Der Unterschied zwischen Bindung und Beziehung
Nicht überall, wo Beziehung draufsteht, ist auch Bindung drin. Zum Unterschied zwischen Bindung und Beziehung und warum nicht jede Form der Bindung wirklich positiv ist.
Von Michaela Böhm-Gillenkirch veröffentlicht am 19. JULI 2023
Beziehung ist ein weitgefasster Begriff und bezeichnet den nachbarschaftlichen Austausch genauso, wie den Plausch mit dem netten Postzusteller, den man schon seit Jahren kennt. Von der Beziehung zu unserem vierbeinigen Liebling erwarten wir jedoch mehr. Wir wünschen uns eine innige Beziehung, Vertrautheit und Gehorsam und das alles möglichst exklusiv – und tatsächlich ist Exklusivität ein Merkmal von Bindung. Hier ist der Bindungspartner nicht ohne Weiteres austauschbar. Die beste Freundin ist eben doch etwas anderes als die Arbeitskollegin.
Doch woran erkennt man Bindung und unter welchen Voraussetzungen entsteht sie? Die gute Nachricht ist: Nicht alle unerwünschten Verhaltensweisen, die unsere Fellnasen an den Tag legen, weisen auf eine schlechte Bindung hin. Wenn der Hund auf dem Spaziergang einen unachtsamen Moment seines Halters oder seiner Halterin abpasst, um einen Sprint ins Unterholz hinzulegen, weil ein Reh zur Unzeit den Weg gekreuzt hat, dann muss hier nicht grundsätzlich alles im Argen liegen. Vielleicht war der Hund sowieso schon in einer höheren Erregungslage und daher "anfällig" oder die Erwartung des Menschen an den Hund, der das Reh sieht, nicht dem tatsächlichen Trainingsstand entsprechend.
Anders sieht es aus, wenn der Hund jeden Tag stiften geht und sich in Wald und Feld generell nicht für seinen Menschen interessiert. Hier muss man sich die Frage stellen, in welchen Situationen der Hund noch gewohnt ist, eigene Entscheidungen zu treffen? Denn wer Entscheidungsgewalt hat, der muss sich nicht an einem anderen orientieren. In einem Mensch-Hund-Team ist das eine denkbar schlechte Konstellation. Caniden leben von Natur aus in familiären Strukturen, in der jeder seine Aufgabe und seinen Platz hat. Diese Klarheit schätzen Hunde auch im Zusammenleben mit uns und die allermeisten sind heilfroh, wenn sie nicht in oberster Instanz für Entscheidungen zuständig sind.
Entscheidungen treffen und Grenzen setzen zu dürfen ist ein Privileg, das man sich erst verdienen muss – auch als Hundehalter:in. Der Hund muss in vielen alltäglichen Situationen die Erfahrung machen, dass seine Bezugsperson durchaus einen Plan vom Leben hat, ihm Schutz bietet und in schwierigen Lagen Handlungsoptionen eröffnet. Unter diesen Voraussetzungen ist eine gute Bindung nachweislich dazu angetan, Stress zu verringern, das Selbstvertrauen zu fördern und damit letztlich auch das Wohlbefinden. So kann sich eine gesunde Balance zwischen Nähe und Distanz entwickeln.
Es ist ein verbreiteter Irrtum zu glauben, jeder Hund, der seinen Menschen auf Tritt und Schritt verfolgt, zeige ihm damit seine enge Verbundenheit. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat man eher einen Kontrollfreak zu Hause, der seinen Zweibeinern wenig zutraut (den eigenständigen Gang ins Badezimmer jedenfalls nicht). Auch der Hund, der seinem Frauchen permanent auf den Füßen sitzt oder liegt, signalisiert damit nicht unbedingt liebevolle Hingabe. Vielmehr hat er einen Ort gefunden, an dem keine Bewegung seitens des Menschen unbemerkt bleibt.
Von einigen typischen Missverständnissen in der Mensch-Hund-Kommunikation abgesehen, gibt es aber durchaus die reine Bindungspflege durch entspanntes Knuddeln. Ganz nebenbei wird beim positiven (!) Körperkontakt noch das sogenannte "Kuschelhormon" Oxytocin ausgeschüttet. Jenes Wunderhormon, das soziale Interaktion fördert, das Lernen erleichtert, die Schmerztoleranz nach oben schraubt und als Gegenspieler der Stresshormone wichtige Funktionen erfüllt. Auch das freie, freiwillige, "richtige" Spiel ist in hohem Maße bindungsfördernd. Übrigens bricht einem souveränen Partner auch kein Zacken aus der Krone, wenn er auf eine Spielaufforderung seines Hundes eingeht.
Die Kurzformel für eine gute Bindung lautet entsprechend: Verantwortung übernehmen und gemeinsam Spaß haben. Dabei wünsche ich dir ganz viel Freude! Und wenn du bei Ersterem Unterstützung möchtest oder wenn dir für Letzteres die Ideen fehlen, kontaktiere uns!