Jagdverhalten umlenken statt es zu unterdrücken
Hilfe, mein Hund jagt!
Wenn Du diesen oder ähnliche Sätze schon mal gegoogelt hast, gehörst Du zur wohl größten Hundehalter-Selbsthilfegruppe überhaupt. Während die einen Vierbeiner schon Kaninchen, Huhn und Co. auf dem Gewissen haben, beginnen die anderen vielleicht gerade erst Jagdambitionen zu zeigen. Aber warum jagen unsere modernen Haushunde eigentlich immer noch? Über die Jahrzehnte sollte sich doch schon längst herumgesprochen haben, dass sie davon biologisch nicht mehr abhängig sind und die Menschen am Ende des Tages ihre Dosen öffnen! Leider gibt es wirklich nur einen Grund, der realistisch betrachtet auch verdammt nachvollziehbar ist: Jagen ist purer Spaß für Hunde!
Spaß hat der Mensch dann meistens wenig, weil so ein Anti-Jagd-Training ein ganz schön anstrengender Weg sein kann, der oft von Rückschlägen geprägt ist. Es lohnt sich aber aus vielerlei Gründen dran zu bleiben, um die Lebensqualität für sich und seinen Hund, aber auch die der Wildtiere, nachhaltig zu verbessern. Wer seinen Vierbeiner aus schwierigen Situationen gut zurückrufen kann oder sich dieser erst gar nicht für die spannende Wildspur interessiert, wird entspannter spazieren gehen und seinem Hund auch viel mehr Freiheiten gewähren können. Die Mühe lohnt sich also!
Jagdfieber steckt in jedem Hund
Ein kleiner Trost vorweg: Wirklich jeder Hund hat eine gewisse jagdliche Motivation. Auch der kleine Chihuahua, der dem Ball hinterher sprintet, reagiert nach dem Reiz-Reaktionsschema, das im Paket mit ein paar anderen Grundmotivationen in jedem Hund vorhanden ist. Zugegeben war der Chihuahua nicht der Hund der Wahl, wenn es um bestrebte Jagdausflüge der Menschen ging, daher wurde er auf andere Eigenschaften „optimiert“.
Nun gibt es aber einige Rassen, die züchterisch sehr wohl auf gewisse Aufgaben selektiert wurden, um den Menschen bei der Jagd zu unterstützen. Die einen sollten angeschossenes Wild durch ihre Schweiß (=Blut)fährte aufspüren, die anderen geschossenes Wild apportieren, andere wiederum einfach nur anzeigen, wo sich überhaupt Wild befindet.
Aus solchen Hunden jagdlich völlig desinteressierte Gefährten zu machen, ist natürlich nicht so leicht und gelinde gesagt auch etwas absurd. Da züchtet man Jahrhunderte lang etwas in sie hinein, um es später wieder weghaben zu wollen. Aber die Gesellschaft verändert sich nun mal und unsere Hunde mit ihr. Sie haben in vielen Bereichen ihre enorme Anpassungsfähigkeit und Flexibilität bewiesen.
Jagdhund ist nicht gleich Jagdhund
Unter den verschiedenen Jagdhunden (aber natürlich auch Mischlingen, in denen einzelne Rassen „verankert“ sind), muss man der Form halber drei Obergruppen unterscheiden: Die so genannten Solitärjäger (z. B. Dackel, Jack Russell Terrier oder Border Terrier) sollten völlig selbständig entscheiden und zum Teil x-fach größeres Wild in stundenlangen Kämpfen erledigen. Nicht nur einmal musste ein Jäger seinen Teckel mit der Schaufel aus dem Bau graben, weil dieser im Kampfrausch gegen den Fuchs nicht aufgegeben hat. Diesen Hunden wurde also ein scharfer eigener Wille angezüchtet, der im Zusammenleben mit dem Menschen schon mal zur Herausforderung werden kann.
Dann gibt es die so genannten Meutejäger, die in riesigen Hundegruppen und auch ohne Zutun des Menschen Wild so lange verfolgen, bis es vor Erschöpfung zusammenbricht und dann in der Meute gelyncht oder, im besseren Fall, von den folgenden Jägern zu Pferd erschossen wird. Diese Form der Jagd ist in den meisten Teilen Europas zum Glück weitgehend verboten worden, Rassevertreter wie Bloodhound, Beagle und Co. sind aber bis heute mit den sehr selbständigen jagdlichen Eigenschaften versehen.
