Kastration beim Hund
Dein süsser Welpe ist plötzlich nicht mehr so süss und scheint nun einen eigenen Kopf zu haben. Du merkst das daran, dass sich dein Hund viel weiter von dir entfernt, er kommt einfach nicht mehr, wenn du ihn rufst und du bist für ihn plötzlich nicht mehr der Nabel der Welt. Herzlichen Glückwunsch! Du bist nun stolzer Besitzer eines pubertären Junghundes.
Als Pubertät bezeichnet man den Zeitpunkt, an dem die Hunde geschlechtsreif werden. Das passiert je nach Hund zwischen dem sechsten und zwölften Monat. Gekennzeichnet durch die erste Läufigkeit deiner Hündin oder auch das Beinheben deines Rüden. Oft merk man jedoch schon vorher, dass der eigene Hund sich verändert. Die nun für die meisten Menschen folgende anstrengende Zeit bezeichnet man als die Phase der Adoleszenz. Umgangssprachlich aber Pubertät genannt. Während dieser Zeit entwickeln die Hunde auch ihre rassetypischen Verhaltensweisen und können zum Beispiel territorialer , wachsamer und jagdlicher werden. Wie bereits erwähnt werden Hunde wanderlustiger und begeben sich auf Entdeckungstouren - auch ohne dich. Der Radius wird grösser. Diese anstrengende Phase der Adoleszenz (oder umgangssprachlich Pubertät genannt) endet zwischen dem 2. und 4. Lebensjahr. Je grösser die Rasse, desto länger kann diese Phase dauern. In dieser Phase wachsen die Hunde auch noch weiter und entwickeln mehr Muskelmasse. Hunde lernen in dieser Phase die soziale Hierarchie zu verstehen. Ihr Verhalten beginnt sich nach und nach zu stabilisieren. Konstantes Training ist vor allem jetzt essentiell, um erwünschtes Verhalten zu festigen und unerwünschtes Verhalten zu korrigieren bzw. im besten Fall gar nicht erst entstehen zu lassen.
Was hat das nun alles mit der Kastration zu tun? Wenn der Hund einmal abgehauen ist oder der Rückruf nicht mehr so schön sitzt wie im Welpenalter, spätestens dann denken die meisten Hundebesitzer an Kastration bzw. über eine Kastration nach. Es sei bereits jetzt gesagt, dass Kastration allein keine Verhaltensauffälligkeiten lösen kann. Es sei denn, diese sind auf die sexuelle Motivation zurückzuführen. Selbst dann ist es unabdingbar, sich die gesamten Umstände anzuschauen.
Bevor hier nun das Für und Wider angesprochen wird, ist es wichtig zu erwähnen, dass eine Kastration immer individuell angeschaut werden muss. Sowohl mit dem Tierarzt als auch mit dem Hundetrainer. Es ist immer zu beachten welche möglichen Verhaltensweisen nach der Kastration auftreten können.
Zunächst stellt sich erstmal die Frage, ob ich meinen Hund ohne gesundheitliche Gründe kastrieren darf.
Laut Art. 24b der Tierschutzverordnung darf ein Hund kastriert werden, um eine unkontrollierte Fortpflanzung zu verhindern. Dabei ist jedoch die Würde und das Wohlergehen des Tieres zu berücksichtigen.
Dieser Artikel ist nicht wirklich aussagekräftig, da man auch ohne Kastration eine unkontrollierte Vermehrung verhindern kann. Das allein kann und sollte jedoch nicht die einzige Überlegung sein.
Schauen wir uns zunächst die Nachteile einer Kastration bei Rüden und auch bei Hündinnen an.
Grundsätzlich lässt sich erst einmal sagen, dass bei Rüden und bei Hündinnen eine frühe Kastration immer eine längere Adoleszenz zur Folge hat. Das bedeutet, der Hund benötigt viel mehr Zeit um richtig erwachsen werden zu können. Die benötigten Hormone, die für ein Reifen essentiell sind, werden durch eine Kastration „weggenommen“. Die Nebenniere produziert zwar noch einen kleinen Teil dieser benötigten Sexualhormone, es wird aber sehr viel länger dauern, bis der Hund die nötige Reife erreicht hat.
Nachteile bei Rüden:
- Gelenkprobleme: Studien zeigen, das früh kastrierte Rüden ein erhöhtes Risiko für Gelenkprobleme haben. Vor allem grössere Rassen können beispielsweise einen Kreuzbandriss erleiden.
- Erhöhtes Krebsrisiko: Bei früh kastrierten Rüden besteht ein erhöhtes Risiko an Knochenkrebs oder Blutgefässkrebs zu erkranken.
- Hormonelles Ungleichgewicht: Der Mangel an Hormonen kann zu einen Ungleichgewicht führen, das zur Aufrechterhaltung der allgemeinen Gesundheit wichtig ist. Die daraus resultierende Anfälligkeit kann zu Autoimmunerkrankungen führen.
