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Kryptorchismus - Hodenhochstand beim Hund

 

 

Was ist Kryptorchismus?


Definition und Abgrenzung

  • Kryptorchismus   bezeichnet den Zustand, in dem ein Hoden (einseitig) oder beide Hoden (beidseitig) nicht in den dafür vorgesehenen Hodensack abgesunken sind.
  • Normaler Entwicklungsprozess: Bei gesunden Welpen finden sich beide Hoden in der Regel bereits in den ersten Lebenswochen (8.–16. Woche) im Hodensack. Beim Kryptorchismus bleibt dieser Prozess unvollständig.

 


Anatomische Einteilung

  • Abdominaler Kryptorchismus:   Der Hoden verbleibt in der Bauchhöhle.
  • Inguinaler Kryptorchismus: Der Hoden befindet sich im Leistenkanal.
  • Teilweise Abstieg: In einigen Fällen ist der Hoden zwar in den Leistenkanal vorgedrungen, erreicht aber nicht vollständig den Hodensack.

 

Entwicklungsphysiologie: Der normale Hodenabstieg

Beim gesunden Rüden steigt der Hoden in der Embryonalentwicklung beidseitig von seiner Ausgangslage – hinter der jeweiligen Niere – über den Leistenkanal und Leistenspalt bis in den Hodensack. Dieser Vorgang, der rassespezifisch zwischen der sechsten und achten Lebenswoche abgeschlossen sein sollte, ist abhängig von der Ernährung und steht unter hormonellen sowie genetischen Einflüssen.


Der Hodenabstieg erfolgt in zwei Phasen:

Transabdominale Phase 

  • Beginn in der Embryonalentwicklung:  Die Hoden entstehen nahe der Wirbelsäule und bewegen sich aus der Bauchhöhle in Richtung Leistenkanal.
  • Hormone im Spiel: Insbesondere das Hormon INSL3 und das Testosteron steuern diesen Prozess.

Inguinoskutane Phase

  •  Übergang in den Hodensack: Der Hoden zieht sich durch den Leistenkanal in den Hodensack, wo er die für die Spermatogenese erforderliche kühle Umgebung vorfindet.


Störungen in einer dieser Phasen können zum Kryptorchismus führen.

 

 

Klassifikation des Kryptorchismus

 

Nach der Anzahl der betroffenen Hoden

  • Einseitiger Kryptorchismus: Lediglich ein Hoden bleibt zurück, während der andere korrekt absinkt.   
  • Beidseitiger Kryptorchismus: Beide Hoden befinden sich außerhalb des Hodensacks.

 

Nach dem Ort der fehlenden Ansiedlung

  • Inguinaler Kryptorchismus: Etwa 90 % der nicht abgesunkenen Hoden liegen in der Unterhaut der Leiste.
  • Abdominaler Kryptorchismus: Bei ca. 10 % der Fälle befindet sich der Hoden im Abdomen.
  • Seitenpräferenz: Der rechtsseitige Kryptorchismus tritt häufiger auf.

 

Epidemiologie und Genetik

 

Genetische Prädisposition

  • Kryptorchismus tritt als Folge eines rezessiven Erbganges bei Rüdenwelpen auf. Diese genetische Veranlagung führt dazu, dass der Defekt in Zuchtlinien weitergegeben wird.   
  • Bestimmte Rassen zeigen eine erhöhte Inzidenz, z. B. Yorkshire Terrier, Chihuahua, Boxer, Schnauzer und Dackel.

 

Prävalenz

  • Je nach Rasse und Population liegt die Häufigkeit zwischen 3 % und 10 %.

 

Ursachen und Risikofaktoren

 

Genetische Faktoren

  • Rezessiver Erbgang: Kryptorchismus wird häufig über einen rezessiven Erbgang weitergegeben. Betroffene Hunde sollten nicht zur Zucht verwendet werden, um die Weitergabe des Defekts zu vermeiden.   

 

Hormonelle Einflüsse

  • Hormonelle Störungen: Ungleichgewichte bei INSL3 und Testosteron können den normalen Abstieg verhindern.
  • Externe Faktoren: Auch die Ernährung und mögliche endokrine Disruptoren können den Prozess beeinflussen.

