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Die Wahrheit über Belohnungen im Hundetraining

Foto: Adobe Stock

Belohnungen verfolgen das Ziel, dass der Hund ein konkretes erwünschtes Verhalten auf Wunsch des Menschen an jedem gewünschten Ort zu jedem gewünschten Zeitpunkt zuverlässig ausführt (bspw. „Sitz“) und dabei auf das verzichtet, was er etwaig gerade lieber getan hätte (bspw. den gesichteten Hasen jagen). Dieser Verzicht auf sein originäres hündisches Verhalten und ersatzweiser Ausführung des vom Menschen gewünschten Alternativverhaltens verdient eine Belohnung.

Eine Belohnung muss daher einen Vorteil für den Hund bieten. Sie muss etwas sein, das der Hund auch tatsächlich haben möchte. Sie muss etwas sein, das der Hund als angenehm empfindet. Sie ist also unbedingt aus der Sicht des Hundes zu betrachten und nicht aus der Sicht des Menschen. Zudem muss sie unmittelbar auf das erwünschte Verhalten des Hundes folgen. Wenn der Hund beim morgendlichen Spaziergang eine schöne Leinenführung zeigte und ich ihm dafür „zur Belohnung“ zuhause sein Futter hinstelle, ist das nicht unmittelbar und kann vom Hund auch nicht mit seiner Handlung eine Viertelstunde zuvor in Zusammenhang gebracht werden. Ein anderes Beispiel wäre, wenn der Hund das erwünschte Verhalten „Sitz“ zeigt, ich ihm als Belohnung von oben über den Kopf streichle und der Hund sich in diesem Moment wegduckt, ist es ziemlich fraglich, ob das aus Hundesicht tatsächlich etwas Angenehmes ist und somit als „Belohnung“ taugt.

Sehr häufig erleben wir im Hundetraining und leider ganz besonders bei Welpen, dass Menschen sich mit dem Wunsch an uns wenden, dass der Hund etwas nicht machen soll (nicht anspringen, nicht beißen, nichts anknabbern, nicht bellen, etc). Eine Nicht-Anweisung ließe sich, wenn überhaupt, nur durch Bestrafung lösen. In unserem Kopf entsteht jedoch immer das Bild dessen, was nicht sein soll („denk nicht an einen rosa Elefanten“). Wenn wir einen Hund bei einem bestimmten unerwünschten Verhalten beobachten, sollten wir uns stets bewusst sein, dass der Hund dies nicht tut, um uns zu ärgern, sondern weil es sein natürliches Verhaltensrepertoire ist, anders ausgedrückt: Hunde sind Hunde und keine Menschen, daher tun sie Dinge, die Hunde eben tun. Ohne ein ‚aber‘ hinterher zu schicken.

Würden wir den Welpen jetzt andauernd bestrafen mit „Nein, dies darfst du nicht“ und „Nein, jenes darfst du nicht“, wenn er doch gerade nur seiner Natur folgt, drängt sich rasch die Frage auf, wozu der Hund überhaupt ins Haus genommen wurde, wenn er jetzt so gar nicht Hund sein darf. Ist es doch auch für den Hund frustrierend nicht so sein zu dürfen, wie er eben ist. Natürlich wollen wir alle unsere Wohnungseinrichtung behalten und auch nicht dauernd vom Hund schmutzig gemacht werden oder gar in unserer körperlichen Unversehrtheit bedroht sein. Tatsächlich lebt ein Hund genau in diesem Spannungsfeld einer Menschengesellschaft. Würde der Hund ausschließlich Hund sein sollen, dann müssten wir ihn freilassen und sich seine Beute selbst jagen lassen. Das passt natürlich nicht in unsere Gesellschaft und die meisten Hunde sind aufgrund jahrtausendelanger Domestikation und der innigen Beziehung zu ihrem Menschen so sehr gebunden, dass sie wohl vor der Türe warten würden.

      Einer der wesentlichsten Unterschiede zwischen Kindererziehung und Hundeerziehung sehe ich darin, dass wir unsere Kinder zur Autonomie, also zu einem selbstständigen Leben erziehen und unsere Hunde in Abhängigkeit halten und erziehen. Wir wollen in unserer Kultur einfach nicht, dass der Hund auszieht und andere Tiere jagt und tötet.

      Führung bedeutet jemanden dazu zu bringen das zu tun, was man will, wann man will und wo man will, <u>weil er es will</u>. Diese letzten vier Worte der Definition werden nicht nur im Hundetraining gerne übersehen. Ich ersuche um Nachsicht, wenn ich in diesem Artikel die Worte ‚Training‘ und ‚Erziehung‘ teilweise synonym benutze.