- Gewichtszunahme und Schilddrüsenprobleme: Der Stoffwechsel von kastrierten Rüden wird erheblich verlangsamt, dass kann zu Übergewicht führen. Auch kann eine Kastration zu Schilddrüsenunterfunktion im Alter führen.
- Aggressions- und Angstverhalten: Neuste Studien haben gezeigt das vor allem früh kastrierte Rüden ein erhöhtes Aggressions- und Angstverhalten aufzeigen, vor allem gegenüber lauten Geräuschen und fremden Menschen.
- Keine Veränderung im Sexualverhalten: Vor allem wenn Rüden spät kastriert werden, kann das für eine Kastration ausschlaggebende Verhalten bereits so gefestigt sein, dass das gewünschte Ergebnis (weniger Markierverhalten oder kein sexuelles Aufreiten mehr ) nicht erzielt werden kann.
- Kognitive Beeinträchtigung: Es gibt einige Hinweise darauf, dass es zu kognitiven Beeinträchtigung kommen kann. Diese führt dann zu einer verminderten Trainierbarkeit oder auch zu erhöhter Reizbarkeit.
- Allgemeine Verhaltensprobleme: Neben Aggressions- und Angstverhalten, können auch übermässiges Bellen, Hyperaktivität und auch das vermehrte Essen von Kot auftreten.
Nachteile bei Hündinnen
- Erhöhtes Krebsrisiko: Wie bei Rüden erhöht sich das Krebsrisiko bei früh kastrierten Hündinnen. Auch Hündinnen erleiden häufiger Knochenkrebs und Blutgefässkrebs.
- Gewichtszunahme: Kastrierte Hündinnen benötigen bis zu 30% weniger Nahrung, da sich ihr Stoffwechsel ebenfalls senkt.
- Harninkontinenz: Hündinnen erleiden nach der Kastration häufiger Harninkontinenz. Vor allem bei grossen Rassen ist diese Risiko erhöht. Meistens lässt sich das jedoch medizinisch behandeln.
- Veränderungen des Fells: Häufig kommt es zu Veränderungen des Fells. Dieses kann dichter und gröber werden als vor der Kastration.
- Angst und Unsicherheit: Es kann bei Hündinnen vermehrt zu Angst und Unsicherheit nach der Kastration kommen, dies tritt häufig bei Hündinnen auf, die früh kastriert worden sind.
- Aggressionsverhalten: Einige Hündinnen zeigten nach der Kastration ein erhöhtes aggressives Verhalten, vor allem gegenüber Artgenossen.
Natürlich kann eine Kastration auch Vorteile haben, die dem Hund den Stress nimmt und dem Besitzer auch.
Vorteile bei Rüden:
- Vermeidung von Testikelkrebs: Hodenkrebs ist die häufigste Krebsart bei intakten Rüden, dies kann mit einer Kastration verhindert werden. Jedoch streut dieser Krebs sehr selten und somit können die Hoden auch erst bei Befall entfernt werden.
- Reduziertes Risiko von Prostataproblemen: Kastrierte Rüden haben keine Probleme einer vergrösserten Prostata, auch haben sie generell weniger Harnprobleme.
- Längere Lebensdauer: Studien haben gezeigt, dass kastrierte Rüden oft länger leben. Dies ist vermutlich auf die Reduktion bestimmter gesundheitlicher Probleme zurückzuführen.
- Reduzierung der Territorialität: Kastrierte Rüden neigen weniger dazu, ihr Territorium durch markieren zu kennzeichnen. Dies kann zu verbessertem Verhalten im Haus aber auch Draussen führen.
- Vermindertes Sexualverhalten: Unerwünschte sexuelle Verhaltensweisen (wie z.B. sexuelles Aufreiten) können reduziert werden. Auch kann der Hund insgesamt ein ruhigeres Verhalten zeigen.
- Weniger Wanderlust: Kastrierte Rüden haben weniger den Drang auf Wanderschaft zu gehen, um eine Hündin oder einen potenziellen Konkurrenten zu suchen.
Vorteile bei Hündinnen
- Vermeidung von Gebärmutterentzündungen: Durch eine Kastration kann die schwere und oft lebensbedrohliche Gebärmutterentzündung verhindert werden.
- Reduziertes Risiko von Mammatumoren: Studien haben gezeigt, dass eine Kastration das Risiko von Brustkrebs erheblich senken kann, vor allem wenn die Kastration vor der ersten Läufigkeit stattfindet.
- Keine Läufigkeit und Scheinträchtigkeit: Durch die Kastration kann die Hündin nicht mehr läufig werden, auch die stressige und unangenehme Scheinträchtigkeit gibt es nicht mehr.
