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Artgerecht ist unsere Form der Hundehaltung ohnehin nicht

Immer mehr Vierbeiner tummeln sich auch in Großstädten – kein Wunder, schließlich sind sie für uns als treue Begleiter nicht mehr wegzudenken. Aber tun wir unseren Hunden damit etwas an, wenn wir sie dem Stadtrummel aussetzen?

Wir haben mit Hundetrainerin Conny Sporrer, Inhaberin von Martin Rütter DOGS Wien, über Vorteile und Nachteile und die verschiedenen Herausforderungen für Stadthundebesitzer gesprochen – und Spannendes erfahren.

Conny, du hast viele Stadthunde im Training. Ist es deiner Meinung nach ratsam, einen Hund in der Stadt zu halten?

Grundsätzlich muss man sagen: Wer auch immer meint ,Hunde würden in der Stadt kein artgerechtes Leben führen, hat Recht. Denn „artgerecht“ ist unsere Form der Hundehaltung ohnehin nicht. Wer Hunde wirklich artgerecht halten möchte, darf sie bitte nicht an der Leine führen, muss sie jagen lassen, lässt sie ins Haus markieren, verhindert keinesfalls das Ausleben ihres Paarungsverhaltens und vieles mehr. Und das ist nur ein Auszug der Einschränkungen, die wir Hunden abverlangen – übrigens egal wo wir mit ihnen leben. 

Das Gute ist: Hunde sind unglaublich flexibel und anpassungsfähig und suchen unsere Nähe – egal ob wir in einem Haus mit Garten oder einer kleinen Stadtwohnung leben. Wenn die Beziehung stimmt, wird der Hund immer im Wohnzimmer bei seinen Menschen sein wollen. Ganz entscheidend ist, dass man seine Hunde geistig und körperlich beschäftigt, das gilt aber für Stadthunde genauso wie für Vierbeiner auf dem Land. Generell hat auch die Natur vorgesehen, dass die „Höhle“ ein Rückzugsort zum Schlafen und Energietanken ist, in der man sich sozusagen in Ruhe auf den nächsten Jagdausflug vorbereiten kann.

Ich frage mich manchmal, ob so mancher Mensch denkt, Hunde würden in einem großen Haus stundenlang auf und ab laufen und damit ihren Tagesbedarf an Beschäftigung kompensieren? Ich behaupte sogar, dass „Gartenhunde“ einen Nachteil haben: Für den Menschen ist es bequemer, sie „mal eben“ in den Garten zu lassen, um ihr Geschäft zu erledigen. Aus Bequemlichkeit verzichtet der Mensch dann gerne auf aufregende Abenteuerspaziergänge und ist verleitet stupide Ballwurfspiele im Garten zu machen, um den Hund entsprechend auszupowern. Der Hund wird dann also entsprechend weniger gefordert und nicht so ausgelastet, wie man es ihm eigentlich schuldig wäre.

Was sind die Herausforderungen, mit denen ganz besonders Stadthundebesitzer konfrontiert sind?

Mit Sicherheit das enge Zusammenleben mit Menschen und anderen Hunden auf relativ engem Raum. Dazu muss der Hund fast überall an der Leine geführt werden, an einigen Stellen auch zusätzlich einen Maulkorb tragen. Die Aufgabe des Menschen muss also sein, seinen Hund mit viel Gefühl an sämtliche Reize der Stadt heranzuführen, ihm eine gute Leinenführigkeit beizubringen, ihn gegebenenfalls langsam an einen guten Maulkorb zu gewöhnen und vor allem eine gute Beziehung zu seinem Vierbeiner aufzubauen. Nur wenn ein Hund seinen Menschen auch als sicheren Partner sieht, der ihn an die Hand nimmt und unangenehme Situationen gemeinsam mit ihm meistert, fühlt er sich sicher und kann Vertrauen schenken.

So ein Spaziergang in der Stadt kann zum tollen Abenteuer werden.  

Was sollte man vor dem Kauf eines Hundes beachten, der in der Stadt leben soll?

Natürlich gilt auch immer die Option einem Hund aus dem Tierheim/Tierschutz eine zweite Chance zu geben. In jedem Fall sollte aber darauf geachtet werden, dass der Hund bisher schon Stadtreize wie Verkehrslärm, Menschenansammlungen und andere Hunde kennengelernt hat. Hunde die diese Reize in ihrer sensiblen Phase (also etwa in der 4. bis 8. Lebenswoche aber durchaus auch danach) nicht kennengelernt haben, haben oft kaum noch Chancen, diese Versäumnisse nachzuholen und können ihr Leben lang (umwelt)unsicher bleiben. Dabei macht es übrigens keinen Unterschied, ob der Hund vom Züchter auf einer Tiroler Alm kommt oder in der spanischen Pampa gelebt hat.

Sind manche Rassen besser bzw. manche gar nicht für die Stadt geeignet?

