Mein Hund hat mich enttäuscht.
Ich bin im Urlaub; also habe ich Zeit. Die will ich mit meinem Hund verbringen. Ich bin in menschenleerer Natur unterwegs; in dieser will ich lange, ruhige Spaziergänge mit meinem Hund machen. Mein Hund jedoch ENT-TÄUSCHT mich!
Wir begegnen so vielen Rehen, wie ich sie in meinem gesamten Leben noch nicht gesehen habe. Teilweise so nah, dass ich sie gefühlt fast streicheln könnte. Mein Hund wird wahnsinnig. Er will hinterherrennen. Er brüllt vor Frust, weil ich ihn mit aller Kraft, die ich mobilisieren kann, daran hindere. Nur wenige Minuten und Schritte vergehen bis zur nächsten Begegnung. Die Szene wiederholt sich. Nur ich habe noch weniger Kraft, weil ich mich mit dem Halten der Leine mittlerweile völlig verausgabt habe.
Auch mein Frust an. Die Hände und der Rücken schmerzen. Nun brülle auch ich vor Wut.
Wie kann mich mein Hund nur so ENT-TÄUSCHEN? Wir könnten so schön spazieren gehen – die Sonne auskosten, die Ruhe genießen.
Es braucht lange, bis ich wahrnehme, in welcher Situation wir uns befinden:
ICH HABE MICH GETÄUSCHT. Mein Hund hat diese Täuschung beendet.
Dass ich mich getäuscht habe, ist nicht die Schuld meines Hundes. Ich hatte die Erwartung, dass die Spaziergänge so ablaufen werden, wie ich sie gewohnt war. Aber meine Erwartung war nicht gerechtfertigt. Mein Hund ist jagdlich sehr motiviert. Die Möglichkeiten, das hier auszuleben, sind viel extremer als in unseren Stadtwäldern zuhause. Und selbst dort ist er, wenn auf Spur, noch kaum ansprechbar.
Doch kann ich meinem Hund vorwerfen, dass er meine Erwartungen nicht erfüllt? Kann ich erwarten, was ich mir wünsche aber weder von sich aus noch durch gutes Training der Realität entspricht?
Ich hatte Glück: ich habe noch vor dem Ende meines Urlaubs verstanden, dass ich, statt wütend auf den Falschen zu sein, die ENT-TÄUSCHUNG auch … annehmen kann.
Damit konnte ich auch unseren Aufenthalt und die Spaziergänge in der Natur anpassen. Und doch noch genießen.
Danke dafür.