Schließlich gibt es noch die Gruppe der Gemeinschaftsjäger, also jene Jagdhunde, die in Zusammenarbeit mit dem Jäger arbeiten und z. B. durch Vorstehen Wild anzeigen oder angeschossene Beute suchen und apportieren sollten. Hier wird zwischen der Arbeit vor und nach dem Schuss unterschieden. Zu erwähnen sind hier beispielsweise Setter und Retriever, aber auch Pointer, Münsterländer und Magyar Vizsla, um nur ein paar zu nennen. Bei letzterer Kategorie ist das Umlenken der jagdlichen Ambitionen oft leichter, weil diese Hunde in aller Regel auf die Kooperation mit dem Menschen hin selektiert wurden. Eigenständige Jäger waren für diese Form der Jagd nicht zu gebrauchen.
Jagdliche Ambitionen sind also in vielen Fällen rassebedingt veranlagt, Jagdverhalten kann aber auch einige andere Ursachen haben, an denen der Mensch, na sagen wir mal, nicht ganz unschuldig ist. In jedem Fall gilt es vor dem Anti-Jagd-Training also genau herauszufinden, wann und warum Dein Hund auf die Pirsch geht, denn nur so kann der Sache auf den Grund gegangen werden.
Gründe gibt es so einige:
a) Langeweile und Unterforderung
Vielleicht keine Überraschung für Dich, aber in der Tat erlebe ich in meiner Arbeit als Hundetrainerin regelmäßig Hunde, die typbedingt absolute Hochleistungsarbeiter wären, bei ihren Menschen aber grade mal vom Existenzminimum leben. Natürlich muss keiner dieser Hunde sechs Mal in der Woche auf die Jagd gehen – das wäre im Zusammenleben mit dem Jäger übrigens bei Weitem auch nicht der Fall, wenngleich das manchmal so suggeriert wird und viele Hunde nur in „Jägerhände“ gegeben werden. Dennoch brodelt in manchen Tieren oft ein tief verankerter Arbeitseifer, der natürlich auch ausgelebt werden will. Ein gesundes Maß an körperlicher und vor allem geistiger Beschäftigung wird dafür sorgen, dass ein arbeitsamer Hund nicht auf dumme Gedanken kommt und stiften geht.
b) Überforderung und Ruhelosigkeit
Apropos Unterforderung: Ein leider immer weiter verbreitetes Phänomen ist auch die Überforderung unserer Hunde. Wo Kinder oft zusätzlich zu ihrem stressigen Schulalltag mit Geige, Chinesisch und Ballett überlastet werden, vergessen manche Hundehalter auch die wichtigen Ruhephasen ihrer Hunde einzuhalten oder beschäftigen sie so intensiv, dass das Training des Nichtstuns völlig zu kurz kommt. Dann stehen dem Jack Russell Terrier regelmäßig die Augen quer, weil er nie gelernt hat, auch mal zur Ruhe zu kommen und ignoriert zu werden. Die Dosis macht halt das Gift.
c) Unerzogenheit
Ja, Du hast richtig gelesen. So tief das Jagdverhalten auch in unseren Hunden verwurzelt ist – es hat häufig auch damit zu tun, dass Hunde häufig und auf sehr subtile Art und Weise gelernt haben, Entscheidungen zu treffen. Sie sitzen mit Bällchen im Maul fordernd vor der Couch und bekommen eine Spieleinheit, Kratzen an der Terrassentüre, um in den Garten gelassen zu werden und schließlich nach zwei Minuten wieder um Einlass zu betteln. Sie seufzen vor der Leckerli-Schublade und bekommen wie durch Zauberhand einen Keks oder springen einen zur Begrüßung an, um auch ja Aufmerksamkeit zu bekommen. Letztendlich ist das Jagen eben auch nur so eine Entscheidung, die vom Hund getroffen wird. Und da läuft es sich schon mal lieber dem Häschen hinterher, als auf einen öden Pfiff zurückzukommen, wenn alle bisherigen Forderungen ja auch so gut funktioniert haben. Hinterfrage ruhig mal, wie verlässlich und schnell Dein Vierbeiner sonst bei einem Rückruf kommt oder wer tatsächlich die letzte Schmuseeinheit eingefordert hat. Häufig ist unerwünschtes Jagdverhalten nur die Folge vieler anderer Erziehungsfehler.
Individuelles Training
Wer herausgefunden hat, warum sein Hund tatsächlich gern da und dort mal waidmännische Abstecher macht, kann sein Training viel besser darauf abstimmen. Bevor wir uns aber nun den konkreten Trainingsmaßnahmen widmen, soll noch gesagt sein, dass es beim Thema Jagdverhalten immer auch Grenzen geben kann und manchen Hunden in Einzelfällen ein Leben an der Schleppleine nicht erspart werden kann. Häufig handelt es sich dabei aber um Hunde, die bewusst oder unbewusst schon echte Jagderfolge verbucht haben und dann süchtig nach dem Hormoncocktail wurden, der im Zuge einer solchen Hatz ausgeschüttet wird. Der hat übrigens sehr sinnvolle Gründe: Wäre der Prozess des Hetzens, Buddelns und Suchens nach Beutetieren nicht selbstbelohnend und würde dieses Rauschgefühl im Hund aktivieren, wäre die Motivation, das nächste Mal wieder auf die Jagd zu gehen, wesentlich geringer. Schließlich sind echte Jagderfolge in der Natur äußerst selten und so braucht es einen Mechanismus, der den Antrieb hochhält und schließlich den Fortbestand des Rudels sichert. Doch zurück zum Training.
