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Bindung und Beziehung von Laura Müller

 

Bindung und Beziehung

Es ist Sonntag und ich stehe auf einer grünen Wiese, mit mir fünf Mensch-Hund-Teams. Alle sind aufgeregt, da es die erste Stunde für sie in der Welpengruppe ist. Dabei erzählen sie von den Erwartungen an das gemeinsame Zusammenleben mit dem neuen Familienmitglied. So ist es Peter zum Beispiel sehr wichtig, dass er „nicht nur ein Futterautomat sein will“ und Anke möchte auf jeden Fall „einen erzogenen Hund, der auch entspannen kann“. Susi möchte ihre Hündin „verstehen“, Thomas „keinen Beller“ genauso wie Paul „keinen sturen Dackel“ möchte. 

In meinem Alltag erlebe ich es häufig, dass wir Menschen eine genaue Vorstellung vom Zusammenleben sowie über Bindung und Beziehung zu unseren Hunden haben, dabei allerdings häufig vergessen, wie unnatürlich diese Anforderungen für unsere Vierbeiner doch sind und wie wenig sie mit der ursprünglichen Lebensweise gemein haben. Welcher Hund will schon von sich aus an lockerer Leine laufen anstatt frei nach Herzenslust im Wald jagen zu gehen? Auch das ruhige Warten im Restaurant, das Ignorieren anderer Hunde oder das Verbellen von Passanten im Garten ist den wenigsten Hunden einfach so in die Wiege gelegt! Zudem sind diese menschlichen Wünsche aufgrund der unterschiedlichen Rassedispositionen auch mehr oder weniger einfach bzw. schwer umzusetzen, insbesondere in Bezug auf die jagdliche, territoriale oder soziale Motivation. Je nach Veranlagung des Hundes findet der eine also Spuren von Hase und Kaninchen eher uninteressant, während der andere völlig gelassen in seinem Körbchen liegen bleibt, egal wer an der Haustür klingelt. Jeder Hund ist ein Individuum mit seinen ganz eigenen Stärken und Schwächen und wird daher im gemeinsamen Zusammenleben mit seinem Menschen je nach Situation leichter oder schwerer mit diesem zusammenarbeiten, und in manchen Situationen gelassener und in anderen angespannter reagieren.

Doch was bedeutet es eigentlich, wenn dein Hund anstatt im Wald bei dir zu bleiben, lieber dem Kaninchen hinterher jagt oder an der Leine ausrastet, wenn er andere Hunde sieht und auf keine deiner Bemühungen, sich für dich zu interessieren, reagiert? Oft heißt es da: „Die Bindung deines Hundes an dich ist aber nicht sehr ausgeprägt…“ oder auch „Ihr beide habt aber keine gute Beziehung!“ Schnell wird klar, dass das Thema Bindung und Beziehung für uns Menschen sehr emotional besetzt ist. Niemand möchte eine schlechte Beziehung zu seinem Hund haben. Und ist es nicht so, dass wir Menschen sofort eine stark ausgeprägte emotionale Bindung zu unserem Hund entwickelt haben, als wir ihn das erste Mal gesehen, den Welpen das erste Mal im Arm gehalten und uns voll und ganz für dieses wundervolle Wesen entschieden haben? Wie kann es da sein, dass unser Hund keine gute Bindung an uns haben soll? Wo wir doch wirklich alles dafür tun, damit es unserem vierbeinigen Freund gut geht. Doch ist das wirklich so? Und wie entsteht eigentlich eine gute Bindung? Und was macht eine gute Beziehung wirklich aus?

Bindung und Beziehung

Im ersten Schritt muss man dazu die beiden Begriffe „Bindung“ und „Beziehung“ einmal genauer voneinander abgrenzen. Eine Beziehung baut ein soziales Lebewesen zu jedem anderen sozialen Lebewesen auf, das es kennt bzw. mit dem es interagiert. Mit jeder Person, aber auch mit jedem anderen Hund baut unser Vierbeiner also eine Beziehung auf. Jede Beziehung unterscheidet sich dabei, abhängig davon, welche Bedeutung der andere im Leben des Hundes spielt. Die Beziehung zum Nachbarn wird daher von vollkommen anderer Qualität sein als die Beziehung des Hundes zu seiner Halterin oder aber auch zur Postbotin.