 

Anatomische Hindernisse

  • Mechanische Barrieren: Engstellen oder Fehlbildungen im Leistenkanal können den Hodenabstieg behindern.

 

Pathophysiologie und Konsequenzen

 

Auswirkungen auf die Spermatogenese

  • Temperaturabhängigkeit: Der Hoden benötigt für die Entwicklung befruchtungsfähiger Spermien eine kühle Umgebung, weshalb kryptorchide Hoden – die der Körpertemperatur ausgesetzt sind – generell kleiner und funktionell eingeschränkt sein können.   

 

Erhöhtes Tumorrisiko

  • Kryptorchide Hoden haben eine bis zu 13-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit, Tumore (z. B. Sertoli-Zell-Tumoren, Seminome) zu entwickeln.

 

Hormonelle Störungen und weitere Folgen

  • Hyperöstrogenismus: Kryptorchide Rüden können unter einem Überschuss an Östrogen leiden, was zu chronischen Hautveränderungen führt.
  • Verhaltensauffälligkeiten: Häufig zeigen betroffene Hunde vermehrt Ängstlichkeit und zunehmende Aggressivität.

 

 

Symptome

  • Fehlender Hoden im Hodensack: Oft ist bei der Tastuntersuchung nur ein Hoden auffindbar.   
  • Asymmetrischer Hodensack: Ein ungleich geformter oder asymmetrischer Hodensack kann auf Kryptorchismus hinweisen.
  • Schmerzen und Unbehagen: Besonders bei Torsionen kann es zu starken Schmerzen kommen.
  • Verhaltensänderungen: Hormonelle Dysbalancen können das Verhalten des Hundes beeinflussen.

 

 

Diagnoseverfahren

 

Klinische Untersuchung

  • Palpation: Der Tierarzt tastet den Hodensack und den Leistenbereich ab, um das Vorhandensein beider Hoden zu überprüfen.
  • Differenzialdiagnose: Abgrenzung zu Anorchidismus (vollständiges Fehlen der Hoden).    

 

Bildgebende Verfahren

  • Ultraschall: Lokalisierung von retinierten Hoden in der Bauchhöhle oder im Leistenkanal.
  • Weitere Bildgebung: In Einzelfällen können Röntgen oder Computertomographie eingesetzt werden.

 

Hormonelle Untersuchungen

  • Testosteronmessung: Bewertung der Funktionalität der Hoden.
  • Stimulationstests: Bei Bedarf zur Beurteilung der Hormonreaktion.

 

 

Behandlungsmöglichkeiten

 

Medikamentöse Therapie

  • Hormonbehandlung: Vor allem in sehr jungen Hunden kann der Einsatz von Hormonen wie GnRH oder HCG versucht werden, um den Hodenabstieg zu fördern – allerdings ist diese Therapie begrenzt erfolgreich.   

 

Operative Behandlung

 

 

Kastration (Orchidektomie):

  • Standardverfahren: Aufgrund des erhöhten Tumorrisikos werden kryptorchide Rüden häufig kastriert. Dabei werden meist beide Hoden entfernt, da auch der gesunde Hoden infolge der genetischen Veranlagung in der Zucht problematisch sein kann.

 

 

 

Spezielle chirurgische Verfahren: Chirurgische Verlagerung (Orchiopexie) für Ausstellungstiere:

Für Ausstellungstiere, bei denen der Erhalt eines äußerlich intakten Rüden wichtig ist, wurde – basierend auf Methoden aus der Humanmedizin – ein Verfahren etabliert, das den kryptorchiden Hoden in den Hodensack verlagert. Diese Methode umfasst folgende Aspekte:

