Probier's mal mit Gemütlichkeit!
Montags Agility, dienstags mit Frauchen ins Büro, mittwochs Freilaufgruppe, donnerstags Ausflug ins Einkaufszentrum, etc.. Unsere Hunde scheinen oft mehr auf dem Programm zu haben als wir. “Ja wieso auch nicht” mögen sich die meisten jetzt fragen. Die Möglichkeiten, seinen Hund zu beschäftigen sind doch schliesslich so vielfältig. Ebenso ist es völlig klar, dass man seinen vierbeinigen Freund überall hin mitnehmen möchte. Und so wird es uns auch sehr oft suggeriert. “Der Hund gehört beschäftigt, sonst entsteht unerwünschtes Verhalten” oder “Der Hund muss sozialisiert werden” sind Sätze, die man in diesem Zusammenhang sehr häufig hört.
Ist das denn nun Ok oder gar falsch? Natürlich ist es wichtig, seinen Hund gemäss seiner Veranlagung zu beschäftigen und so die Bindung zueinander zu festigen, ihn körperlich und geistig auszulasten, damit er zufrieden ist. Aber wie viel an Beschäftigung ist denn nun gut für unsere Hunde und kann zu viel Beschäftigung zu Problemen führen?
Nehmen wir das Beispiel oben: Ganz schön viel Programm für eine Woche, wenn man bedenkt, dass unsere Hunde bis zu 20 Stunden am Tag ruhen/schlafen. Es ist sehr löblich, wenn man sich mit seinem Hund beschäftigt und ihn in sein Leben integrieren möchte, denn deshalb hat man sich ja auch für einen Hund entschieden. Und nicht, damit dieser sein Dasein als Langzeitarbeitsloser allein zuhause fristen muss - letzteres kann nämlich genauso schädlich sein. Wie immer aber macht die Dosis das Gift und wer nun eine pauschale Aussage erwartet, wie viel Beschäftigung ein Hund denn nun braucht, wird leider enttäuscht werden. Für den einen Hund ist so eine Woche wie oben beschrieben kurzzeitig kein Problem, für den anderen Hund aber eine totale Reizüberflutung. Dies hängt unter anderem von der Persönlichkeit des jeweiligen Hundes, den gesammelten Erfahrungen, der Sozialisierung aber auch erblich bedingten Faktoren ab. Somit reagieren sie auch unterschiedlich auf ein und dieselbe Situation. Nehmen wir als Beispiel einen Auslandstierschutzhund. Dieser ist evtl. in einem kleinen Dorf zur Welt gekommen und hat wenig bis keinen Kontakt mit Menschen gehabt. Die geballte Zivilisation, wie wir sie kennen, hat dieser Hund nie kennengelernt und wird tendenziell mit dieser überfordert sein. Zu viele Menschen und Tiere auf engstem Raum, Strassenlärm, Gerüche, Einkaufszentren, etc. bereiten den meisten dieser Hunde Stress. Dasselbe gilt für Welpen, die sehr isoliert aufgewachsen sind und nicht korrekt oder gar nicht an unseren Alltag bzw. dessen Reize gewöhnt worden sind. Diese Hunde haben somit auch ohne unser Zutun durch Dauerbespassung genug Reize, die verarbeitet werden müssen. Bekommen sie nun die nötige Ruhe nicht, um diese Eindrücke zu verarbeiten, dann kann das schnell negative Auswirkungen haben. Dies kann sich zum Beispiel in Hyperaktivität äussern oder auch in anderen unerwünschten Verhaltensweisen wie Dauergebell, gesteigerter Reizempfänglichkeit, Angst und Unruhe oder übersteigert aggressivem Verhalten. Um der Situation Herr zu werden, besucht man die örtliche Hundeschule. Dort wird einem häufig mitgeteilt, dass der Hund unterbeschäftigt sei und ein Teufelskreislauf beginnt. Mit Beschäftigung und Gehorsamkeitstraining wird versucht, das unerwünschte Verhalten abzustellen. Und so wird der Hund zusätzlich belastet, obwohl er eigentlich nur etwas mehr Ruhepausen bräuchte. Das soll nun aber nicht bedeuten, dass Beschäftigung falsch ist. Im Gegenteil, häufig sind die Hunde, die uns Trainern vorgestellt werden, wirklich unterbeschäftigt und zeigen deshalb unerwünschtes Verhalten. Für den beschriebenen Auslandstierschutzhund aber wäre zusätzliche Beschäftigung wahrscheinlich eine weitere Belastung, da er zusätzlichen Reizen ausgesetzt ist und so gar nicht empfänglich ist für Training. Im Umkehrschluss kann eine gezielt gewählte Beschäftigung von diesem Hund als angenehm empfunden werden und zu Therapiezwecken gezielt im Training eingesetzt werden. Dazu gehört vorab aber zwingend eine gute Anamnese und der Trainer sollte sich das jeweilige Mensch-Hund-Team ganz genau anschauen. Erst dann kann ein individuell auf das jeweilige Team abgestimmter Trainingsplan entwickelt werden.