Elemente, die in keinem Anti-Jagd-Trainingsplan fehlen sollten:
a) Wo beginnt Jagdverhalten?
Die Jagdverhaltenskette besteht aus den Elementen „Orten – Fixieren – Anschleichen – Hetzen – Packen – Töten – Fressen“. Auch wenn die wenigsten Haushunde Ambitionen und Erfahrung zu und mit den letzteren Phasen haben – wir Menschen tendieren dazu, erst das Hetzen selbst als echtes Jagdverhalten zu deuten. Dabei gibt es so viele eindeutige Hinweise davor, etwa wenn der Hund die Nase in die Luft richtet, um zu wittern oder seinen Riechkolben staubsaugerartig am Boden fixiert: Bereits jetzt ist es wichtig, den Hund umzulenken und aus dem Ansatz herauszuholen, nicht etwa erst, wenn er dem Hasen dicht auf den Fersen ist. Anti-Jagd-Training braucht also im echten Leben jede Menge Konzentration und Aufmerksamkeit sowie die Fähigkeiten erkennen zu können, womit das Jagen eigentlich bereits beginnt.
b) Beschäftigung
Wie bereits erwähnt, geht es nicht darum, Hunde zu Balljunkies zu machen oder sie zu überfordern. Vielmehr wollen wir ihren Kooperationssinn fördern, indem wir ihnen spannende Beschäftigungen bieten, für die es das Zutun des Menschen braucht. Ich bin daher nicht unbedingt für das Legen von Fährten oder Mantrailing als Auslastungsmöglichkeit für ohnehin schon selbständige Hunde. Hier, so mein Erfahrungswert, würden sie nur einmal mehr lernen, sich auf ihre eigenen Sinne zu verlassen, da die Menschen ja nicht aktiv mithelfen dürfen. Fördert man aber hingegen die Zusammenarbeit mit dem Menschen, zum Beispiel in Form von Apportier- und Futtersuchspielen, lernen Hunde, dass sie den Menschen als smarten Jagdpartner gut gebrauchen können. Ob nun nur mit Futter, einem Ball, einem mit Futter gefüllten Apportierbeutel oder einem Hasenfelldummy trainiert wird, obliegt ganz der Motivation des Hundes. Wichtig ist, die richtige „Währung“ für ihn zu finden, ihn damit motivieren zu können und jede Menge Spaß zu haben.
Eine Reizangel kann auch eine tolle Ergänzung für die Beschäftigung sein und dient bei fortgeschrittenem Training auch dem Reality-Check: Kann der Hund vom an der Reizangel flitzenden Felldummy tatsächlich abgerufen werden?
Apropos: Immer wieder wird von Kunden und auch Trainern kritisiert, dass eine solche Form des Trainings dazu führen würde, dass Hunde sich erst recht auf die Jagd machen. Vor allem wenn mit Hasenfelldummies, Duftstoffen und Co. trainiert wird. Hierzu habe ich eine ganz klare Haltung: Wenn eine gewisse jagdliche Motivation in einem Hund schlummert, ist es völlig sinnlos und auch schwer möglich, Jagdverhalten komplett zu unterbinden. Man müsste dann jeden Versuch des Fliegenfangens vermeiden, dürfte niemals Ball spielen und seinen Hund eigentlich auch keine Spuren erschnüffeln, geschweige denn Löcher graben lassen. Jagdliche Motivation völlig zu verhindern würde bedeuten, einen natürlichen Antrieb völlig zuzudrehen, was dann oft fehlgeleitetes Jagdverhalten oder andere „Ticks“ zur Folge haben kann.