  • Physiologischer Hintergrund:
    Beim gesunden Rüden steigt der Hoden in der Embryonalentwicklung beidseitig von seiner Ausgangslage (hinter der jeweiligen Niere) über den Leistenkanal in den Hodensack, was rassespezifisch zwischen der 6. und 8. Lebenswoche erfolgt. Dieser Vorgang ist von Ernährung, Hormonen und genetischen Faktoren abhängig.
  • Verteilung der Lagen:
    Etwa 90 % der Hoden, die den Hodensack nicht erreichen, befinden sich in der Unterhaut der Leiste (inguinaler Kryptorchismus), während bei ca. 10 % der Hoden dieser im Abdomen verbleibt (abdominaler Kryptorchismus). Zudem tritt der Kryptorchismus häufiger einseitig auf – und zwar überwiegend auf der rechten Seite.
  • Funktionelle Einschränkungen:
    Da für die Entwicklung befruchtungsfähiger Spermien niedrigere Temperaturen benötigt werden, sind kryptorchide Hoden in der Regel kleiner und funktionell eingeschränkt.
  • Erhöhtes Tumorrisiko und weitere Folgen:
    Kryptorchide Hoden besitzen ein bis zu 13-fach erhöhtes Risiko für Tumorentwicklung. Zudem kann Hyperöstrogenismus zu chronischen Hautveränderungen führen, und Verhaltensauffälligkeiten wie vermehrte Ängstlichkeit sowie zunehmende Aggressivität können beobachtet werden.
  • Behandlungsstrategie:
    Aufgrund der Vererbbarkeit der Erkrankung werden betroffene Hunde meist kastriert – dabei werden sowohl der kryptorchide als auch der gesunde Hoden entfernt. Dies führt insbesondere bei Ausstellungstieren zu einem sofortigen Ausfall, da nur intakte Rüden bewertet werden.
    Um dennoch einen äußerlich und klinisch gesunden Rüden zu erhalten, wird der kryptorchide Hoden chirurgisch verlagert:

    Erster Schritt:
    Der Hoden wird aus dem Bauchraum (bei abdominaler Lage) in die Leiste verlagert.

    Zweiter Schritt:
    Anschließend erfolgt die Verlagerung aus der Leiste in den Hodensack. Dort wird der Hoden so vernäht, dass ein Zurückrutschen ausgeschlossen ist.

    • Zeitfenster der Operation:
      Diese Operation ist idealerweise zwischen dem 3. und 7. Lebensmonat durchzuführen. Je früher der Eingriff erfolgt, desto problemloser heilt der Hoden im Hodensack ein und erreicht eine Größe, die mit dem Hoden der gesunden Seite vergleichbar ist.
    • Hormontherapie:
      Eine vorhergehende Behandlung mit Hormonspritzen erscheint nur bei inguinalem Kryptorchismus sinnvoll – der Erfolg ist jedoch meist begrenzt. Bei Hoden in abdomialer Lage kann die Hormontherapie das Wachstum anregen, ersetzt aber nicht die Notwendigkeit der chirurgischen Verlagerung.
    • Postoperative Maßnahmen:
      Nach der Operation ist mit einer Heilungszeit von 2 bis 3 Wochen zu rechnen. Während dieser Zeit sollte auf Anzeichen einer lokalen Infektion (Schmerzen, Schwellung, Rötung am Hodensack) geachtet werden. Eine antibiotische Abschirmung über mindestens 10 Tage wird empfohlen.
    • Zuchtrelevante Empfehlung:
      Um eine Nutzung des operierten Rüden für die Zucht – angesichts der Vererbbarkeit des Kryptorchismus – auszuschließen, wird stets eine beidseitige Sterilisation (Durchtrennung oder Unterbindung der Samenleiter) angeraten.

       

Langfristige Risiken und Prognose

 

Erhöhtes Tumorrisiko

  • Kryptorchide Hoden haben ein signifikant erhöhtes Risiko, Tumore zu entwickeln, was durch frühzeitige Intervention (idealerweise vor dem 6. Lebensmonat) reduziert werden kann.     

      

Fruchtbarkeit

  • Beeidseitiger Kryptorchismus: Kann zu Unfruchtbarkeit führen, da die spermatogene Funktion gestört ist.
  • Einseitiger Kryptorchismus: Auch hier können hormonelle Dysbalancen die Fruchtbarkeit beeinträchtigen.

