Verbindung muss wachsen – Bindung entsteht durch nahes Zusammenleben
Wir alle wünschen uns, dass unser Hund sich genauso gebunden an uns fühlt wie wir an ihn. Dazu müssen wir ihm Zeit lassen. Er muss erkennen, dass er sich auf uns verlassen kann. Wir müssen lernen, ihn zu verstehen.
Wenn ich einen Hund und seine(n) Menschen im ersten Termin kennenlerne, interessiert mich immer, wie genau dieser Hund zu genau diesem Menschen gekommen ist. Wie hat dieser Hund seine Familie gefunden? Wieso haben sich seine Menschen bei der großen Auswahl möglicher vierbeiniger Gefährten gerade für ihn entschieden?
Meistens bewirkt meine Frage ein strahlendes Lächeln. Die starke Zuneigung der Menschen zu ihrem Hund wird sofort spürbar, wenn sie sich an ihr erstes Kennenlernen erinnern. „Luna hat im Tierheim ganz hinten gesessen. Sie war die ruhigste von allen Hunden, aber sie hat uns die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen …“ Oder: „Wir wollten eigentlich nur mal beim Züchter gucken gehen. Aber dann haben wir Bobby gesehen und konnten uns nicht mehr von ihm trennen ...“ Oft verlieben sich Menschen geradezu in ein süßes Hundefoto, das sie in der Zeitung oder im Internet sehen. Es scheint ganz schnell zu gehen bei uns mit der Bindung: Wir erleben „unseren“ Hund zum ersten Mal und wollen uns nie wieder von ihm trennen. Natürlich ist in den kommenden Jahren nicht immer alles eitel Sonnenschein und viele Halter kämpfen mit verschiedensten Problemen im Umgang mit ihrem Hund. Vom zerstörten Sofa bis zur Aggression gegen Artgenossen ist alles dabei. Und doch hält diese Verbindung meist ein (Hunde-)Leben lang!
Hunde werden in unserer Gesellschaft inzwischen überwiegend als Familienhunde gehalten. Sie leben mit ihren Menschen in der Wohnung und sind bei den meisten Alltagsaktivitäten mit dabei. Umso wichtiger ist es, dass sie eine sichere, vertrauensvolle Bindung zu uns aufbauen können.
Wir suchen die Hunde aus, nicht sie wählen uns als neue Partner
Das braucht Zeit und Geduld. Eine stabile Bindung entsteht nicht über Nacht. Wir können unser Zusammenleben noch so optimal gestalten: Trotzdem braucht die tiefe Bindung, die wir uns zu unserem Hund wünschen, Zeit zu wachsen. Der Tierschutzhund hat sich nicht in unser Foto verliebt. Er wusste nicht, dass sich sein gesamtes Umfeld verändern würde und er auf engem Raum mit unbekannten Zweibeinern „eingesperrt“ würde. Und der Welpe mag vielleicht als Erster auf uns zugehüpft sein, aber da war er im sicheren Kreis seiner Mutter und Geschwister. Er wusste nicht, dass wir ihn abrupt mitnehmen und für immer von seiner Familie trennen würden.
Nun braucht unser Hund viele gute Erfahrungen mit uns. Die notwendigen Signale sollten spielerisch beigebracht werden. Mit Spaß lernen auch unsere Hunde schneller. Schöne gemeinsame Aktivitäten verbinden und helfen unserem Hund, sich schnell bei uns wohlzufühlen. Das können abwechslungsreich gestaltete Spaziergänge sein, angenehme Fellpflege, leckere Kauknochen zum Knabbern, wilde Beutespiele und vieles mehr. Wichtig ist hier, wirklich zu erkennen, was unser Hund schön findet! Das muss nämlich nicht immer unseren Vorstellungen entsprechen.
An den Reaktionen des Hundes erkennen wir, was er wirklich mag
Wir sollten also auf die Körpersprache und Lautäußerungen unseres Hundes genau achten, um zu erkennen, was eigentlich seine Vorlieben sind. Dafür müssen wir uns mit der Kommunikation von Hunden beschäftigen und sozusagen ihre Sprache erlernen. Hier passieren häufig Missverständnisse aus gut gemeinter, menschlicher Fehlinterpretation hündischen Verhaltens heraus.