      Die Natur stellt dem Hund eine gewisse Menge an Energie zur Verfügung. Diese Energie wird gebraucht, um den Organismus am Leben zu erhalten (Systemerhaltung). Sie dient der Aufrechterhaltung der Funktionen aller Organe, wie auch des Gehirns genauso wie dem Nahrungserwerb und der Fortpflanzung und dem Schutz der eigenen Integrität. Dabei geht die Natur nicht verschwenderisch um. Daher möchte ich die vier Hauptmotivationen des Hundes nennen, für die diese Energie vorgesehen ist:

  • Jagd (Nahrungserwerb)
  • Sexualtrieb (Fortpflanzung)
  • Territorialverhalten (Schutz der eigenen Integrität)
  • Sozialverhalten (Anschluss an ein Rudel, Schutz der Rudelintegrität)

Es handelt sich dabei um primäre Wirkfaktoren auf das Verhalten des Hundes. Sie brauchen dem Hund nicht vom Menschen beigebracht zu werden. Ihr Organismus ist darauf ausgelegt diese Handlungen zu können und zu perfektionieren, da nur so sein Überleben gesichert ist. Kein Hund ist darauf ausgelegt in Hungerstreik zu gehen und für diese Überzeugung notfalls zu sterben. Ganz im Gegenteil ist Nahrung das grundlegendste Bedürfnis, das jedem Organismus innewohnt, denn ohne ausreichend Nahrungsmittelzufuhr (=Energiezufuhr) können auch die anderen drei Faktoren nicht erhalten werden.

Jede dieser vier Motivationen kann daher als Belohnung eingesetzt werden, wobei die basalste Form die Futterbelohnung ist. Grundsätzlich gilt das für uns Menschen gleichermaßen (**), doch ist das in unserer Wohlstandsgesellschaft teilweise in Vergessenheit geraten, da Essen im Überfluss vorliegt. Im Rahmen der augenblicklichen Teuerung und Geldentwertung wird das vielen von uns gerade wieder schmerzlich bewusst.

Das führt mich zu einem weiteren wichtigen Punkt bei Belohnungen: Eine Belohnung kann nur etwas sein, das nicht im Überfluss vorhanden ist. Es muss sich um eine knappe Ressource handeln. Und wie zuvor schon erwähnt, muss es sich um etwas handeln, das der Hund haben möchte. Eine Belohnung muss einen momentanen Vorteil für den Hund bedeuten. Ein Hund, der Nahrung im Überfluss zur Verfügung hat und dadurch vielleicht auch schon übergewichtig wurde, wird eventuell immer weniger gut über Jagdspiele und Futter motivierbar sein.

Wir sollten uns immer wieder bewusst machen, welch großartige Leistung ein Hund bereits vollführt, wenn er das simple Kommando „Sitz“ ausführt. Wir Menschen kommunizieren überwiegend durch akustische Sprache, Hunde kommunizieren jedoch sehr viel in visueller Sprache. Wir verlangen also von einem kleinen acht Wochen alten Geschöpf, dass es sowohl eine Fremdsprache als auch fremdes Verhalten lernen soll und bedenken dabei viel zu selten, welch überragende und vielfältige Leistung wir da abverlangen, die dieses wunderbare Wesen sogar tatsächlich zu leisten vermag. Dieser Welpe war acht Wochen zuvor noch ein Fötus und etwa weitere acht Wochen davor noch nicht einmal gezeugt, das heißt es gab noch keine einzige nur dieses eine Wesen bestimmende Körperzelle. Wohl niemand von uns würde das von einem Menschenbaby gleichen Alters fordern, trotzdem sich der Mensch als die Krone der Schöpfung sieht. Ist das nicht absurd?

Was bei beiden noch gleich ist, beide verstehen die Bedeutung des Wortes nicht. Es macht also keinerlei Sinn zum Hund zehnmal Sitz zu sagen, geschweige denn dabei immer strenger und lauter zu werden, wenn er doch noch gar nicht weiß, was dieses Wort bedeuten soll. Bedenken wir dabei auch, dass Hunde deutlich besser hören als wir. Es handelt sich also um einen schweren Attributionsfehler, wenn wir glauben, dass wir durch lauter werden irgendetwas verständlicher für unseren Hund machen, weil wir uns in unserer menschlichen Wahrnehmungswelt in dem Moment nicht gehört fühlen.

Jede der vier vorgenannten Motivationen kann also grundsätzlich zur Belohnung herangezogen werden, wenn es sich um etwas handelt, das der individuelle Hund haben oder tun möchte und diese Ressource vom Menschen beschränkt, also knapp gehalten, sowie unmittelbar im Anschluss an das erwünschte Verhalten gewährt werden kann.

  • Futterbelohnung, Jagdspiele, Suchspiele, buddeln bei einem Mäuseloch
  • Rüden den Geruch einer für ihn interessanten Hündin schnüffeln lassen
  • Markieren lassen, etwas tragen lassen
  • Zieh- und Zerrspiele, Streicheln

Grundsätzlich können zwar alle Belohnungsvarianten angewendet werden, nur wird es wohl weder erstrebenswert noch sinnvoll sein, den Hund zuhause nach dem auf-die-Decke-schicken diese zur Belohnung territorial markieren zu lassen.

Ein wohlerzogener, ein gehorsamer Hund entsteht jedoch nicht bloß durch Belohnung. Essentiell ist Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung, … wobei die Fähigkeit des Menschen zu Geduld und konsequenten Handlungen absolut notwendige Tugenden auf diesem Weg sind. Wir Hundetrainer verstehen uns somit also auch als Menschentrainer, denn der Mensch muss durch uns eine Fähigkeit erhalten.

