Amarok - in ganz kleinen Schritten zurück zur Normalität
05.05.2020
Nova Scotia Duck Tolling Retriever „Amarok“ zog 2014 bei mir ein. Ein kleiner, quirliger Kerl und wissbegieriger Hund, der gefallen wollte. Andere Hunde interessierten ihn wenig.
2016 wurde Amarok beim Apportieren seines Balls von einem vorbeilaufenden Dackel-Terrier-Mix in die Hinterläufe gebissen. Amarok drehte sich um und unterwarf den Mix lautstark knurrend. Die Halterin zog eine Dose mit Pfefferspray aus der Jackentasche und besprühte Amarok und mich aus nächster Nähe. Ihr Hund biss mir in den Finger und sie selbst in die Hand, als sie ihn auf den Arm nehmen wollte. Bei der Polizei und beim Veterinäramt behauptete sie, mein Hund hätte sie gebissen. Das Amt verhängte eine Maulkorbpflicht für Amarok. Ich musste außerdem ein Sachverständigen-Gutachten einholen. In diesem wurden letztlich bescheinigt, dass Amarok keinerlei Aggressionspotenzial in sich trägt.
Dann wurde Amarok durch einen Chihuahua aus der Nachbarschaft angegriffen. Er kam lautstark kläffend, knurrend und die Zähne fletschend aus dem Nichts angeflogen. Amarok setzte sich zur Wehr. Wieder wurde bei der Polizei und beim Veterinäramt eine Geschichte konstruiert, die in keiner Form dem tatsächlich Geschehenen ähnelte. Diesmal verhängte das Veterinäramt Maulkorb- und Leinenpflicht für Amarok. Erst viele Monate später gelang es einer sehr engagierten und fachkompetenten Rechtsanwältin für Tierrecht, alle Auflagen aufzuheben.
Im August 2018 kam eine Dame mit einem ehemaligen Kettenhund plötzlich um die Ecke, vor dem Amarok schon immer panische Angst hatte. Ich stürzte, und der andere Hund verletzte mich durch mehrere Bisse in beide Beine schwer… Es dauerte Wochen, bis alle äußerlichen Wunden verheilt waren.
Monatelang litt ich unter Schlaflosigkeit, Ängsten, Panikattacken u.v.m. Amarok wurde zum Spiegel meiner Seele – aus dem ehemals lustigen Kerl wurde ein an der Leine panischer, laut bellender und schreiender Hund. Jeder einzelne Spaziergang und jedes Verlassen der Wohnung wurden für uns beide zur Qual. Ich überlegte, mich von Amarok zu trennen. Unser Hundetrainer hatte längst aufgegeben.
Dann endlich der Streif am Horizont – im Sommer 2019 lernten wir Doreen kennen.
Sie verdeutlichte mir, weshalb Vertrauen in der Hund-Mensch-Beziehung von elementarer Bedeutung ist. Ihre Erläuterungen klangen absolut logisch für mich…, nur die Umsetzung verlief suboptimal. Ich bekam meine Ängste einfach nicht in den Griff. Dann nahm Doreen uns in ein Gruppentraining ‚Managen von Hundebegegnungen / Leinenaggression‘ auf. Eine kleine Mensch-Hund-Gruppe mit verschiedensten Problemen, und dennoch eine Leidensgemeinschaft. Sehr intensive, oftmals schmerzvolle Unterrichtsstunden folgten. Doreen sprach offen aus, was ich tief in mir selber wusste: Amarok und ich waren durch das Erlebte schwer traumatisiert.
Dann kam „Corona“ und ein Gruppentraining war nicht mehr möglich. Mir blieb nichts Anderes übrig, als das Erlernte nun alleine zu trainieren.
Ich bin inzwischen deutlich schneller in meinen Reaktionen geworden, habe einen ziemlich scharfen Blick in alle Richtungen entwickelt, weiche schnellstmöglich und ohne Unsicherheit aus. Manchmal ist es sogar schon möglich, dass ich mich mit anderen Hundebesitzern unterhalten kann und Amarok zwar angespannt aber ruhig neben mir sitzen bleibt. In manchen Situationen legt er sich inzwischen auch schon ab. Bei Bedarf versteckt er sich hinter mir.
Danke, liebe Doreen, für deinen Glauben an uns, dein Wissen und deine großartige Unterstützung!
Update Juli 2022:
Liebe Doreen,
im Frühjahr 2022 sagtest du zu meinem Frauchen, dass ich meine Ängste nur im Griff behalten könne, wenn Frauchen mir zeigt, dass wir alle Situationen problemlos schaffen. Ab diesem Zeitpunkt ging es hoppla-hopp nach vorn. Was auch immer mit diesem Satz bei Frauchen ausgelöst wurde - ihr inneres Rückgrat wurde gerade, ihr Selbstvertrauen wuchs deutlich. Ganz gleich, ob jemand einen ungefragten Kommentar von sich gibt, weil wir ausweichen, oder ob wieder mal jemand der Meinung ist, sein Hundefachwissen über uns ergießen zu müssen – Frauchen geht entweder wortlos weiter oder sie reagiert mit höflich-deutlichen Worten.
Das schönste Geschenk machtest du uns bei unserem letzten Treffen. Du sagtest, dass du dir zu Beginn unserer Zusammenarbeit unsicher warst, ob mein Frauchen es überhaupt schaffen könnte, ihr Trauma zu überwinden und für mich eine Vertrauensperson zu werden. Heute siehst du in uns als ein zusammengewachsenes Team, bei dem ich meinem Frauchen in allen Situationen ‚an den Lippen klebe‘ und ihren Blick suche, wenn ich mir unsicher bin. Wie sagtest du? ‚Hier wollten wir hinkommen und wir haben es geschafft‘. Ein schöneres Kompliment konntest du uns gar nicht machen!
Mein Frauchen ist zu meinem Fels in der Brandung geworden!
Liebe Doreen, wir können dir gar nicht sagen, wie unendlich dankbar wir dir sind! Wie schön, dass du ein Teil in unserem Leben bist!
Dein Amarok