     

Hodenverdrehung (Torsion)

  • Eine Verdrehung des Hodens kann zu akuten Notfällen mit starken Schmerzen führen, die sofort operativ behandelt werden müssen.

 

Prävention und Zuchtverantwortung

  • Früherkennung:
    Bereits in den ersten Lebenswochen sollte der Hodenabstieg kontrolliert werden, um frühzeitig intervenieren zu können.
  • Zuchtverantwortung:
    Aufgrund der erblichen Natur des Kryptorchismus sollten betroffene Hunde nicht zur Zucht eingesetzt werden. Aufklärung und genetische Beratung helfen dabei, das Auftreten in Zuchtlinien zu minimieren.

 

Zusammenfassung / Fazit

  • Kryptorchismus ist eine ernstzunehmende Entwicklungsstörung bei Rüden, die sowohl die Fruchtbarkeit als auch die allgemeine Gesundheit langfristig beeinträchtigen kann.    
  • Ein frühzeitiger Nachweis und eine gezielte Therapie – sei es medikamentös oder operativ – sind entscheidend, um Komplikationen wie Hodentumoren, Torsionen und hormonelle Dysbalancen zu vermeiden.
  • Für Ausstellungstiere wurde eine spezielle chirurgische Methode (Orchiopexie) etabliert, die den äußeren Eindruck eines intakten Hundes ermöglicht, jedoch immer in Kombination mit einer Zuchtreduktion (Sterilisation) empfohlen wird.
  • Halter und Züchter tragen eine große Verantwortung, da betroffene Tiere nicht zur Zucht verwendet werden sollten, um die Weitergabe des Defekts zu verhindern.

 

 

Weiterführende Informationen

  • Tierärztliche Beratung:
    Bei Unsicherheiten oder auffälligen Befunden sollte stets ein Tierarzt konsultiert werden.  
  • Fachliteratur und Studien:
    Für detaillierte Informationen empfiehlt sich die Lektüre spezialisierter veterinärmedizinischer Fachzeitschriften.
  • Zuchtverbände:
    Viele Zuchtverbände bieten umfassende Aufklärung und Beratung zum Thema Kryptorchismus an.

 

 


 

Quellen und Literaturhinweise

Merck Veterinary Manual

Ettinger, S. J. & Feldman, E. C. (2017).

  • Textbook of Veterinary Internal Medicine, 8th Edition.
  • Elsevier
  • Dieses Standardwerk bietet umfassende Informationen zu inneren Erkrankungen bei Tieren, inklusive reproduktiver Störungen wie Kryptorchismus.

Plumb, D. C. (2018).

  • Plumb's Veterinary Drug Handbook, 9th Edition.
  • Wiley-Blackwell
  • Als Referenzwerk zur medikamentösen Therapie und den entsprechenden Dosierungen bei Tieren dient dieses Handbuch auch als Informationsquelle zu hormonellen Therapieansätzen.

Hofmann-Lehmann, R. & Rosengart, R. (Hrsg.) (2014).

  • Veterinary Endocrinology, 3rd Edition.
  • Wiley-Blackwell
  • Dieses Buch liefert detaillierte Informationen über endokrinologische Prozesse und hormonelle Einflüsse, die auch für das Verständnis des Hodenabstiegs relevant sind.

Fachartikel aus tierärztlichen Fachzeitschriften

  • Beispiel:
    • Olivier, N. et al. „Cryptorchidism in Canines: A Review“, Journal of Small Animal Practice.
    • Solche Übersichtsarbeiten bieten einen fundierten Einblick in Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie von Kryptorchismus und werden in der Fachliteratur häufig zitiert.
  • Auch Artikel aus Portalen wie tiermedinfo.de oder tierarztpraxis.de können als praxisnahe Informationsquellen herangezogen werden.

AVMA – American Veterinary Medical Association

  • Reproductive Disorders in Dogs
  • Online verfügbar unter: https://www.avma.org/
  • Die AVMA stellt umfangreiche Ressourcen zu verschiedenen Tiergesundheitsthemen zur Verfügung, darunter auch reproduktive Störungen wie Kryptorchismus.