Die Sache mit der Ewartungshaltung
Die Erwartungen mancher Hundehalter an ihre Hunde sind extrem hoch. Der 12 Wochen alte Welpe soll in der Welpengruppe bereits mehrere Minuten am Stück ruhig sitzen bleiben - trotz riesiger Ablenkung durch andere Menschen und Hunde. Dabei hat man ihm das Sitz noch nicht einmal beigebracht bzw. in den verschiedensten Situationen gefestigt. Richtig! Ein Hund kommt nämlich nicht fertig programmiert auf die Welt und weiss, was wir von ihm möchten und fügt sich problemlos in unsere Gesellschaft ein. Ein weiteres Beispiel: Das 18 Monate alte Pubertier kommt nicht zurück, wenn man es ruft, schaut jedem Mädel unter den Rock und scheint alle Signale wieder vergessen zu haben. Zudem gerät es öfter in Schlägereien. Hormone spielen in dieser Zeit eben verrückt und im Kopf des Hundes herrscht pures Chaos. Ein ganz normaler Prozess. Unter Umständen sehr mühsam und nervenaufreibend, aber normal. Und was macht der Mensch? Der ist genervt, massregelt und versucht mit immer wieder neuen Methoden, den Hund in die richtige Spur zu bringen. Der Trainingsansatz von Hundeschule A klappt nicht, obwohl man es doch schon eine ganze Woche ausprobiert hatte. Na dann eben ab zum nächsten Trainer. Hier wird einem was völlig anderes erzählt. Klappt auch nicht, also weiter zum nächsten. Und nicht zu vergessen, auf Social Media und im Netz bekommt man ja auch sehr viele Tipps für lau.
Warum ist das so? Warum verlangen wir von unseren Hunden so immens viel innert kürzester Zeit? Obwohl sie doch noch immer im Kinder- oder Jugendlichenalter sind. Ich glaube kaum, dass Eltern so mit ihren Kindern umgehen (Ausnahmen bestätigen leider auch hier die Regel). Ich zumindest durfte nach dem Kindergarten erst in die Grundschule und musste nicht direkt mein Abitur machen. Ich durfte mich entwickeln, mich ausprobieren. Innerhalb vorgegebener Grenzen, die ich natürlich immer wieder auszutesten versuchte. Meine Eltern haben mir jedoch mit Geduld und liebevoller Konsequenz zur Seite gestanden und mich durch diese Zeit begleitet. Und Geduld brauchten sie wahrlich genug. Warum machen wir das nicht auch bei unseren Hunden? Warum sind wir unseren Hunden keine Stütze? Oftmals sieht der Alltag unserer Hunde nämlich anders aus. Da werden sinnlos Kommandos herum geschrien, an der Leine gezerrt, viel zu schwere Aufgaben gestellt, etc. Frust auf beiden Seiten baut sich auf.
Nicht selten ist das Ergebnis ein daraus resultierendes Fehlverhalten unserer Hunde (Anspringen des Halters, Pöbelei, Unruhe, Überdrehtheit, etc.) und das wiederum führt zu noch mehr Frust und somit immer wiederkehrender Massregelung seitens des Halters. Ein Teufelskreislauf beginnt.
Besonders junge Hunde, die am Anfang der Lernkurve stehen, sind nicht uneingeschränkt aufnahmefähig und belastbar. Gilt genauso auch für erwachsene Hunde. Sie alle hadern mit diversen Umweltreizen, sollen sich trotz enormer Ablenkung über lange Zeiträume auf den Halter konzentrieren, die schwersten Aufgaben direkt meistern. Fehler werden dann seitens des Menschen genervt mit Augenrollen quittiert… Dabei ist z.B. ein Sitz in Anwesenheit anderer Hunde eine riesen Nummer für einen Welpen, um beim Beispiel von oben zu bleiben. So etwas sollte berücksichtigt werden beim Training! Und hat Euch ein ständiges Nein oder Verbot etwa davon abgehalten, mit Euren Freunden heimlich eine zu rauchen oder Alkohol zu probieren?! Sind wir ehrlich - nein.
Warum gehen wir dann so herrisch mit unseren Hunden um? Ist es uns peinlich, wenn der Hund nicht perfekt gehorcht, wenn er an der Leine pöbelt oder nach 5 Lektionen Hundeschule das 1*1 des Hunde ABCs noch nicht kann?! Weil wir dann nicht zur Norm gehören? Weil wir nicht negativ auffallen wollen? Ich weiss es nicht! Aber etwas mehr Gelassenheit und weniger hohe Ansprüche würden allen zu viel mehr Lebensqualität verhelfen.
Das Leben geht weiter, selbst wenn der Hund noch nicht so „funktioniert“ wie Ihr Euch das vorstellt. Beziehung und Reife benötigen Zeit. Kinder müssen erwachsen werden und entdecken dürfen. Sich ausprobieren und Fehler machen dürfen.
Schaut Euch Euren Hund doch lieber genau an und lernt ihn mit all seinen Stärken und Schwächen kennen. Wie lernt Euer Hund?! Was ist er für ein Typ? Stellt die Aufgaben so, dass er es schaffen kann und steigert langsam die Schwierigkeit. DAS ist doch das Spannende an Eurem gemeinsamen Weg.
Lasst ihn sich innerhalb der von Euch definierten Grenzen ausprobieren und seid eine Stütze. Mal Fünfe gerade sein lassen statt nur zu wollen und zu verlangen. Weniger ist mehr, ohne dabei das Ziel aus den Augen zu verlieren. Habt Spass miteinander.
Das schafft mehr Zufriedenheit bei Euch und Eurem Hund. Dann fällt das Lernen auch viel leichter.
Eure Anja & Sammy