Die Bindung bezeichnet dagegen eine besonders enge Beziehung zu einem anderen sozialen Lebewesen. Bindung setzt also das Bestehen einer Beziehung voraus! Damit der Hund eine Beziehung und damit eine Bindung zu uns Menschen aufbauen kann, muss er zunächst einmal auf den Menschen sozialisiert werden. Diese Sozialisierung findet bereits im Welpenalter in der Sozialisierungsphase mit Beginn der dritten Woche statt. Echte Bindung zeigen Hunde frühestens im Alter von etwa 14 Wochen. Hat ein Hund bis zu dieser Zeit keine Erfahrungen mit dem Menschen machen können, wird er ein Leben lang diesem gegenüber eher ein Meideverhalten zeigen und damit keine Bindung an ihn entwickeln können. 

Was macht denn nun aber eigentlich eine gute Bindung aus? Wie kann man die Bindung eines Hundes an den Menschen wirklich beurteilen? Verschiedene Verhaltensbiologen wie beispielsweise Erik Zimen oder Ádám Miklósi entwickelten hierzu unterschiedliche Bindungstests. Allen gemeinsam sind drei Faktoren, welche Aussagen über die Bindung ermöglichen. 

  • Individuelle Erkennung

  • Begrüßungsverhalten nach Trennung vom Menschen mit deutlicher Entspannung

  • Der Mensch als sichere Basis bei Erkundung und Gefahr

 

Kuscheln fördert die individuelle Bindung

Die individuelle Erkennung ist logische Voraussetzung, wenn in einer Beziehung zwischen zwei Lebewesen eine enge Bindung entstehen soll. Bindung ist immer emotional, sie entsteht durch Nähe zwischen den Beziehungspartnern. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch das sogenannte „Kuschelhormon“ Oxytocin. Dieses Hormon, das auch bei der Mutter-Kind-Beziehung eine so entscheidende und wichtige Rolle beim Bindungsaufbau spielt, sorgt auch beim Hund dafür, dass dieser sich enger an die Bezugsperson bindet. In Studien wurde nachgewiesen, dass Hunde Oxytocin ausschütten, wenn sie von ihrer Bezugsperson angesehen oder gestreichelt wurden.

Natürlich mag es nicht jeder Hund, fest in den Arm genommen und intensiv gedrückt zu werden, das Bedürfnis nach körperlicher Nähe unterscheidet sich auch je nach Rasse bzw. von Hund zu Hund. Nutze jedoch dieses Wissen, indem du deinen Hund streichelst oder massierst. Beobachte ihn dabei genau und finde heraus, an welchen Stellen er es besonders gern mag. Werde zum Kuschelpartner deines Hundes und genieße diese ganz intimen Zeiten der Zweisamkeit.

Alleinbleiben muss gelernt werden

Hunde können uns Menschen nicht immer im Alltag begleiten, sie müssen lernen, auch einmal allein zu Hause zu bleiben. Zieht ein Hund bei dir zu Hause ein, wird er sich zunächst einmal eng an dich anschließen. Er kennt sich hier nicht aus und wird daher die Nähe seiner neuen Bezugsperson suchen. Lässt du ihn nun sofort für längere Zeit allein, bedeutet das für ihn großen Stress, und er wird entweder erstarrt liegen bleiben oder aber verzweifelt bellen und heulen. Das Alleinbleiben muss daher von Anfang an, egal ob du einen Welpen oder erwachsenen Hund zu dir nimmst, in kleinsten Schritten geübt werden. Nimm dir dafür einige Wochen Zeit, denn so wartet dein vierbeiniger Begleiter später einmal ganz entspannt auf deine Rückkehr. 