Im Grunde gibt es zwei Rassekategorien, die sich eher schlecht oder gar nicht für ein Leben in der Stadt eignen. In erster Linie sind das so genannte Herdenschutzhunde (nicht Hütehunde!). Diese wurden ausschließlich zu dem Zweck gezüchtet, auf Herden und Höfe selbständig aufzupassen – haben deshalb ein sehr ausgeprägtes Territorialbewusstsein und meist eine hohe Skepsis gegenüber Fremden. Das sind natürlich Attribute, die im engen Zusammenleben der Menschen in der Stadt äußerst unerwünscht sind. Vor allem aber werden die Hunde selbst ihr Glück in einer Stadtwohnung kaum finden.

Die zweite Kategorie sind “Hof- und Wachhunde“. Das Problem ist, dass diese Rassen, vor allem in der Stadt, kaum entsprechend ihren Bedürfnisse ausgelastet werden können. Ihre Hauptaufgabe ist und bleibt das Aufpassen und Wachen. Das ist in einer Wohnung kaum zu ermöglichen bzw. durch eine mehr oder wenige hohe Bellfreudigkeit meist auch in der Nachbarschaft äußerst unbeliebt.

Kommt es auf die Größe des Hundes an? Sind zum Beispiel kleinere Rassen automatisch besser für die Stadt geeignet?

Keinesfalls! Auch ein großer Hund wird die Bewegungsfreiheit in einem großen Haus mit Garten nicht mehr schätzen und nutzen, als ein kleiner in einer 50-Quadratmeter-Wohnung mitten in der Stadt. Natürlich könnte man sagen, dass ein kleiner Hund oft praktischer ist, weil er zum Beispiel in engen Kaffeehäusern nicht so viel Platz braucht. Hingegen werden größere Hunde aber auch weniger übersehen. Die Bedürfnisse sind aber im Großen und Ganzen die gleichen.

Wie merkt man, dass ein Hund mit den Einflüssen überfordert ist? Und kann man dem vorab entgegensteuern?

In erster Linie natürlich, in dem man den richtigen Hund auswählt. Welpen haben häufig das Problem, sich in der lauten Stadt nicht lösen zu wollen, aus ihrer Sicht möchten sie in der großen gefährlichen Welt noch keine Spuren hinterlassen. Gleich nach dem Nachhausekommen wird das Geschäft dann am Vorzimmerteppich erledigt und der Mensch denkt, der Hund mache das absichtlich. Viele Hunde möchten sich auch nicht gerne auf Asphalt lösen, sie suchen immer eher weiche Untergründe wie Wiesen … oder mangels Alternativen eben dann den Teppich in der Wohnung. Wenn Hunde Angst oder Panik haben, ziehen sie oft besonders stark an der Leine, machen sich klein, um möglichst schnell wieder nach Hause zu kommen und allem auszuweichen.

Vertrauensaufbau und das richtige Verhalten in und außerhalb dieser Situationen ist ganz wichtig. Ein wichtiger Tipp dabei ist, sich als Mensch immer als Puffer zwischen Hund und die Gefahr zu stellen bzw. ihn an der Leine auf der abgewandten Seite zu führen. Ist der Hund unsicher, macht es am Anfang Sinn, ihn nicht mit großen Runden zu überfordern, sondern eher kleine bekannte Runden zu gehen und diese sukzessive zu erweitern. Auch die Beschäftigung in der Stadt sollte nicht zu kurz kommen: An einem ruhigen Platz kann man seinen Vierbeiner mit Suchspielen, apportieren oder Ähnlichem auslasten. Durch das Involvieren in eine beliebte Aufgabe bekommt er Umweltreize so nebenbei mit und kann sich langsam daran gewöhnen.

Sieht das Training mit Hunden, die in der Stadt leben, anders aus als mit jenen, die am Land leben?

Ich denke, dass die Bedürfnisse der Menschen oft anders sind. Während man auf dem Land eher mit dem Auto irgendwo hinfährt, um den Hund dort dann frei laufen zu lassen, ist man in der Stadt mehr oder weniger an die Leine gebunden. Ich finde das nicht problematisch, es gibt tolle Schleppleinen die dann auch im urbaneren Bereich ein bisschen mehr Freiheiten und Training ermöglichen können. Darüber hinaus werden Hunde meiner Erfahrung nach in der Stadt mit viel mehr anderen Hunden konfrontiert als am Land. Das kann im ländlichen Raum oft auch ein Nachteil sein, da Hunde Begegnungen mit Artgenossen eben nicht gewohnt sind und diese eine dann eben viel schwieriger ist. In der Stadt treffen sie sich eben oft auf engerem Raum und müssen toleranter miteinander sein. Gut kontrollierte Hundebegegnungen und geregelter Sozialkontakt sind hier wichtig, um Leinenaggression und Co. zu vermeiden.