Der Hund soll das Vertrauen in die Beziehung zu seinem Menschen gewinnen, dass, wenn er das tut, was sein Mensch möchte und dazu auf das verzichtet, was er selbst möchte, ihm immer einen Vorteil im Leben bringen wird. Hundetraining ist also stets Beziehungsarbeit an der Mensch-Hund Beziehung.

Dazu gehört auch die Beachtung des Hundeverhaltens in jenen Zeiten, in denen nicht mit dem Hund trainiert wird, was schon rein mathematisch der überwiegende Teil der Zeit sein wird. Auch durch Nichtstun bzw. einen Laissez-faire Stil kann sich unerwünschtes Verhalten etablieren, denn auch unerwünschtes Verhalten festigt sich durch Wiederholung. Läuft der Hund also frei im Garten herum und bellt jeden Passanten an, ist es wichtig sich bewusst zu machen, dass auch das Wiederholungen sind. Darauf zu warten, dass es dem Hund zu blöd wird, schlägt meist fehl. Beachten wir dazu wieder die von der Natur vorgesehene Energie. Die Natur hat nicht vorgesehen Energie zu verschwenden. Der Hund, der immer wieder bellend zum Zaun läuft, tut dies genau deshalb, weil er sich daraus in einem Vorteil glaubt und belohnt sich dadurch mit jeder Wiederholung selbst. Er würde es ja nicht tun, wenn er nicht diesen Vorteil für sich vermutete. Ich hatte bisher noch keinen Hund, der alleine in den Garten ging um Leinenführigkeit zu üben.

Lass also deinen Hund am besten nichts wiederholen, was du nicht tatsächlich gebrauchen kannst.

Wie? Gib ihm Aufgaben! Ein Hund, der keine Aufgabe hat, wird sich eine Aufgabe suchen und damit möglicherweise zu einer Aufgabe werden, denn umgekehrt muss die vorgesehene Energie auch irgendwo hin, entweder in Fett oder in Bewegung. Und Sinn macht es in der Natur nur, diese Energie für eine der vier Bewegungsmotivationen einzusetzen.

Alle unsere Hunderassen wurden für eine gewisse Aufgabe gezüchtet (***), der sie heute in unserer Kultur kaum noch nachkommen dürfen. Umso wichtiger ist es ihnen Aufgaben zuzuteilen. Auf diese Aufgaben kämen sie vielleicht nicht von selbst, doch kann man durch Belohnung solches erwünschtes Verhalten erzeugen und seine Eintrittswahrscheinlichkeit erhöhen (verstärken).

Für den einen Hund kann das hinter-einem-Ball-herjagen und diesen zu apportieren schon an sich eine Belohnung sein, bei der er sein Jagdbedürfnis mit einem vom Menschen zur Verfügung gestellten Objekt ausleben kann, ohne dass zusätzlich noch Futter gegeben wird. Für einen anderen Hund mag es sofort erkennbar sein, dass der durch die Luft geschossene Ball nicht lebt und es daher völlig sinnlos wäre ihm hinterherzulaufen, weil er am Ende nicht gefressen werden kann.

Zusammenfassend beachte, dass bei Belohnung von Hundeverhalten viele Einflussfaktoren zu beachten sind, wobei ich mich im Hundetraineralltag am häufigsten mit Belohnung zum falschen Zeitpunkt (schlechtes Timing) sowie mit dem Zulassen von Wiederholungen unerwünschten Verhaltens konfrontiert sehe. Jedoch auch die Betrachtungsweise des Hundebesitzers kann Verhalten schnell verändern. Wenn ein Welpe sich einen Hausschuh schnappt und durch die Wohnung trägt und das von seinem Menschen als unerwünschtes Verhalten betrachtet wird, will er dieses Verhalten weghaben. Wenn er jedoch darin sieht, dass sein Welpe ihm gerade eine Kompetenz zeigt, nämlich das Tragen eines Gegenstandes, dann braucht er dem bloß noch eine Richtung zu verleihen und hat auch schon das Apportieren gelernt.

Die gute Nachricht: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass jeder, der geduldig und konsequent dran bleibt sein eigenes Training mit dem Hund zu verbessern, den Erfolg gar nicht vermeiden kann. Jedenfalls wird ein Hund, der über Wiederholung und Belohnung gefördert und gefordert wird, immer sicherer werden, immer mehr Spaß am Lernen entwickeln, die Bindung zu seinem Menschen festigen und in seiner Persönlichkeit wachsen.

Das ist es allemal wert!

 

 

(*) Auch in der Humanpsychologie sowie im Management von Unternehmungen gibt es dazu zahlreiche Diskussionen. Als interessantes kontroversielles Buch nenne ich an dieser Stelle gerne das Buch „Punished by rewards“ von Alfie Kohn

(**) siehe auch Bedürfnispyramide nach Maslow

(***) Züchtung bedeutet Selektion durch den Menschen

 

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