Doch wenn dein Hund durch dein Training nun gelernt hat, völlig entspannt allein zu Hause zu bleiben, woran kannst du dann erkennen, dass eine gute Bindung zwischen euch besteht? Eine gute Bindung zeigt sich auch dadurch, dass dein Hund dich freudig begrüßt, wenn du nach Hause zurückkommst. Dabei unterscheidet sich das Begrüßungsverhalten natürlich immer auch rassebedingt. Keine Angst, nur weil dein Bernhardiner dir lediglich langsam wedelnd entgegenkommt und dich einmal kurz beschnuppert zur Begrüßung, hat er keine schlechtere Bindung als der Labrador Retriever, der dich mit hin- und her schwingendem Po freudig umkreist und vor lauter Wiedersehensfreude gar nicht weiß, wohin er laufen soll. 

Die Elternrolle in der Mensch-Hund-Beziehung

Damit der Hund eine gute Bindung zum Menschen aufbauen kann, muss dieser ihm Sicherheit und Geborgenheit bieten. Der Mensch ist die sichere Basis für den Hund, dem er vertraut, an dem er sich orientiert, den er bei Erkundungen immer im Blick behält und im Falle von Unsicherheiten aufsucht, ähnlich wie die Mutter es für das Kind durch die Mutter-Kind-Bindung ist. Nicht unser Hund hat sich in aller Regel entschieden, bei uns einzuziehen, wir waren, es, die ihn ausgesucht und mitgenommen haben. Im Unterschied zum Kind, das irgendwann erwachsen wird und das wir daher zu einer immer größeren Selbstständigkeit erziehen, bleibt der Hund jedoch ein Leben lang in unserer Verantwortung. Wir Menschen müssen daher dauerhaft die Elternrolle einnehmen.

Doch was bedeutet das und wie erreicht man, dass der Hund uns als Fels in der Brandung empfindet? Nicht selten wird hierfür die existentielle Handfütterung empfohlen, der Hund bekommt beim Training und auf dem Spaziergang immer wieder ein wenig Futter, wenn er die Signale des Menschen befolgt. Vermutlich kommt der Gedanke daher, dass die Hundemutter den jungen Welpen ja zunächst versorgt, ihn säugt, dann Futter hervorwürgt und später Nahrung von den Jagdausflügen mitbringt. Doch der junge Hund muss für sein Futter nichts tun, er bekommt es einfach so, einfach nur deshalb, weil die Hundemutter sich um den jungen, unselbstständigen Hund kümmert und ihn gut versorgt. Muss ein Hund also ständig für sein Futter arbeiten und wird ihm dies bei unerwünschtem Verhalten versagt, kann das zu Stress beim Hund führen, denn das Überleben des Hundes scheint damit ja nicht bedingungslos sicher gestellt zu sein. Auf Dauer kann ein solches Training daher sogar zu einer Verschlechterung der Bindung des Hundes an den Menschen führen. Natürlich bedeutet das nicht, dass du beim Training mithilfe der positiven Verstärkung bei erwünschtem Verhalten keine Futterbelohnungen verwenden darfst bzw. dein Hund einen Teil seines Futters beim gemeinsamen Training bekommt. Vielmehr macht es hier sogar Sinn, explizit das Futter auszuwählen, das für den Hund besonders attraktiv ist. Damit der Mensch als Lebensversicherung vom Hund angesehen wird, ist es jedoch notwendig, dass der Hund seine Grundbedürfnisse nicht gefährdet sieht. Dazu gehört aber natürlich nicht nur die tägliche Fütterung!