Natürlich denken wir wie Menschen und interpretieren entsprechend, aber unser Gegenüber ist ein Hund und verdient es, dass wir uns mit seiner Kommunikation beschäftigen! Ein Anlegen der Ohren, ein Wegdrehen des Kopfes, ein leichtes Zurückweichen beim Knuddeln sollte dazu führen, dass wir unserem Hund mehr Abstand geben, anstatt uns weiter über ihn zu beugen und ihm zu versichern, dass wir ihm doch nichts tun. Ein Hund, der sich von uns in seiner Kommunikation verstanden fühlt, wird leichter Vertrauen zu uns aufbauen können. Er findet schneller Sicherheit und Orientierung bei uns.
Konflikte lassen sich im Zusammenleben von Bindungspartnern nicht vermeiden und gehören zum gemeinsamen Leben dazu. Auch durch sie lernt man den anderen besser kennen und vertieft seine Beziehung zu ihm. Wir sollten unserem Hund, wenn nötig, souverän Grenzen setzen, ohne dabei überzureagieren. Ob es sich dabei um Spielabbruch, Anleinen, Weg versperren oder eine Korrektur handelt, ist ganz vom Hund und der jeweiligen Situation abhängig.
Konsequenz im Alltag gibt unserem Hund Sicherheit. Er erfährt immer wieder, dass er sich auf uns verlassen kann. Gerade am Beginn des Zusammenlebens (egal, ob es sich um einen Welpen oder bereits erwachsenen Hund handelt) ist es hilfreich, feste Strukturen zu etablieren, anstatt unseren Hund durch ständig geänderte Regeln zu verwirren. Wo schläft unser Hund nachts? Darf er auf die Couch, ja oder nein? Fragen wie diese sollten von Anfang an geklärt sein. Ein gut erzogener, entspannter Hund lässt sich besser in unseren Alltag integrieren als ein hibbeliger, der aufgrund unserer Inkonsequenz jede Regel immer wieder hinterfragt.
Bindung entsteht von selbst, wenn wir das Leben mit dem Hund teilen
Neben unserer Konsequenz ist im jahrelangen Zusammenleben mit unserem Hund aber genauso unsere Flexibilität gefragt! Mit fünf Jahren, mit neun, mit zwölf braucht er andere Dinge als mit zehn Monaten. Vorlieben verlagern sich, körperliche Einschränkungen können auftreten, auch der Charakter unseres Hundes festigt sich. Noch dazu passieren unvorhergesehene Ereignisse: Unfälle oder Zusammenstöße zwischen Hunden ereignen sich, unser Hund macht auch einmal schlechte Erfahrungen, vielleicht entwickelt er Ängste. Hier gilt es, nicht an einem starren Regelsystem festzuhalten, sondern offen für Veränderung und Entwicklung zu bleiben.
Im Laufe eines Hundelebens werden Training und Strukturen immer wieder an die Gegebenheiten angepasst, um unserem Hund als komplexem Lebewesen gerecht zu bleiben.
Bindung hat nichts mit Gehorsam zu tun. Wir können sie nicht antrainieren und schon gar nicht erzwingen. Sie entsteht ganz von alleine, wenn wir nah mit unserem Hund zusammenleben, wenn wir unser Leben mit ihm teilen und ihn dabei trotzdem Hund bleiben lassen. Gerade wer einen Hundesenior zu Hause hat, weiß die Qualität und Vertrautheit dieser Verbindung zu schätzen. Über die Jahre haben wir unseren Hund wirklich kennengelernt. Wir kennen all seine liebenswerten Macken. Wir wissen, welche Spiele er am liebsten mag, an welchen Orten er sich gerne aufhält, welche anderen Hunde ihm sympathisch sind und wer ihm besser aus dem Weg gehen sollte. Wir wissen, ob er eher der kuschelige Typ ist oder ob er seinen Abstand braucht. Wir kennen sein Lieblingswetter und seine Lieblingskekse. Und natürlich, wo er am liebsten gekrault werden will. Und bei einem können wir uns ganz sicher sein: Er kennt uns noch besser als wir ihn!
Vermenschlichung von Hunden: „Gut gemeint“ ist nicht gleich „Gut für unsere Hunde“!
