Wer ist eigentlich der Chef im Haus?
Wer trifft eigentlich die Entscheidungen?
Versuche mal Folgendes: Für jede Entscheidung, die Du oder Dein Hund treffen, wird eine Strichliste geführt.
Also, los geht’s!
Dein Liebling steht am Fenster und winselt, Du stehst auf und lässt ihn in den Garten.
Wer hat die Entscheidung getroffen? Genau, Dein Hund. Also: Ein Strich in der Liste für den Hund!
Du sitzt am Tisch und liest Zeitung. Dein Hund kommt zu Dir und stupst Dich mit der Nase an der Hand an, woraufhin Du Ihn streichelst.
Wer hat die Entscheidung zur Streicheleinheit getroffen? Richtig, Dein Hund! Also wieder ein Strich für ihn!
Dein vierbeiniger Freund rennt zu seinem Napf, und schaut traurig hinein oder trägt ihn durch die Gegend. Daraufhin stehst Du auf und fütterst ihn, denn es ist ja eigentlich auch längst Zeit für die Fütterung.
Und wieder ein Strich für Bello.
Und so geht es den ganzen Tag weiter. Hast Du Dich in einigen Beispielen wiedererkannt? Am besten probierst Du es direkt selbst einmal aus und testest, wie Dein Ergebnis ausfällt. Wenn Dein Hund in der Kategorie „Entscheidungen treffen“ mit 237 zu 5 gewinnt, zeigt dies, dass hier ein großes Ungleichgewicht herrscht, und zwar zu Deinen Ungunsten. Und genau das ist uns oftmals eben gar nicht bewusst!
Des Pudels Kern liegt zu Hause
Aber ist das überhaupt ein Problem? Klar, wenn Du im Homeoffice arbeitest, soll Dein Hund nicht nerven. Aber diese Zeit ist für die meisten mittlerweile ja wieder vorbei, und wenn Du Deinen Hund doch gern streichelst, gern mit ihm spielst und ihm seine Wünsche erfüllst, spricht doch eigentlich nichts dagegen, das auch zu machen, oder? Das Problem liegt jedoch ganz woanders, denn Du bist ja nicht nur zuhause mit Deinem Hund. Du gehst mit ihm raus, zum Spaziergang, auf die Hundewiese, zum Training. Und hier erwartest Du, dass Dein Hund sich an Dir orientiert, dass er Dir folgt, dass er auf Deine Signale hört und Deine Entscheidungen akzeptiert.
Wenn im Wald das Reh auftaucht, soll Dein Hund nicht nach Lust und Laune jagen, sondern auf Deinen Rückruf reagieren und zu Dir kommen. Wenn er an der Leine geführt wird, soll er nicht zu jedem anderen Hund hinziehen und sich wie eine Furie gebärden, indem er bellt und wild herumhüpft. Wenn er von der Leine gelassen wird, soll er nicht mit seinem Kumpel weit über das Feld rennen und Deinen Ruf ignorieren, wenn Du nun endlich nach Hause willst. Wenn in der Hundeschule Apportiertraining auf dem Programm steht, soll er sich nicht den Futterbeutel schnappen und damit herumrennen, anstatt ihn zu bringen.
Wie oft hören wir Hundetrainer in unserer Hundeschule: „Das macht er sonst nie …“ Und das stimmt sehr häufig sogar. Kommt Dein Hund im Haus oder Garten mit seinem Ball und wirft diesen vor Deine Füße, bringt er ihn nach dem Wurf unermüdlich zurück. Nur auf dem Übungsplatz oder draußen, da funktioniert es einfach nicht. Wir verlangen von unseren Hunden, dass sie sich in dem Bereich, in dem es um wirklich wichtige Entscheidungen geht, im Aktionsbereich, an uns orientieren. Außerhalb von Haus und Garten geht es um jagdliche, territoriale und soziale Belange. Hier werden Spuren verfolgt, Konkurrenten verjagt, Sozial- und Sexualpartner gefunden. Doch warum sollte Dein Hund Dir diese wichtigen Bereiche überlassen, sich hier an Dir orientieren und Deine Entscheidungen akzeptieren, wenn er in Haus und Garten, also im Kernbereich, sämtliche Entscheidungen trifft? Hinzukommt, dass die Zeit, die Mensch und Hund gemeinsam im Kernraum verbringen, in der Regel viel länger ist als die Zeit draußen im Aktionsraum.
Wer also 22 Stunden am Tag seinem Hund alle Entscheidungen überlässt, braucht nicht darauf zu hoffen, dass dieser sich in den restlichen 2 Stunden an seinem Menschen orientieren wird.
Wer ist das „Familienoberhaupt“?
Doch heißt das nun, dass Du niemals wieder auf eine Spielaufforderung Deines Hundes eingehen darfst? Muss man immer alles ignorieren, auch wenn Dein Hund gerade so niedlich schaut?