- Vermeidung von Eierstock- und Gebärmuttertumoren: Das Risiko von Tumoren wird bei der Kastration vollständig eliminiert.
- Diabetesmanagement: Bei Hündinnen, die an Diabetes leiden, kann eine Kastration helfen, diese Krankheit besser zu kontrollieren, da die hormonellen Schwankungen beseitigt werden.
- Reduzierte hormonell bedingte Verhaltensweisen: Nach einer Kastration können Hündinnen insgesamt ruhiger werden, da die hormonellen Schwankungen eliminiert worden sind.
So und jetzt? Kastration - ja oder nein? Wie bereits erwähnt lässt sich das nicht pauschal sagen. Es ist immer das Gesamtpaket zu berücksichtigen. In der Auflistung können Vorteile auch Nachteile sein und umgekehrt. Es kommt immer auf den Hund und seinen Charakter an. Deshalb ist es wichtig sich diverse Fragen zu stellen:
Wie gestresst ist der Hund durch seine Sexualität? Wie alt ist der Hund? Gibt es noch andere Hunde im Haushalt? Welche Endgrösse hat der Hund? Was meint der Tierarzt? Was meint mein Hundetrainer? Welche Verhaltensweisen erhoffe ich mir nach der Kastration? Sind diese überhaupt realistisch und durch eine Kastration zu erreichen? Diese und andere Fragen, sollte man sich stellen bevor man seinen Hund kastrieren lässt. Rückgängig machen geht nämlich nicht.
Auch gibt es Alternativen, die zu berücksichtigen sind. Eine ungewollte Vermehrung z.B. lässt sich auch mit einer Sterilisation erreichen. Hier wird der Hund zeugungsunfähig gemacht, jedoch behält er die Organe ,die das Sexualhormon produzieren. Somit kann er weiter heranreifen. Auch der Kastrationschip bei Rüden kann eine Lösung sein bzw. eine Entscheidungshilfe bei der Frage ob eine Kastration wirklich den erwünschten Effekt bringt. Was nicht vergessen werden darf ist, dass ich meinem Hund durch eine Kastration mehr Raum für andere Motivationen gebe. Ein Hund der jagt, wird nach der Kastration nicht weniger jagen. Vielleicht sogar mehr. Denn ich nehme ihm ja die sexuelle Motivation, somit bleibt mehr Platz für eine der anderen Motivationen.
Es sei angemerkt, dass Kastration keine Verhaltensprobleme per se lösen kann. Wird aus den “falschen” Gründen kastriert, passiert es nicht selten, dass ich nach der Kastration noch mehr oder gröbere Probleme habe. Hier noch eine kleine Auflistung davon, was eine Kastration sicher nicht beheben kann.
- Aggressionen: Ja eine Kastration kann helfen, Aggressionen zu vermindern, wenn diese aus sexuellen Motiven herrührt. Deswegen ist es so wichtig, den Grund der Aggressionen zu ermitteln.
- Angst und Furcht: Eine Kastration kann weder Angst noch Furcht beheben, in manchen Fällen nehmen diese Verhaltensweisen sogar noch zu. Dies ist vor allem bei früh kastrierten Hunden der Fall.
- Bellen und Übererregung: Diese Verhaltensweisen können durch eine Kastration nur bedingt beeinflusst werden. Es erfordert Training und Management, um hier Struktur und Ruhe zu etablieren.
- Leinenaggression und Ziehen an der Leine: Hier ist gezieltes Training erforderlich. Durch eine Kastration wird sich dieses unerwünschte Verhalten nicht beheben lassen.
- Schutz- und Wachverhalten: Diese grundlegenden Motivationen eines Hundes (Ausprägung rassespezifisch) können durch eine Kastration nicht behoben werden.
- Jagdverhalten: Auch diese rassespezifische Ausprägung kann durch eine Kastration weder verändert noch gemindert werden.
Als Fazit lässt sich sagen, das eine Kastration in vielen Fällen durchaus seine Berechtigung hat. Jedoch sollte dieser operative (mit Risiken verbunden) Eingriff nicht als Erziehungsmassnahme verwendet werden. Dieser Schuss geht oft nach hinten los, und verschlimmert das Problem in den meisten Fällen. Das erste Mittel bei einem „schwierigen“ Hund ist der Gang in eine gute auf Verhalten und Kommunikation spezialisierte Hundeschule. Hier kann man lernen, seinen Hund besser zu verstehen und auf ihn einzugehen. Mit ihm zusammen die Hürde Pubertät und Adoleszenz zu meistern. Bedürfnisorientiertes Training ist immer der erste Schritt. Eine Kastration sollte das letzte Mittel sein. Zum Schluss stellt sich immer die Frage, was will ich erreichen mit meinem Hund und wie komme ich dorthin.