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Der tut nix!? - Aggressionsverhalten beim Hund

Dabei ist Aggression ein Teil jeglicher Kommunikation unter Tieren, auch von uns Menschen. Sie ist biologisch notwendig und ein normales Verhalten. Aggression dient als soziales Regulativ und das aggressive Ausdrucksverhalten unserer Hunde dient vielmehr der unblutigen Lösung von Konflikten. „Ein Hund, der knurrt, ist nicht gefährlich. Er kommuniziert.“ (Dr. Feddersen-Petersen, 2000). Leider erleben wir bei unserer täglichen Arbeit mit Menschen und deren Hunden, dass viele Hundebesitzer mit der gesteigerten Aggression ihres Vierbeiners überfordert sind. Für solch ein Verhalten eines Hundes gibt es verschiedene Gründe, die es individuell herauszufinden gilt. Nur durch diese Vorgehensweise kann eine Aggression langfristig und nachhaltig abgeschwächt, umgelenkt und im Optimalfall gänzlich aufgehoben werden.

Aber was ist Aggression überhaupt? „Aggressionsverhalten dient der Aufrechterhaltung von räumlichen und/oder zeitlichen Distanzierungen und dazu, die eigenen Interessen im Konflikt um Ressourcen obsiegen zu lassen.“ (Schöning 2001). Aggression ist darüber hinaus ein reaktiver Prozess, d.h. kein Hund zeigt Aggressionen aus Lust und Laune. Biologisch gesehen hat Aggression eine Vielzahl an Funktionen: Verteidigung des eigenen Territoriums und von Nahrungsressourcen, Verteidigung der Position in der sozialen Hierarchie sowie Selbstverteidigung – um nur die wichtigsten zu nennen. Besonders der letzte Punkt ist häufig der Grund, warum wir so häufig erleben, dass Hunde die eigenen Halter beißen. Durch völlig überzogene Korrekturmaßnahmen, wie den Hund zu Boden drücken oder auf den Rücken drehen glauben diese Menschen, sich gegenüber dem Hund durchsetzen zu müssen. Dabei kann selbst der friedlichste und gelassenste Hund durchaus sehr aggressiv reagieren, wenn er sich und sein Leben durch solche Korrekturmaßnahmen bedroht sieht. Biologisch gesehen ist es nämlich durchaus sinnvoll, dass bei einem Lebewesen, das massiv attackiert wird, ein Verteidigungsmechanismus eintritt. Die Erhaltung und Steigerung der biologischen Grundbedürfnisse (Territorialität, sozialer Status, Sexualität, Nahrung und Selbstschutz) stellt auch für den Hund das Lebensprinzip dar. Somit zeigen Hunde dann Aggressionen, wenn diese Grundbedürfnisse nicht befriedigt bzw. frustriert werden.

Die Motivation für das Ausüben von Aggression ist Angst und Unsicherheit. Ich möchte dies an einem Beispiel aus der Menschenwelt verdeutlichen. Ein Ehepaar sitzt abends gemeinsam in einem Restaurant. Ein fremder Mann gesellt sich zu den beiden und beginnt sehr schnell, sich flirtend mit der Ehefrau zu unterhalten. Wie sieht wohl die Reaktion des Ehemanns aus? 1. Er wird ungehalten (aggressiv) seiner Partnerin gegenüber. 2. Er wird ungehalten (aggressiv) dem Konkurrenten gegenüber. 3. Er bleibt locker und gelassen. Beim letztgenannten Fall nimmt der Ehemann sein Gegenüber nicht als Rivalen ernst und zeigt deshalb keine Aggression. Er ist sich seiner sicher und hat einfach keine Angst, seinen Sozialpartner zu verlieren. Währenddessen er in den beiden ersten Fällen sehr wohl Angst hat, etwas zu verlieren. Er sieht sich geradezu gezwungen, Aggressionen auszuüben, um seinen Sozialpartner nicht zu verlieren.