Es geht also vielmehr darum, das Jagdverhalten des Hundes über gemeinsame Aktivität zu kanalisieren und mit Ersatzbeuten umzulenken. Vereinfacht gesagt soll der Hund sein Soll an Jagen schon erfüllt wissen, bevor er sich aufmacht, dieses selbständig auszuleben.
c) Impulskontrolle
Spannenden Bewegungsreizen zu folgen liegt nun mal im natürlichen Jagdverhalten der Hunde. Ein Jagd- oder Hütehund, der solche Momente verpassen würde, wäre gänzlich ungeeignet. Dennoch gilt es, vor allem aufgrund der gesellschaftlichen Anforderungen an unsere Vierbeiner, den Hunden beizubringen, diese Reaktionen, also Impulse, kontrollieren zu können. Dies geschieht am besten von Tag 1 an mit entsprechendem Training. Gaaaanz viele Bleib-Übungen und Belohnungen für die Zurückhaltung sind dafür unerlässlich. Und auch wir sollten beispielsweise beim Bällchenspielen darauf achten, dass der Hund nicht einfach der Bewegung des Wurfarms oder dem Ball folgt, sondern ihm gezielt vorher ein Signal zum Loslaufen geben, damit Radfahrer, Jogger, Häschen und Co. künftig nicht auch Opfer einer zu schlechten Reizkontrolle unserer Hunde werden.
Der perfekte Rückruf
Naja, den gibt es leider nicht. Aber bei einer Quote von 95 – 98 % kann man schon ganz zufrieden sein. Den Hund von einem Jagdobjekt zurückrufen zu können, ist mit Sicherheit die Königsdisziplin. Daher muss dieses Training vorher in allen Facetten außerhalb der Königsklasse stattfinden. Vor allem auch dann, wenn es mal nicht funktionieren MUSS. Rufe Deinen Hund am Spaziergang mehrmals einfach so und belohne ihn mit absoluten Jackpot-Leckerlis, die es nur für ein schnelles und verlässliches Zurückkommen gibt!
Viele Hunde lernen leider, dass sie nur gerufen werden, wenn der Spaß vorbei ist, sie ihre Hundekumpels auf der Wiese zurücklassen müssen, angeleint werden oder eben nicht jagen dürfen. Daher sollte man das Rückrufsignal zwischendurch auch ohne den „Notfall“ üben und den Hund dann, sofern es die Situation erlaubt, auch gleich wieder weiter schicken.
Übrigens macht es in manchen Fällen (vor allem bei Hunden mit Vorstehambitionen) Sinn, ein festes Stopp-Signal zu etablieren. So kann der Hund im Ernstfall die Beute zwar im Auge behalten, aber eben nicht hinterher, was vielen Hunden wesentlich leichter fällt, als komplett davon abzudrehen und zurück zu laufen.
Jagen (im Ansatz) tabuisieren
Hat sie das gesagt? Ja, hat sie. Natürlich gilt es aber erst die ganze Palette an Möglichkeiten ordentlich auszuschöpfen, die vorher erwähnt wurde. Es gibt aber auch Situationen, wo keine Zeit mehr für Alternativverhalten bleibt oder der Hund nicht mehr ansprechbar für ein solches ist. Ähnlich wie der Moment, wo Dein Vierbeiner gerade einen dubiosen Gegenstand aufnehmen möchte, der mit Gift gespickt sein könnte. Da ist man ja auch schnell dabei, den Ansatz zu unterbrechen, um Gefahr zu verhindern.
Und so ist es auch legitim, seinem Hund, sofern er ein ordentliches Abbruchsignal wie etwa „Tabu“ kennt, im Notfall weitere Jagdhandlungen zu verbieten und ihm dann wiederum eine der erwähnten Alternativen anzubieten. Wie gesagt, immer unter der Voraussetzung, dass erwähnte Alternativen ausgeschöpft oder situationsbedingt nicht mehr möglich sind.
Fazit
Habe Geduld, was Anti-Jagd-Training betrifft. Es braucht Zeit und Disziplin, sich langsam an die Realsituationen heranzuwagen. Im Trainingszeitraum sollten natürlich etwaige Jagderfolge bestmöglich vermieden werden. Spaziergänge eher in den städtischen Bereich zu legen und nur das Training auf reizarmen Wiesen stattfinden zu lassen, ist hierzu dienlich. Auch eine Schleppleine (am besten mit einer Länge von 5 bis 7 Metern, alles andere ist im Handling für viele schwierig) wird Dein treuer Begleiter werden, um Jagderfolge zu vermeiden.
Aber nochmal: Die Mühe lohnt sich und Du wirst auch lernen Deinen Hund und seine jagdlichen Ambitionen besser einschätzen zu können und in manchen Gebieten sogar gänzlich auf Leinen verzichten können. Beachte aber bitte auch immer den ethischen Aspekt des Wildtierschutzes. Die unschuldigen Tiere müssen, vor allem in gewissen Zeiträumen und Gebieten, vor kompromisslosen Jägern auf vier Beinen geschützt werden. Denn nur so ist ein harmonisches Zusammenleben in Einklang mit Mensch, Tier und Natur sichergestellt.
Artikel meiner Kollegin Conny Sporrer (Martin Rütter DOGS Wien) für die Zeitschrift "Mein Hund und Ich"