Ebenso verhält es sich mit der Sozialisierung. Gerade Welpenbesitzer meinen es da oftmals zu gut und überfluten den Hund mit immer neuen Reizen, ohne dem Kleinen genügend Pausen zu gönnen. Ich muss den Welpen doch schliesslich mit so vielen Reizen wie möglich konfrontieren, damit er darauf sozialisiert wird. Und das alles am besten innerhalb kürzester Zeit. Der Lerneffekt bleibt jedoch aus, wenn der Kleine keine Zeit hat, die Reize auch zu verarbeiten. Und das passiert nun einmal in den Ruhepausen. Ausserdem kann es bei zu viel Programm leicht passieren, dass die Hunde nie lernen, mal nicht dran zu sein und mit Nichtstun überfordert sind. Und wieder äussert sich das in unerwünschtem Verhalten. Der Teufelskreislauf beginnt von vorn.
Daher sei abschliessend gesagt, dass bedürfnisgerechte Beschäftigung sowie Sozialisierung natürlich wichtig sind, ausreichend Ruhepausen aber fast noch wichtiger. Denn während eben dieser Ruhepausen wird das Erlebte/Erlernte verarbeitet und der Körper erholt sich wieder. Leider wird das Thema Ruhe halten und lernen sowohl in den Hundeschulen als auch in den Familien der Hunde häufig vernachlässigt. Überlegt selbst einmal: Wann habt Ihr das letzte Mal mit Eurem Hund einfach so dagestanden und die Situation auf Euch wirken lassen, auf einer Bank gesessen und die Stille des Waldes genossen oder die Blumen auf der Wiese angeschaut? Meist hetzen wir doch von Termin zu Termin. Ein Tag hat aber nur 24 Stunden. Wir schlafen davon im Durchschnitt 8 Stunden. Den Rest der Zeit sind wir immer unter Strom. Und unsere Hunde begleiten uns häufig dabei. Auf 16-20 Stunden Ruhepausen kommen sie da sicher nicht. Zeitgleich erwarten wir aber, dass sie sich anpassen und gesellschaftstauglich verhalten. Damit sie das schaffen, müssen wir Ihnen die Ruhe gönnen, die sie brauchen, um ein entspannter Alltagsbegleiter zu werden. Natürlich gehört auch einiges an Training dazu. Wir sollten unsere Hunde so früh wie möglich mit diversen Reizen konfrontieren und in unseren Alltag integrieren. Dies beginnt idealerweise in der Welpenzeit. Und das immer wieder, damit eine Gewöhnung einritt. Hunde lernen ihr Leben lang. Ruhe gehört aber zwingend auch dazu! Zu verlockend ist es, ihm alles zeigen zu wollen, ihn mit jedem Hund bekannt machen zu wollen etc.. Ebenfalls fatal: Einen aktiven Hund immer mehr zu beschäftigen, da dieser ja irgendwann müde sein muss. Ein Trugschluss. Auch und gerade aktive Hunde können und sollen Ruhe lernen, sonst werden sie schnell zu Adrenalinjunkies und können nie genug bekommen.
Wie kann ich meinem Hund aber nun die Ruhe geben, die er benötigt? Zuhause kann ich hierzu einen festen Liegeplatz etablieren. Dieser hilft dem Hund, zu entspannen und Verantwortung abzugeben. Ebenso bei Freunden oder im Restaurant. Ist der Liegeplatz oder die Decke gut aufgebaut, ist diese ein super Hilfsmittel im Training und kann dem Hund signalisieren, dass jetzt Pause ist. Unterwegs kann man ebenfalls Ruhe und abschalten üben. Je nach Hund kann ich das nur langsam und in kleinen Schritten aufbauen. Oftmals reicht es schon aus, einfach mal für einen Moment mit dem Hund an der Leine stehen zu bleiben und nichts zu tun. Für viele Hunde extrem schwer, nicht ständig in Action zu sein. Hinzu kommt, dass sie draussen mit vielen Reizen konfrontiert sind. Daher starte ich so ein Training in reizarmer Umgebung und baue nach und nach die Reize ein bzw. wähle Orte, an denen mehr los ist. So steigere ich das Training. Es gibt noch viele weitere Möglichkeiten, Euren Hunden zu mehr Ruhe zu verhelfen. Diese hier aufzuführen, würde jedoch den Rahmen sprengen und ist ebenfalls immer individuell auf das jeweilige Mensch-Hund-Team abzustimmen.
Wir Menschen wissen selbst wie es ist, wenn wir im Dauerstress sind. Wir sind dann häufig psychisch und/oder physisch angeschlagen. Unseren Hunden geht es da nicht anders. Im besten Fall verschafft sich der Hund selbst Ruhepausen. Ist das nicht der Fall, dann muss ich als Halter dem Hund helfen. Wie bei anderen Trainings auch, ist dies aber nicht mal ebenso nebenbei gemacht. Ihr solltet dafür Zeit und Geduld mitbringen. Aber es lohnt sich. Ist Euer Hund entspannt, könnt Ihr ihn auch überall mit hinnehmen, ohne dass er gestresst ist oder Ihr negativ auffallt. Und ein weiterer positiver Nebeneffekt: Ihr selbst entschleunigt mal etwas. Ganz nach dem Motto “Weniger ist mehr”.
Eure Anja mit Sammy