Damit sich dein Hund an dir orientiert, muss er sich mit dir identifizieren. Es ist also notwendig, dass du dich in deinen Hund hineinversetzen kannst. Du musst wissen, welche individuellen Bedürfnisse er hat, die sich, wie zu Beginn bereits beschrieben, je nach Rassedisposition unterscheiden können. Du musst zudem Situationen anhand der Reaktion bzw. an der zu erwartenden Reaktion deines Hundes beurteilen können, um dann angemessen auf diese zu reagieren. Dazu ist das Lesen und Erkennen der Körpersprache von Hunden unerlässlich. Weicht dein Hund also beispielsweise bei der Begrüßung durch einen Fremden zurück, erwartet dein Hund von dir, dass du aktiv wirst. Jetzt bist du gefragt! Stoppe die Annäherung des Menschen und stelle dich schützend vor deinen Hund. Erkläre deinem Gegenüber, dass dein Hund die Annäherung gerade verunsichert hat und bitte ihn beispielsweise, sich deinem Hund nicht vornübergebeugt, sondern in der Hocke zu nähern. Erkennt dein Hund in solchen und ähnlichen Situationen, dass du ihn verstehst und seine Unsicherheit wahrnimmst, und dass du aktiv handelst, die Elternrolle übernimmst und deinen Hund beschützt, wird er dir auch zukünftig in solchen Situationen vertrauen und dir das Handeln überlassen.

Doch Eltern zeichnen sich auch durch Verlässlichkeit aus! Wie kann mein Hund mich als verlässlichen Partner wahrnehmen, wenn ich mal so und dann wieder ganz anders entscheide oder es im gemeinsamen Zusammenleben eigentlich gar keine Regeln gibt? Konsequenz ist im Umgang mit dem Hund also entscheidend für den Aufbau einer guten Bindung. Der Mensch sollte Regeln für das Zusammenleben aufstellen und sich auch an diese halten. Denn Regeln geben Sicherheit, der Hund weiß, was von ihm erwartet wird und was erlaubt bzw. nicht erwünscht ist. Ob der Hund dabei auf das Sofa darf oder nicht, spielt keine Rolle. Wichtig ist nur, dass aufgestellte Regeln dann auch eingehalten werden. Die Entscheidung über geltende Regeln trifft derjenige, der die Verantwortung trägt. Wie soll sich dein Hund aber an deine Entscheidungen halten, wenn im Alltag eigentlich er alles entscheidet? Du glaubst, das ist nicht so? Überprüfe das am besten einmal mit einer Strichliste. Wie oft kommt dein Hund mit einem Ball zu dir und fordert dich zum Spiel auf? Wie oft gehst du dann darauf ein? Wie oft stupst dich dein Hund mit der Hand an und fordert eine Streicheleinheit ein? Und wie oft geht deine Hand dann automatisch nach unten, um deinen Hund kurz zu kraulen? 

Dabei möchte ich nun keinesfalls sagen, dass du deinen Hund nicht streicheln oder mit ihm spielen darfst. Wir haben ja schon festgestellt, dass Kuscheleinheiten die Bindung fördern. Das gleiche gilt auch für ein spannendes gemeinsames Spiel! Spiel und Spaß fördern die Beziehung, gemeinsame Erlebnisse steigern die Bindung deines Hundes an dich. Dabei ist im ersten Schritt gar keine spezielle Trainingsform gemeint. Viele Menschen denken beim Thema „Spiel mit dem Hund“ immer sofort an Objektspiele. Du kannst aber auch einfach so ohne Hilfsmittel mit deinem Hund spielen, indem du deinen Hund zu einem Renn- oder Tobespiel aufforderst. Doch auch gemeinsames Training ist wichtig, denn damit befriedigst du die individuelle Motivation deines Hundes. Bei der Auswahl können die rassebedingten Dispositionen wieder einen Hinweis geben, doch auch hier gilt wieder: Jeder Hund ist individuell! Probiere daher einfach aus, was deinem Hund Spaß macht. Dies kann eine Futtersuche sein, bei der dein Hund auf dein Signal dem Futter hinterherjagen kann, ein gemeinsames Apportierspiel, ein Suchspiel oder auch einfach gemeinsame dynamische Aktivitäten. Je mehr du deinen Hund mit der gemeinsamen Aktivität begeistern kannst, desto intensiver wird eure Bindung zueinander. Und dann bist du nicht nur ein Spielgefährte für ihn, sondern vor allem ein starker und verlässlicher bzw. eine starke und verlässliche Partner:in im Alltag, an dem bzw. der sich dein Hund orientiert und dem bzw. der er vertraut.