Die Entwicklung des Hundeverhaltens aus tiermedizinischer Sicht
Du hast Tiermedizin studiert, bevor du dich entschieden hast, eine Ausbildung als DOGS Coach zu machen. Wie kam‘s?
Mein Entschluss, Tiermedizin zu studieren, entstand aufgrund meiner großen Zuneigung zu Tieren und dem Wunsch, fachlich und kompetent die Lebensqualität von Patienten zu verbessern. Nach Abschluss meines Studiums habe ich ein umfassendes medizinisches Wissen in verschiedenen Gebieten der Tiermedizin erworben. Doch gerade in Bezug auf die Therapie von Verhaltensproblemen beim Hund blieben viele Fragen offen. Durch meine Tätigkeit als DOGS Coach in Kombination mit meinem tiermedizinischen Wissen ist es mir nun möglich, Menschen das Verhalten ihrer Hunde zu erläutern, um ihnen so ein entspanntes Zusammenleben zu ermöglichen.
Inwiefern kann ein medizinisch geschulter Blick beim Hundetraining von Vorteil sein?
Tiermediziner werden darin geschult, möglichst objektiv und interpretationsfrei eine genaue Diagnose zu stellen. Nehmen wir z.B. das Kratzen und den vermehrten Haarausfall beim Hund. Beide Symptome können schlichtweg stressbedingt sein. Tatsächlich gibt es jedoch eine Vielzahl weiterer Ursachen, wie Parasiten, Allergien, Stoffwechselstörungen etc. Liegt eine Abweichung vom Normalzustand vor, sollte immer eine medizinische Abklärung durch einen Tierarzt erfolgen. Dem Hundehalter fällt eine solche Abweichung aber oftmals gar nicht auf. Hundetrainer sind die Schnittstelle zwischen Hundehalter und Tiermediziner. Ein medizinisch geschulter Blick sowie gute Grundkenntnisse bei Themen wie Physiologie, Anatomie und Ernährung des Hundes sind für den Hundetrainer daher unerlässlich.
Bei welchen Verhaltensproblemen sollte ein Hund einem Tierarzt vorgestellt werden?
Immer dann, wenn sich Verhalten plötzlich verändert, oder sich in Phasen verschlimmert bzw. verbessert, sollte an eine organische Erkrankung gedacht werden.
Wie geht es weiter, wenn eine medizinische Ursache festgestellt wird?
Dann muss im ersten Schritt eine medizinische Behandlung erfolgen. Die Medikation kann hier die notwendige Voraussetzung für Verhaltensveränderungen sein, sollte jedoch immer durch ein spezielles Training bzw. eine Verhaltenstherapie unterstützt werden. Ist Verhalten jedoch stark ritualisiert, wird allein die medizinische Behandlung keine dauerhafte Verhaltensänderung bewirken. Das trifft z.B. auf aggressives oder ängstliches Verhalten zu.
Gibt es Fälle, wo die medizinische Behandlung und Verhaltenstherapie Hand in Hand gehen?
Ein sehr aktuelles Thema ist die Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) beim Hund. Sie führt zu körperlichen Veränderungen wie erhöhter Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Gewichtszunahme, Haut- und Fellveränderungen etc. Es können auch Verhaltensauffälligkeiten entstehen, wie beispielsweise Angst vor Umweltreizen, übersteigerte Wachsamkeit, schnelle Erregbarkeit, erhöhte Aggressionsbereitschaft, Müdigkeit oder erhöhte Aktivität. Ist ein Hund an einer Schilddrüsenunterfunktion erkrankt und wird diese nicht behandelt, kann einerseits ein Training erfolglos bleiben, andererseits kann es zu schwerwiegenden Schäden an anderen Organen wie dem Herzkreislaufsystem kommen. Daher sollten die medizinische Behandlung und die Verhaltenstherapie immer Hand in Hand gehen. Je besser der Austausch und die Kommunikation zwischen den Experten, umso besser ist die Prognose für den Patienten.
Valérie Pöter ist Tierärztin und DOGS Coach in Oldenburg. In ihrer Hundeschule bietet sie Alltagserziehungskurse sowie Einzeltraining mit „problematischen“ Hunden an.