Wer läuft hier eigentlich mit wem?

Der Klassiker: Abendrunde um den Block
Es ist früher Abend. Die Sonne verschwindet langsam hinter den Häuserdächern, und auf dem Gehweg trottet Leo neben seinem Menschen, Jana. Oder besser gesagt: Jana trottet neben Leo. Denn Leo hat viel zu tun. Alle paar Schritte bleibt der stattliche Schäferhund-Mix stehen, senkt die Nase und schnüffelt. Hier riecht es nach Nachbarshund Rocky, dort hat vermutlich die junge Hündin Kira vorbeigeschaut. Ein Pfosten, ein Busch, eine alte Bananenschale – alles wird ausführlich untersucht, manches mit einem gezielten Beinheben „kommentiert“.
Jana steht daneben, die Leine schlaff in der Hand, das Handy in der anderen. Eigentlich wollte sie nur eine kleine Runde drehen, Leo „noch mal rausbringen“, bevor der Tag endet. Doch während Leo seine Riechorgane voll beschäftigt, stellt sich leise eine Frage: Wer führt hier eigentlich wen?
Schnüffeln ist mehr als Neugier
Für uns Menschen ist ein Laternenmast eben ein Laternenmast. Für einen Hund ist er eine Duftdatenbank. Unsere Hunde können Gerüche nicht nur wahrnehmen – sie analysieren, bewerten und speichern sie. Sie wissen, wer da war, wann, in welchem Zustand, mit welchem Geschlecht und ob diese Hündin vielleicht bald wieder läufig ist. Und nicht selten hat Leo dann das Bedürfnis, seine eigene Botschaft dazulassen: „Ich war auch hier!“ – oder: „Das ist jetzt mein Pfosten.“
Was für uns aussieht wie belangloses Pipi-Geschäft, ist für Hunde ernsthafte Kommunikation. Dabei geht es um territoriale Ansprüche, sexuelle Botschaften, Identität und manchmal auch einfach um das gute Gefühl, wichtig zu sein.
Aber warum kann das zum Problem werden?
Stell dir vor, Leo markiert seit Tagen jeden Morgen den Rand eines kleinen Gartens, in dem Terrierdame Nala wohnt. Nala schnuppert das natürlich. Und weil sie sich provoziert fühlt, markiert sie zurück. Am nächsten Tag wiederholt sich das Spiel. Beide „diskutieren“ – wortlos, aber mit Nachdruck. Und wenn sie sich eines Tages direkt begegnen, reicht oft ein Blick, um Spannungen entstehen zu lassen.
Was viele nicht bedenken: Diese Kommunikation findet schon lange vor einer tatsächlichen Begegnung statt. Sie beginnt bei der Gassirunde, beim Lösen, beim Markieren. Und genau dort beginnt auch die Frage nach der Führungsrolle.
Wer entscheidet eigentlich?
Wenn ein Hund wie Leo ständig bestimmt, wo es langgeht, wo geschnüffelt wird, wann angehalten wird – dann übernimmt er auch zunehmend das Gefühl von Verantwortung. Er glaubt, dass es sein Job ist, alles im Blick zu behalten: andere Hunde, das Revier, mögliche Gefahren. Und das stresst. Denn eigentlich wollen Hunde nicht Chef sein. Aber wenn der Mensch keine klaren Signale gibt, springen sie eben in diese Rolle.
Und da liegt der Schlüssel: Führung bedeutet nicht, dem Hund alles zu verbieten. Es bedeutet, Rahmen zu setzen, Entscheidungen zu treffen und gleichzeitig Kooperation zu fördern.
Markieren – erlaubt oder verbieten?
Die kurze Antwort: Erlauben – aber gezielt!
Markierverhalten ist wichtig, aber es sollte nicht beliebig stattfinden. Wenn der Hund entscheidet, wann und wo er markiert, übernimmt er damit automatisch auch Verantwortung. Besser ist es, wenn der Mensch bestimmt, wo es erlaubt ist, und dem Hund dort gezielt Freiraum gibt.
Beispiel: Nicht an der Hausecke der Bäckerei, nicht am Autoreifen des Nachbarn. Aber auf einer ungenutzten Grünfläche – gern. Dein Hund muss lernen, dass du der Filter bist, durch den seine Bedürfnisse gehen.
Praktische Tipps für deinen Alltagsspaziergang
Vor dem Losgehen:
- Lösen im Garten: Gib deinem Hund vorher die Chance, sich in Ruhe zu lösen.
- Du gehst zuerst raus: Achte darauf, dass du den Spaziergang eröffnest – nicht dein Hund.
Beim Spazierengehen:
- Gehe mittig auf Wegen, nicht direkt an Hecken oder Laternen – so reduzierst du die Versuchung zum Dauer-Schnüffeln.
- Leine bewusst führen: Halte sie kurz und locker, gib Führung, nicht Spannung.
- Schnüffelpausen auf Signal: Sag deinem Hund gezielt, wann und wo er schnuppern darf – z. B. durch ein „Such mal“ oder „Freizeit“.
Beschäftigung unterwegs:
- Mini-Aufgaben einbauen: Lass deinen Hund Futterbrocken suchen, Apportieren oder kleine Tricks zeigen.
- Verteile Futter bewusst: Nutze Teile der normalen Futterration draußen als Belohnung – besonders spannend ist das gleich zu Beginn der Runde.
- Abwechslung statt Langeweile: Ein Spaziergang ist keine Pipi-Pflicht – er kann ein echtes Team-Event sein!
Signal für’s Geschäft: „Mach Pipi!“
Ein Hund, der sich auf Signal lösen kann, macht das Leben leichter – etwa vor Autofahrten oder am späten Abend.
So geht’s:
- Führe deinen Hund an eine ruhige Stelle.
- Warte ab, ohne zu reden oder ihn zu beobachten.
- Während er sich löst, sag ruhig dein gewähltes Signal – etwa „Pipi“.
- Nach dem Geschäft gibt’s ruhiges Lob oder ein kleines Leckerli.
Wichtig: Nicht mitten in der Bewegung loben – das kann das Lösen unterbrechen. Erst danach belohnen.
Was tun, wenn dein Hund nach dem Pinkeln scharrt?
Du kennst das vielleicht: Nach dem Pinkeln kratzt dein Hund mit den Hinterbeinen den Boden auf, manchmal mit viel Energie und Lautstärke. Das ist kein harmloser Spleen – sondern ein klares Signal. Er verstärkt damit seine Markierung und zeigt offensiv Präsenz. Im Hundeuniversum ist das eine Ansage: „Das hier ist meins.“
Deine Reaktion? Ignorieren!
Lachst du darüber oder bleibst stehen, signalisierst du Zustimmung. Gehe einfach weiter, ohne Aufhebens. So lernt dein Hund: „Das ist nicht deine Aufgabe, sondern meine.“
Fazit: Weniger Zufall, mehr Teamarbeit
Ein Spaziergang ist weit mehr als „den Hund mal rausbringen“. Es ist eure gemeinsame Zeit, in der sich zeigt, wer führt, wer folgt und wie gut ihr als Team funktioniert.
Wenn du deinem Hund klare Strukturen gibst, ihn forderst und förderst, statt ihm einfach die Verantwortung zu überlassen, wirst du schnell merken: Er wird entspannter, aufmerksamer – und viel lieber mit dir unterwegs.
Denn Hunde sind nicht gern „Manager ihrer Welt“. Sie wollen Partner sein. Und das beginnt an der Haustür – und beim nächsten Laternenpfahl.