Nein! Wichtig ist lediglich, dass Du die Entscheidungen triffst. Unterwegs, aber eben auch zu Hause. Natürlich darf Dein Hund Dich gelegentlich zu einem Spiel oder einer Streicheleinheit auffordern. Die Zeiten, in denen der Hund als rangniedriger Untertan angesehen wurde, der nur gehorchen muss, sind zum Glück lange vorbei. Du bist kein „König“, der Deinem Hund befiehlt, was dieser zu tun und zu lassen hat. Die Beziehung zwischen Mensch und Hund entspricht vielmehr der zwischen Eltern und ihren Kindern. Du bist das Familienoberhaupt, welches Entscheidungen im Sinne aller trifft. Dein Hund vertraut Dir und orientiert sich an Dir, da Du ihn sicher durch das Leben führst. Du beschützt ihn, wenn er sich bedrängt oder unsicher fühlt, versorgst ihn mit Nahrung und Wasser, bietest ihm aber auch die Möglichkeit, seine weiteren Bedürfnisse zu befriedigen, durch Jagdspiele nach Beute und den so wichtigen Sozialkontakt. Doch das geht eben nur, wenn Du Deinem Hund nicht 22 Stunden am Tag alle wichtigen Entscheidungen selbst überlässt, denn wie soll er Dich dann als souveränen Entscheidungsträger erleben? Und dazu gehört dann eben auch die Entscheidung, auf eine Forderung des Hundes einzugehen oder nicht.
Natürlich darf also auch Dein Hund Dich zum Spiel auffordern, doch immer wieder einmal solltest Du seine Forderung auch ignorieren. Und zwar wirklich ignorieren, den Hund also weder anfassen, noch ansprechen, ja, nicht einmal anschauen! Denn Dein Blick sagt ihm bereits, dass Du registriert hast, dass er etwas will. Und weil Menschen ja oft wirklich lange brauchen, bis sie verstehen, was man von ihnen will, bleibt der Hund dran und fordert weiter. Selbst wenn Du nun genervt schimpfst oder Deinen Hund auf seinen Liegeplatz schickst, hast Du dennoch auf seine Aktion reagiert. Ignoriere Deinen Hund also wirklich, indem Du einfach so tust, als wäre da gar kein Hund. Lese ganz in Ruhe weiter in Deiner Zeitung, und zwar so lange, bis Dein Hund wirklich ganz aufgegeben hat und sich entspannt in sein Körbchen legt. Aber achte darauf, ob er Dich nicht immer noch im Blick hat und nur auf Deine Reaktion wartet. Erst wenn Dein Hund wirklich einen längeren Zeitraum entspannt liegt, darfst Du ihn zu Dir rufen und streicheln. Erst dann hast wirklich DU entschieden. Denn natürlich sollst Du mit Deinem Hund spielen und ihn streicheln. Es kommt also nicht etwa darauf an, Deinen Hund nun 22 Stunden am Tag zu ignorieren, Sozialkontakt ist vielmehr sehr wichtig in der Beziehung zwischen Mensch und Hund.
Mein Haus, mein Garten, mein Auto
Aber reicht das, um Deinen Hund davon zu überzeugen, dass es nicht heißt: „Sein Haus, sein Garten, sein Auto …“? Dazu musst Du Dir zunächst einmal anschauen, aus welchem Grund Besitztümer für den Hund wichtig sind. Der Hund ist ein Beutegreifer und will Beute verteidigen. Das können Ressourcen wie Futter, Spielzeug oder Liegeplätze sein. Doch wie oben bereits erwähnt, kann man die Besitztümer auch räumlich in Kernraum und Aktionsraum unterteilen. Und so wirst Du ganz sicher auch oft erleben, dass der Hund im eigenen Garten ein bestimmtes Verhalten zeigt und außerhalb des Gartens ein anderes. Hier geht es in der Regel um territoriale oder soziale Entscheidungen, also darum, wer den Besuch an der Haustür begrüßt oder wie mit „Besuch“ in Form eines anderen Hundes im Revier umgegangen wird. Begleite die Besucher daher schon beim Eintreten in Dein Haus und führe sie in einen anderen Raum. Achte darauf, dass Dein Hund dies gut beobachten kann. So hat der Hund die Möglichkeit, Dich in Deiner Rolle als Entscheidungsträger zu erleben. Versuche nicht, die Rolle des Hundes zu übernehmen und indem Du z.B. ein Begrüßungsritual mit Deinen Gästen verabredest oder im schlimmsten Fall den Hund einfach wegzusperren. So könnte Dein Hund denken, dass Du Deine Rolle gar nicht wahrnimmst und stattdessen selbst versuchen, sich als Entscheidungsträger zu etablieren. Da dies für den Hund allerdings eine Aufgabe ist, die er nicht erfüllen kann, wird er früher oder später in einem Konfliktverhalten enden, indem er z.B. die Besucher anbellt und anknurrt. Nimm Deinem Hund daher die „Entscheidungen“ in Form von Aufgaben ab und bleibe in allen Situationen ruhig und souverän. Je öfter Dein Hund erlebt, dass Du die Entscheidungen triffst, desto mehr wird er Dir auch im Aktionsraum vertrauen und sich an Dir orientieren. So wird aus „Mein Haus, mein Garten, mein Auto“ ein harmonisches Zusammenleben, in dem Dein Hund Dich als souveränen Entscheidungsträger anerkennt und Du ihn als geliebten Begleiter.