aus der Sicht des Hundes wäre es sehr wertvoll, mittelfristig ein gutes Abrufsignal zu etablieren, welches in angepassten Situationen und Umgebungen „echten“ Freilauf zulässt. Leider neigen Hundehalter jedoch dazu, die Leine als „Werkzeug“ zu benutzen. Da werden „Impulse“ gegeben, die Leine als Angel benutzt, um den Hund nach einem gescheiterten Abruf heran zu holen und fröhlich mit Leine korrigiert (Der Vollständigkeit halber möchten wir an dieser Stelle erwähnen, dass dies leider nicht nur die Rollleine betrifft. Allerdings ist es hier in einem viel größeren Ausmaß zu erkennen).
Wozu das führt, ist im Grunde ganz einfach und absehbar. Ein Hund, der ständig körperliche Einwirkungen durch die Leine erfährt und dessen Halter die Leine aktiv benutzt, um gegebene Signale umzusetzen, wird früher oder später draußen überhaupt nicht mehr zuhören. Immerhin hat er gelernt, dass der Mensch gegebenenfalls, sofern es ihm wirklich wichtig wird, schon dafür sorgt, dass er „kommt“. Dadurch schwindet natürlich die Kontrolle über den Hund, die Orientierung und das „gemeinsame“ Spazierengehen innerhalb kürzester Zeit.
Es entsteht ein sehr schwer durchbrechender Kreislauf: je weniger der Hund zuhört, umso mehr wirkt der Halter ein und umso weniger hört der Hund zu. Für die meisten Hundehalter ist das vorerst kein großes Problem – deswegen ist ja die Rollleine zur Absicherung dran. Für das gemeinsame Miteinander von Hund und Mensch stellt es jedoch schon ein großes Problem dar. Sind gemeinsame Spaziergänge doch die Zeit, die ich mit meinen Hunden zusammen verbringe. Die Momente in denen ich mir Zeit nur für sie nehme, Dinge erleben will, Spaß mit ihnen haben und ihre Bedürfnisse befrieden möchte – das alles ist in dieser Spirale nicht mehr möglich.
Für wen kann jedoch diese Leine geeignet sein? Zum einen für Halter mit kleineren Hunden, die nicht frei laufen können und die Menschen im Umgang mit der Schleppleine aufgrund Alter oder körperlichen Defiziten überfordert sind. Zum anderen auch für ältere Hunde, die aufgrund Taubheit oder Altersdemenz nicht mehr frei laufen gelassen werden können, sich jedoch auch nicht mehr schnell und dynamisch bewegen.
Unser Fazit zu diesem Thema: Mit gegenseitiger Rücksichtnahme, vorausschauenden Umgang und der Gewissheit, dass diese Leine einige Baustellen auftun wird, spricht nichts gegen den Einsatz bei älteren, gesundheitlich angeschlagenen Menschen oder auch älteren Hunden.
Aufgrund der verschiedenen Gefahren hat diese Leine (wenn nicht dauerhaft kurz gestellt!) aus unserer Sicht im Straßenverkehr oder bei Kontakten mit anderen Hunden bzw. Menschen nichts verloren. Die Reaktionsgeschwindigkeit der Hundehalter ist doch wesentlich langsamer als die der Hunde. Bewusst solche Gefahrensituationen einzugehen, um dem Hund einige Meter mehr „Freiheit“ zu bieten, wäre sehr eindimensional gedacht. Hunde sollten sich im städtischen Alltag, bei Begegnungen mit anderen Menschen und auch Artgenossen stets gesichert im Einwirkungsbereich des eigenen Halters aufhalten.