Geht ihr Hund ständig auf dem Spaziergang auf andere Hunde los, dann geschieht dies meist nicht primär, um seine Dominanz zu zeigen, wie häufig fälschlicherweise angenommen wird, sondern seine Aggressionen liegen vielmehr in einer Angst begründet, seine körperliche Unversehrtheit zu verlieren. Dabei ist die Einschätzung der Bedrohlichkeit einer Situation, die Aggressionen auslöst sehr subjektiv. Generell hat jede Aggression also ihren Ursprung in dem Gefühl, die eigene Basissicherheit ist bedroht.

Wann, wo, gegen wen, wie oft und in welcher Intensität ein Hund Aggressionen zeigt, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Bewusst möchte ich zuchtbedingte, biologisch unnatürlich aggressive Auffälligkeiten einzelner Hunde bei meiner Betrachtung ausklammern, da ich mich hier mit Aggressionen beschäftigen möchte, die durch Kommunikationsmissverständnisse zwischen Mensch und Hund zustande kommen. In der Natur finden sie keine übertrieben aggressiven Caniden, da zum einen das Ausüben von Aggressionen für ein Lebewesen immer die Gefahr birgt, selber verletzt zu werden. Und in der Natur kann selbst die kleinste Verletzung den Tod bedeuten. Zum anderen stellt das permanente Ausüben von Aggressionen eine Zeitverschwendung dar, denn schließlich muss noch ausreichend Zeit für den Futtererwerb, das Sexualverhalten und die Versorgung des Nachwuchses investiert werden. Und welche Hündin würde sich freiwillig mit einem übertrieben aggressiven Rüden verpaaren. Sie müsste ja Angst um ihren eigenen Nachwuchs haben.

Die Entwicklung aggressiver Verhaltensweisen verläuft oft schleichend. Viele Hundehalter berichten uns, dass Ihr Hund „plötzlich“ aggressiv geworden ist. Meist wird auch erst dann die Aggression wahrgenommen, wenn der eigene Hund gehemmt oder ungehemmt beschädigt hat, sich also in den beiden letzten Stufen des Aggressionsmodells nach Frau Dr. Dorit Feddersen-Petersen befindet. Die Vorzeichen werden oder wurden vom Menschen nicht erkannt oder nicht gestoppt. In den Fällen, bei denen ein Hund ein Kind beißt erleben wir häufig, dass es sich um das Kind in der eigenen Familie oder ein bekanntes Kind aus der Nachbarschaft handelt. Dass der Hund das Kind beim Spielen rempelt, stellt oder anspringt wird von den Haltern nicht als aggressives Verhalten gewertet. Aus Hundesicht übt der eigene Hund aber Aggressionen im erzieherischen Rahmen aus. Bleiben diese Erziehungsversuche aber fruchtlos, dann entsteht auf Seiten des Hundes sehr schnell Frust und je nach Hund werden dann auch stärkere Aggressionen gezeigt, bis zum Einsatz der Zähne.

Unsere Aufgabe als Hundetrainer besteht darin, die Hundehalter für die Körpersprache Ihrer Vierbeiner zu sensibilisieren. Anzeichen von Aggressionen dürfen auf keinen Fall verharmlost werden. Drohen aus der Distanz zum Beispiel wird oft von den Hundehaltern ignoriert oder nicht als aggressive Verhaltensweise gesehen, da ja „nichts“ passiert ist. Jedoch befindet sich der Hund bereits in der ersten Stufe aggressiven Verhaltens. Wird der Haltern nicht hier schon erzieherisch tätig, dann ritualisiert sich oft dieses Verhalten und Steigerungen wie körperliche Drohgesten oder direkte Angriffe sind die Folge. Meist ist dann der Hund der Leidtragende und wird als „unnormal“ eingestuft und eingeschläfert. Dabei hätte das Aggressionsmuster gestoppt werden können, nämlich wenn die Menschen genauer hingeschaut hätten, als der eigene Hund kleinere Anzeichen von Aggressionen zeigte. Massive Attacken ohne Vorstufen gibt es nicht. Es sei denn, es liegen pathologische Störungen vor.

 

Ein Artikel unseres Kollegen Marc Eichstedt von der Martin Rütter Hundeschule Kiel