Ein Plädoyer für Stadthunde
Wer Hunde wirklich artgerecht halten möchte, darf sie bitte nicht an der Leine führen, muss sie jagen lassen, lässt sie im Haus markieren und verhindert keinesfalls das Ausleben ihres Paarungsverhaltens. Und das ist nur ein Auszug der Einschränkungen, die wir Hunden abverlangen, egal, wo wir mit ihnen leben. Die gute Nachricht ist: Hunde sind unglaublich flexibel und anpassungsfähig. Und: Sie lieben das Zusammenleben mit dem Menschen. Er ist mehr oder weniger das einzige artfremde Lebewesen, dessen Nähe sie suchen – schließlich hat sich so auch aus dem Wolf der Hund entwickelt. Erst durch die enge Gesellschaft zum Menschen hat sich die DNA verändert und Domestikation stattgefunden.
Heute finden sich Menschen und Hunde nicht mehr in der Natur, primär suchen wir Menschen ungefragt den vermeintlich richtigen vierbeinigen Begleiter für unser Leben aus.
IRRTUM NR. 1: HUNDE BRAUCHEN VIEL PLATZ
Wo auch immer wir leben, sehnt sich der Hund nach unserer Gesellschaft. Egal ob unsere Wohnung 40 oder 400 qm hat – stimmt die Beziehung zwischen Mensch und Tier, wird ein Hund immer die Nähe zu seinem „Rudel“ suchen. Entsprechend ihrer Rasse sollten Hunde natürlich auch ausgelastet werden. Das funktioniert übrigens von jedem Ort aus. Selbst wer in der Innenstadt wohnt, kann – gerade in einer so grünen Stadt wie Wien – in kurzer Zeit tolle Parks und Auslaufgebiete erreichen, in denen die Vierbeiner dann entsprechend gefordert werden können. Apropos Forderung: Hier sollte das Augenmerk – wie oft fälschlicherweise angenommen – nicht nur auf der stupiden körperlichen Auslastung liegen. Vor allem geistige Auslastung, sprich dem Hund Aufgaben zu stellen, Suchspiele zu machen, um seine Nase zu fordern, und ihn auch im Alltag richtig einzubinden, ist für Hunde essenziell. Ballwerfen oder Rennspiele mit anderen Hunden machen so manchen Vierbeiner erst so richtig warm.
ALLES EINE FRAGE DER BESCHÄFTIGUNG
Es braucht also keinen Garten, kein großes Haus (ich frage mich immer, ob so mancher denkt, Hunde würden dann stundenlang auf und ab laufen und damit ihren Tagesbedarf an Beschäftigung kompensieren?) und keinen Wald vor der Tür. Nutzen Sie doch auch die zahlreichen Möglichkeiten vor Ihrer Nase: Setzen Sie Ihren Hund z. B. vor jeder Tür ab und lassen sie ihn kurz bleiben. Belohnen Sie ihn anschließend und lassen ihn dann weiterkommen. Nicht nur, dass dieses Ritual vielen Hunden territoriale Sicherheit vermittelt, es fordert sie beispielsweise auch im Alltag und macht sie aufmerksamer. Auch „Downtown“ können viele Möglichkeiten genutzt werden, die Hunden spaßige Beschäftigungen bieten. Suchen Sie ein stilles Eckchen und bringen Sie Ihrem Hund das Apportieren bei. Lassen Sie ihn dann den Apportiergegenstand in Mauervorsprüngen suchen oder verstecken Sie dort Leckerlis, während er geduldig warten muss. Nutzen Sie Poller, um Ihrem Hund beizubringen, diese zu umrunden, lassen Sie ihn auf kleinen Mäuerchen balancieren. Üben Sie mit ihm zwischendurch auch – unter etwas Ablenkung – leinenführig zu gehen. All diese Dinge werden Ihren Hund schon nach wenigen Minuten konzentrierter „Arbeit“ ziemlich müde machen. Und auch bereit für die wohlverdiente Pause, die es auch bei wild lebenden Tieren gäbe: Nach der Jagd wird gefressen, gerastet und ordentlich Energie getankt. – Bis der nächste spannende Ausflug vor der Tür steht, egal wo ... Hauptsache gemeinsam!
EPILOG
Natürlich müssen Hunde an das Leben in der Stadt gut gewöhnt werden. Hat ein Hund bisher nur auf dem Land, ohne Verkehrslärm und andere städtische Reize gelebt, wird es ihm unter Umständen sehr schwer fallen, entspannt in diesem regen Umfeld zu leben. Einigen wenigen Ausnahmen fehlt es dann natürlich an Lebensqualität. Daher sollte man vorher immer abklären, ob der Hund das Stadtleben auch kennt, bzw. einen Welpen frühzeitig an die Reize des urbanen Lebens gewöhnen. Zwei Rassekategorien eignen sich übrigens mehr oder weniger gar nicht für ein Leben in der Stadt: In erster Linie sind das sog. Herdenschutzhunde (nicht Hütehunde!). Diese wurden ausschließlich zu dem Zweck gezüchtet, auf Herden und Höfe selbstständig aufzupassen. Sie haben deshalb ein sehr ausgeprägtes Territorialbewusstsein und meist hohe Skepsis gegenüber Fremden. Das sind natürlich Attribute, die im engen Zusammenleben mit den Menschen in der Stadt äußerst unerwünscht sind. Dazu kommt, und da sind wir auch schon bei der zweiten Kategorie der „Hof- und Wachhunde“, dass diese Rassen, vor allem in der Stadt, kaum entsprechend ihren Bedürfnissen ausgelastet werden können. Ihre Hauptaufgabe ist und bleibt das Aufpassen und Wachen. Das ist in einer Wohnung kaum zu ermöglichen bzw. durch eine mehr oder wenige hohe Bellfreudigkeit meist auch in der Nachbarschaft äußerst unbeliebt. Daher: Augen auf bei der richtigen Hundeauswahl!
Ein Artikel unserer Kollegin Conny Sporrer von der Martin Rütter Hundeschule Wien