Die Mensch-Hund-Beziehung kann durchaus mit der Beziehung von Eltern zu ihrem Kind verglichen werden. Es gibt Parallelen, denn auch unsere Hunde leben in Abhängigkeit von uns. Sie sind wie Menschenkinder auf unsere Hilfe und unseren Schutz angewiesen. Im Gegensatz zu unseren Kindern möchten wir sie aber nicht zur Selbstständigkeit hinführen. Unsere Kinder verlassen irgendwann das elterliche Haus und gestalten ihr eigenes Leben. Doch unsere Hunde bleiben für immer bei uns. Wir stellen die Rahmenbedingungen für das gemeinsame Zusammenleben in einer menschlichen Gesellschaft auf. Unsere Hunde führen ein entspannteres und stressfreieres Leben, wenn wir ihnen gewisse Regeln und Strukturen vorgeben. Ein Beispiel: Ein gut funktionierender Rückruf ist den meisten Hundehaltern besonders wichtig. Nun ist aber gerade das sichere Abrufen bei Weitem nicht mit guten Leckerchen und einer lauten Pfeife zu erreichen, sondern eben auch abhängig davon, wer im Alltag die Entscheidungen trifft! Wenn Balu durch „lieb gucken“ Frauchen dazu bewegt, ihm eine Scheibe Wurst aus dem Kühlschrank zu holen oder er Herrchen so lange mit Stupsen und Jaulen nervt, bis der die Leine zum Spaziergang in die Hand nimmt, bewegt er seine Halter dazu, ihm zu folgen.
Wenn Balu nun immer wieder die Erfahrung sammelt, dass sich das Leben seiner Menschen eigentlich hauptsächlich um ihn dreht und er die (für ihn!) wichtigen Entscheidungen selbst trifft, hat er überhaupt keinen Grund, draußen schnurstracks umzudrehen und sich brav neben sein Frauchen zu stellen, nur weil sie „Hier!“ gerufen hat. Die wichtigen Dinge entscheidet ja er! Ohne verlässlichen Rückruf muss Balu aber aus Sicherheitsgründen beim Spaziergang an der Leine bleiben und genießt dadurch deutlich weniger Freiheit als ein gut erzogener Hund. Schade für Balu!
Eine Bindung zwischen Hund und Mensch ist vor allem eines: emotional!
Unsere Hunde können sich emotional an uns binden. Im Idealfall sind wir unersetzlich und nicht austauschbar für sie. Sie erkennen uns unter allen anderen Menschen. Sie suchen gern unsere Nähe und fühlen sich bei uns wohl. Sie vermissen uns, wenn wir getrennt von ihnen sind. Selbstverständlich können Hunde zu mehreren Menschen Bindungen eingehen. Diese Bindungen unterscheiden sich wiederum in Qualität und Ausprägung und sind in der Regel so einzigartig wie unsere Hunde selbst.
Bindungsverhalten im Vergleich
Hunde sind in der Lage, mit Menschen stabile, lebenslange emotionale Verbindungen einzugehen. Aber kann das jeder Hund?
Stammt ein Welpe von einem verantwortungsvollen Züchter, sollte es keinerlei Probleme mit der Bindung an Menschen geben: Der Welpe wächst in den ersten Wochen mit seiner gut sozialisierten Mutter und den Geschwistern im Familienverband des Züchters heran. Hier lernt er bereits Menschen auf positive Weise kennen. Er erfährt außerdem, dass man Menschen grundsätzlich vertrauen kann. Denn seine Mutter verhält sich in ihrer Anwesenheit entspannt und freundlich.
Bereits beim Züchter, aber auch in der neuen Familie lernt der Welpe immer mehr verschiedene Menschen kennen. Er wird auf Menschen sozialisiert: Er erkennt Menschen als Sozialpartner an. Auch ein erwachsener Hund kann sich gut an ihm bislang fremde Menschen binden, beispielsweise wenn er abgegeben und an neue Halter vermittelt wird. Voraussetzung hierfür ist, dass er bereits mit Menschen zusammengelebt hat und so Erfahrungen im Umgang mit ihnen sammeln konnte. Je früher in seinem Leben der Kontakt zustande kam und je positiver diese Erfahrungen waren, desto besser stehen seine Chancen, sich selbst im fortgeschrittenen Alter neu zu binden.
Schwierige späte Bindung
Hat ein Hund niemals Menschen kennengelernt, ist er nicht auf sie sozialisiert. Er hat nicht gelernt, sich Menschen anzuschließen, geschweige denn ihnen zu vertrauen. Er kann natürlich auch ihre Körpersprache nicht deuten. Abhängig von seinem Alter, seiner bisherigen Lebenserfahrung und seiner Lernbereitschaft wird es unter Umständen möglich sein, diesen Hund an einzelne Menschen zu gewöhnen und Bindungen aufzubauen. Dieser Prozess kann sehr langwierig sein oder auch gänzlich scheitern. Anders als ein Welpe kann dieser erwachsene Hund nun nicht mehr generalisieren, also von einzelnen Menschen und seinen angenehmen Erlebnissen mit ihnen auf fremde Menschen schließen. Er startet mit Fremden wieder bei null, was Vertrauen und Verhalten angeht.